Lost Chronicles

Normale Version: [The Warlock's Gambit] Auftakt: Der Gesandte
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Es war früh am Morgen und noch kühl. Drüben anscheinend ebenso wie hüben. Athaín schüttelte den Kopf, um das Gefühl der Desorientierung zu vertreiben, welches normal nach der Passage eines Sternentors war. Nicht dass er das schon allzu oft gemacht hatte, denn für gewöhnlich war Aitheria sein Einsatzgebiet. Warum Windmeister Gavrons Wahl ausgerechnet auf ihn gefallen war, konnte er ebenfalls nicht mit Sicherheit sagen. Er vermutete jedoch, dass es mit dem kürzlichen Aufenthalt im Kerker von Accipetris zu tun hatte, aus dem ihn der Kommandant hatte auslösen müssen - gegen ein fürstliches Entgelt verstand sich, worüber der Windmeister alles andere als begeistert war. Athaíns Drachin Alachia war zurückgeblieben und schmollte nun vermutlich für eine ganze Weile, während er mit diesem Ding nach Vandrigg geschickt worden war. Siedend heiß fiel es ihm wieder ein. Ach ja! Das Ding! Hastig tastete die Hand des Blinden nach dem wetterfesten Beutel, den er an seinem Gürtel befestigt hatte. Schockschwerenot, wenn es den Übertritt nicht überlebt hätte!

Aber es war noch da, und der Drachenreiter, seines Zeichens ohne Drachen unterwegs, atmete auf. Der massive Holzstab, den er bei sich führte, war hinderlich wie er jetzt schon fand. Er hasste es die Hände nicht frei zu haben. Aber dies war eine fremde Welt, er kannte die Gegebenheiten nicht. Schon die Luft fühlte sich anders an. Feuchter, schwerer. Sie schien den Bewegungen mehr Widerstand entgegen zu setzen, was ein subjektives Gefühl sein mochte, es jedoch nicht angenehmer machte. Diesen Kerl von diesem Warlock-Verein, den er hier treffen sollte - Bran? - kannte er noch weniger, und sein Schwingenbruder Caius war nicht hier. Er war allein, und wenn es schlecht lief auf sich gestellt. Da war es wohl leichtsinnig auf irgendein Hilfsmittel zu verzichten. Natürlich hatte Athaín auch sein Schwert dabei, in einer Scheide um die Hüften gegürtet. Der Tarnung halber hatte er jedoch nicht die prächtig verzierte mit den Insignien des Ordo Draconis gewählt, sondern eine einfache aus gehärtetem Leder. Auch auf die Rüstung hatte er verzichtet, und trug nur einen gewöhnlichen Brustpanzer, der schon einige Kratzer und Dellen aufwies, Arm- und Beinschienen über Lederhosen und wattiertem Waffenrock, sowie gepanzerte Handschuhe. Die Augenpartie war unter einer Binde aus weichem Leder verborgen, da man wohl auch in Vandrigg nicht mit der Tatsache hausieren gehen sollte dass man Drachenmerkmale besaß.

Das Schwindelgefühl ließ zum Glück allmählich nach, und so trat der Blinde einige Schritte vom Tor weg und legte lauschend den Kopf schief, um zu hören was in der Umgebung vorging. Das Tor schien auf eine Anhöhe zu liegen, denn seine Füße ertasteten Stufen. Oder vielmehr die zerbröckelnden Reste davon. Der Wind trug den Geruch von nassem Gras heran, um diese frühe Stunde war es noch zu schwer um zu rascheln. Ansonsten war es still wie auf einem Gebeinhof, bis auf das Krächzen einer einsamen Krähe in der Ferne. Aus der Art wie die Geräusche gedämpft wurden schloss Athaín, dass der feuchte Dunst daher rührte dass es neblig war. Für ihn war das ein Vorteil, denn ihm machte schlechte Sicht nichts aus. Allerdings erleichterte es auch das geräuschlose Anschleichen, weshalb er noch mehr auf der Hut war als sonst. Ob dieser Bran schon da war und sich im Nebel verbarg? Oder hatte er sich verspätet? Vielleicht war er selbst auch zu früh. Wie auch immer...

"Heda!"rief er halblaut. In der Stille sollte es weit genug tragen, dass es Personen in der Nähe hören konnten. "Jemand anwesend?"
Bran unterdrückte den starken Drang unruhig vor dem alten Portal auf und ab zu schreiten. Immer wieder glitt sein Blick zu dem hellen Silberstreifen am Horizont, der den Ort markierte an welchem die Sonne bald aufgehen sollte. Er war unruhig, ja. Aber nicht weil er sich um die vor ihm liegende Aufgabe sorgte, sondern weil er sie eher möglichst schnell hinter sich bringen wollte.
Jemanden bei einem Portal abzuholen und zum Orden Mesíac zu bringen war etwas für einen Boten, oder einen Novizen, seltsames Artefakt hin oder her. Aber das war nicht womit ein Warlock sich rumschlagen sollte.
Aber… Befehle waren nun mal Befehle. Vor allem dann, wenn sie wirklich direkt von Sòls Dreigestirn kamen.
Furchtbar wichtig musste es also schon sein, wenn die Bannermeister persönlich ihn her beordert hatten. Es war auch eine angenehme Überraschung gewesen, die Magierin Atevora wieder zu sehen, nachdem ihr letztes Treffen in dem Kerker doch so unerfreulich verlaufen war.
Bran kickte einen Stein davon, welcher leise klackernd durch den Nebel hüpfte und schließlich an den Stufen liegen blieb, welche nach oben zu dem Portal führte.
Unwillig schüttelte er den Kopf und atmete einige Male tief durch. Spukte der Schatten gerade durch seine Gedanken oder warum regte ihn diese Aufgabe gerade so auf?
Es wäre leicht gewesen, einfach alle seine Schlechten Eigenschaften auf den Schatten zu schieben mit dem er sich einen Körper teilte, aber nach all den Jahren war es manchmal schon sehr schwer da eine genaue Grenze zu ziehen.
Mit einem leisen Seufzen hockte er sich in den noch hüfthohen Nebel und wartete. Es blieb ihm auch kaum etwas anderes übrig, der geheimnisvolle Bote aus der Welt der Lüfte ließ noch auf sich warten…

Während er wartete stieg der Nebel mehr und mehr aus dem Boden und würde zu einem dichten Schleier, der ein seltsam neutrales Zwielicht schuf.
Plötzlich entstand in dem alten und zerbröckelnden Portal ein kleiner Funke, welcher sich jedoch rasch ausdehnte und sich zu einer Scheibe aus matten Licht ausdehnte, die zwischen den zerbröckelnden Bögen des Portals in der Luft hing.
Sie hielt für einige Herzschläge und Bran kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen um sich die Sicht nicht zu ruinieren.
Vor dem hellen Licht war eine Gestalt aufgetaucht, man konnte erst nur die Umrisse erkennen, aber sie war groß gewachsen und trug einen Stab in den Händen.
Die Lichtscheibe löste sich in abertausend kleine Funken auf, welche davon stoben und bald verloschen und Bran Blinzelte heftig um das den das leuchtende Abbild zu vertreiben, welches seine Augen ihm immer noch vorgaukelten.
Groß gewachsen stimmte schon mal, und doch recht ordentlich ausgerüstet wie es schien. Weiße Haare, wie es schien und.. eine Augenbinde?!
Bran biss unwillig die Zähne aufeinander. Hatte dieser angeblich so mächtige Ordo Draconis etwa tatsächlich einen Blinden geschickt?
Der lange Stab und die Augenbinde ließen eigentlich fast keinen anderen sinnigen Schluss zu, aber trotzdem: wer kam verflucht nochmal denn auf so eine Idee?

Nun verstand er Erstens, warum es so dringend einen Führer für diesen Boten brauchte und Zweitens, warum man sich auf diese lächerliche Losung geeinigt hatte.
"Heda! Jemand anwesend?" Bran seufzte leise und schwer bevor er sich erhob. Warum machte man solche Probleme immer zu seinen Problemen?
Er ging einige Schritte auf das Portal zu bevor er dann ruhig die Stimme hob „Aye! Bran vom Orden Sòl der Warlocks.“ stellte er sich vor. „Was führt dich her, Fremder?“ es war nicht seine Aufgabe mit der Losung, zu beginnen, das musste Athaín machen, wenn er sich an den Namen recht erinnerte. Und Bran hatte nicht vor ihm diese Worte in den Mund zu legen. Also wartete er einfach mal ab, wie der Fremde auf seine Anwesenheit reagierte.
Auch der Drachenreiter hätte sich Besseres vorstellen können als in einer Welt ausgespuckt zu werden, die nach Nebel und nassem Gras roch. Und dann noch ohne Drachen. Oder überhaupt irgendwen den er kannte. Aber manchmal war man eben nicht in der Position sich aussuchen zu können wo und mit wem man irgendwo landete. So wie man sich Vieles im Leben nicht aussuchen konnte. Zum Beispiel seine Eltern, von denen einem der Eine ein Paar funktionsuntüchtiger Augen vererbte, während die Andere nichts mit einem zu tun haben wollte. Der Eine übrigens auch nicht. Ja doch, es gab ein paar Dinge, die sich Athaín liebend gern ausgesucht hätte. Dummerweise hatte man ihm die Wahl jedoch nicht gelassen, ebenso wie vermutlich diesem Bran, der wahrscheinlich ebenfalls auf Geheiß hier war - falls er das denn überhaupt war - und nicht weil er am lautesten geschrien hatte. Jedenfalls konnte sich der Halbdrache nicht vorstellen dass es auf Vandrigg mit der Befehlskette anders lief als dort wo er herkam.

Sein leiser Ruf wurde vom Nebel verschluckt und verhallte bereits nach wenigen Schritt. Athaín lauschte in die Stille hinein. War da ein leises Rascheln in der Nähe, gefolgt von einem ebenso leisen Schnaufen? Es konnte ebensogut ein Seufzen sein, ein Laut der Verachtung oder Entrüstung. Athaíns Ohren waren fein wie die eines Luchses, aber Gedanken lesen konnte er damit auch nicht. Wohl aber konnte er sich ungefähr vorstellen was das Gegenüber wohl dachte. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass man ihn angesichts der Augenbinde für einen Invaliden hielt. Nun, eigentlich war ihm das egal, sogar willkommen. Denn wer ihn für einen Invaliden hielt, hielt ihn zumindest nicht für einen Drachenabkömmling. Meist fragten die Leute aus Pietät nicht weiter nach, weil es ihnen unangenehm war, oder sie es gar nicht genauer wissen wollten. Athaín war alles davon recht, schließlich ging die Wahrheit niemanden etwas an.

„Aye! Bran vom Orden Sòl der Warlocks“, schallte es schließlich aus dem Nebel zurück. Der Mann mit der Augenbinde ließ die unwillkürlich angehaltene Luft aus seinen Lungen entweichen, nickte zufrieden und trat die Stufen hinunter. Sein Schritt wirkte behutsam, aber fest und in keiner Weise zögerlich. Ein wenig erinnerten seine Bewegungen an die unheimliche Sicherheit eines Traumwandlers, der mit geschlossenen Augen auf trügerischem Untergrund ging, und es dennoch immer schaffte den Fuß an die richtige Stelle zu setzen. "Athaín, Gesandter des Ordo Draconis", stellte er sich vor und richtete seine Sinne prüfend auf den Mann vor ihm. Automatisch war er auf dessen Stimme zugegangen, die tief und sonor klang, als töne sie aus einem breiten Brustkorb. Einen Hänfling hatten sie zumindest nicht geschickt. Einen leisen Misston vernahm er jedoch darin. Ungeduld, Genervtheit? Nun, vielleicht wollte der Kerl es einfach nur ebenso schnell hinter sich bringen wie er selbst. "Keine Sorge, ich bin nicht hier um Eure Gesellschaft über Gebühr zu beanspruchen", wiegelte er ab. "Und an die Hand nehmen müsst Ihr mich auch nicht, falls Ihr das befürchtet. Ich benötige keinen Führer weil ich blind bin, sondern weil ich den Weg nicht kenne." Doch etwas war da noch. Ach richtig, die Losung! Athaín räusperte sich, bevor er möglichst deutlich sprach: "Sagt, in welcher Richtung geht denn hierzulande der Mond auf?"

Er glaubte nicht wirklich, dass dieser Bran jemand anders war als der für den er sich ausgab. Es ging keine Anspannung, kein Zeichen von Nervosistät von ihm aus. Nur dieses unterschwellige Genervtsein. Dennoch fasste der Halbdrache den Stab fester, um ihn notfalls blitzschnell in eine Waffe zu verwandeln. Glauben hieß schließlich nicht Wiissen.
Bran musterte den Fremden, vielmehr… studierte er seine Bewegungen, sein Verhalten und seine Reaktionen. War das Schwert an seiner Seite nur Zierde? Oder war der Stab und die Augenbinde vielleicht doch nur Ablenkung um eventuelle Feinde auf eine gänzlich falsche Fährte zu führen?
Es war faszinierend seltsam ihm zuzusehen, wie er sich nach der Stimme des Warlocks ausrichtete und dann mit der Sicherheit die an einen Schlafwandler erinnerte, die bröckelnden Stufen hinab stieg.
Und ein Menschenkenner war er noch dazu, wie es schien. Zumindest hatte er sehr zielsicher erraten was Bran an vorderster Stelle durch den Kopf ging, aber… im Grunde war das kein Kunststück. Der Warlock ließ ein kurzes und humorloses Lachen hören “Schön dass wir diesen Punkt geklärt hätten!” er mochte es nicht, wenn ihm jemand so rasch in die Karten sehen konnte, ganz egal wie Oberflächlich es auch sein mochte. Und ja, auch er wollte die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Aber dazu musste er darauf warten, dass der angebliche Drachenreiter endlich mit der Losung heraus rückte, damit sie endlich alle bestätigen konnten dass sie wirklich mit dem jeweils richtigen sprachen.
Bran hatte begonnen vor dem Fremden auf und ab zu schreiten, ganz so als wäre er unruhig. Oder suchte er einfach nur nach der besten Position für einen Angriff? Seine Hand lag auf dem Griff seines Schwerts, er war alles andere als die Vertrauensseligkeit in Person und der Schatten wisperte ihm die ganze Zeit Misstrauen ins Ohr, was auch nicht unbedingt dazu betrug die Situation zu entschärfen. Er war nicht nervös, und ihn plagten auch keine Zweifel daran dass er sein Gegenüber im Zweifelsfalle nicht ausschalten konnte, ganz egal ob es sich nun wirklich um einen Blinden handelte oder nicht.

"Sagt, in welcher Richtung geht denn hierzulande der Mond auf?"
Bran hielt inne und seufzte leise. Nur das Dreigestirn Sóls konnte sich eine solche Losung ausdenken, auf solche Ideen kam man nicht, wenn man sie des dann auch selbst anwenden musste. Und für seinen Geschmack, war es ganz einfach viel zu poetisch…
“Im Norden!” eine kurze Kunstpause in welcher er den Drachenreiter wachsam beobachtete, dann fügte er schließlich hinzu: “Denn das ist die Richtung in der Mesíac liegt.”
Schon klar, sie hatten keine Zeit mit solchen Spielchen zu verlieren, aber… eine solche Antwort hatte sich richtiggehend aufgedrängt.
Bran machte eine Handbewegung, die dem Drachenreiter deuten sollte, dass er ihm folgen sollte und hatte sich schon abgewandt und hielt erst nach ein paar Schritten wieder inne. Ja, wer blind war konnte keine Handgesten sehen, natürlich nicht! Daran musste er sich gewöhnen, dass er an solche Sachen zu denken hatte, während sie unterwegs waren. Wie überaus… anstrengend.
“Wir brechen sofort auf.” sagte er deswegen laut, damit auch Athaín bescheid wusste “Wir haben noch ein gutes Stück Weg vor uns und ich hoffe das du es gewohnt bist weite strecken zu laufen. Hier entlang...”

Normalerweise war Bran nicht darauf angewiesen auf irgendwen Rücksicht zu nehmen, wenn er unterwegs war. Eskortaufträge hatte er seit jeher den anderen überlassen, die Lust auf solche Kindereien hatten. Er war es gewohnt Straßen zu meiden und sich durch Unterholz zu schlagen wo es ihm passte, aber er bezweifelte dass der drachenlose Drachenreiter da wirklich mithalten konnte. Unwillig knirschte er mit den Zähnen, während er seinen Schritt wieder verlangsamte damit der ihm zugeteilte Reisegefährte wieder aufschließen konnte.
“Ach ja, wir werden die Straßen meiden soweit es geht, das stellt doch kein Problem dar, oder?”
Von dem Portal führte nur ein Weg davon, nunja es war wohl eher mehr ein kleiner Trampelpfad der sich durch die Botanik wand und aus dem kleinen Tal heraus führte. Nebelschwaden wurden vom Wind einher getragen und Bran hoffte dass der morgendliche Dunst sich bald heben würde, denn er erschwerte die Orientierung und würde sie nur noch weiter bremsen, wenn sie sich von einem Wegpunkt zum nächsten tasten mussten.
Bran musterte den Drachenreiter erneut. Alles, angefangen von der Art wie er sich bewegte bis hin zu den weißen Haaren und der Augenbinde war… anders, ohne dass er wirklich den Finger darauf hätte legen können woran es lag.
“Und was ist mit deinem Schwert? Ist er nur zierde… oder kannst du damit auch umgehen?” immerhin hatte er es geschafft die boshafte Spitze aus seiner Stimme zu verbannen, auch wenn seine Worte alle andere als freundlich waren.
“Ich möchte nur wissen, womit ich rechnen kann während wir unterwegs sind…” fügte er diplomatischer hinzu, denn er würde es noch eine ganze Weile mit Athaín aushalten müssen, ob ihm das nun schmeckte oder nicht. Da war es vielleicht nicht unbedingt die klügste Taktik gleich einen Streit zu suchen.
Als guten Menschenkenner hätte sich Athaín selbst nicht bezeichnet. Aber nun ja. In drei Jahrhunderten kam doch einiges an Erfahrung zusammen. So verfügte er wohl über Aerias größte nicht niedergeschriebene Sammlung an mehr oder weniger witzigen Zitaten über Blinde. Vielleicht lernte er ja auf Vandrigg ein paar neue. Der Kerl der ihn abholen sollte verschonte ihn zwar vorerst damit, aber manchmal hatte der Halbdrache das Gefühl die Gedanken der Leute hören zu können - ohne dass es dazu Telepathie brauchte.

Die Losung. Ja. Nicht dass sie das Geistreichste war, was Athaín jemals von sich gegeben hatte. Der Mann der sich als Bran vorgestellt hatte, hatte inzwischen begonnen auf und ab zu gehen. Man konnte es an seinen Schritten hören, die mal etwas weiter nach links, dann wieder nach rechts wanderten. Der Blinde allerdings richtete seine Aufmerksamkeit weg von den Schritten und konzentrierte sich auf etwas anderes: Den Atem des Fremden. Dieser war gleichbleibend ruhig, er wurde nicht flacher oder hektischer. Was sollte das werden, ein Test? Nun gut, das konnte er haben.

"Norden", erklang die Antwort, und beinahe ansatzlos wurde der Stab gewirbelt, um mit Schwung knapp auf Kniehöhe über den Boden zu fegen. Er hätte wohl auch getroffen und den Warlock möglicherweise von den Füßen geholt, wenn er nicht präzise in dem Moment gestoppt worden wäre als die Kunstpause endete und das Wort Mesíac fiel. Der Schwung verpuffte harmlos in einer Aufwärtsbewegung, und im nächsten Moment war das Stück Holz wieder ein harmloser Wanderstab in der Hand eines Blinden.

"Gut." Athaín neigte zustimmend den Kopf und war bereits losgegangen als Bran sich in Bewegung setzte, sodass dieser nicht groß warten musste damit er zu ihm aufschloss. Natürlich hatte er die Geste nicht gesehen. Aber wenn jemand sich umdrehte und losmarschiete, blieb man nicht stehen und wartete auf eine Extraeinladung. Das war so ziemlich Lektion Nummer Eins auf dem Übungsplatz gewesen. "Sagen wir... ich bin nicht unvorbereitet", erwiderte der Drachenreiter, der natürlich keine langen Marschrouten gewöhnt war. Das hieß aber nicht dass seine körperliche Verfassung zu wünschen übrig ließ. Sein ältestes Paar Stiefel hatte er wohlweislich auch angezogen, also würde er schon eine gute Strecke durchhalten, bevor er zu jammern anfing dass ihm die Füßchen weh taten. Was er selbstredend nicht tun würde, und wenn sie ihm abfielen. "Wie lange werden wir unterwegs sein?" erkundigte er sich, während er seine Schritte dem Tempo des Warlocks anpasste. Es war zwar hart an der Grenze zu dem was man ohne etwas zu sehen noch stolperfrei hinbekommen konnte, aber da der Kerl jetzt schon genervt mit den Zähnen knirschte, würde Athaín ihm sicher nicht den Triumph gönnen zu tun was er erwartete.

"Kommt drauf an", antwortete er auf die Frage hin und schürzte die Lippen. "Stock und Stein sind kein Problem für mich. Ich weiß aber nicht was abseits der Straße in Vandrigg bedeutet." Womöglich gab es hier ja keine Wälder und Gebirge, sondern sumpfiges und schlammiges Gelände, womöglich sogar ausgedehnte Wasserflächen. Schwimmen war zugegeben nicht seine Paradedisziplin, so wie er mit Wasser überhaupt recht wenig anfangen konnte. Gavron, der alte Fuchs, wusste das natürlich. Warum schickte man wohl einen Halbdrachen mit Feuer-Blutlinie in eine Wasserwelt? Natürlich um ihn maximal zu nerven. Der Windmeister würde wahrscheinlich eher sagen: Um ihm das Mütchen zu kühlen. So oder so hatte man Athaín auflaufen lassen, und er musste jetzt irgendwie mit dieser nassen Welt und diesem dauergenervten Warlock fertig werden. Vielleicht hing auch das Eine mit dem Anderen zusammen. Wo selbst die Luft so feucht war, dass man das Gefühl hatte mit Kiemen besser bedient zu sein, konnte man ja nur schlechte Laune haben.

Der Nebel indes hielt sich vorerst hartnäckig, er würde wohl erst Auflösungserscheinungen zeigen wenn die Sonne es durch die Wolken schaffte. Für den Blinden war das ein glücklicher Umstand, da auch der Warlock sein Tempo nicht auf Dauer halten konnte, wollte er nicht riskieren irgendwo in der Pampa zu landen. Der Pfad war schmal, wie Athaín mit dem Stock ertasten konnte. Es passten gerade so zwei Männer nebeneinander darauf. Er lauschte in die Umgebung und legte den Kopf mal zur einen, mal zur anderen Seite schief. Es war immer noch grabesstill und die Luft schwer von Feuchtigkeit. Kein Blatt raschelte im Wind. Da war nur diese Krähe, die hin und wieder ein heiseres Krächzen ertönen ließ. Bemerkenswerterweise schien sie immer gleich weit entfernt zu sein, und das Krächzen erklang immer vor ihnen. Nun, vielleicht war das eine Eigenart Vandrigger Krähen. Vielleicht aber auch...

"Hmpf." Der Halbdrache brummte leise als Antwort, als Bran nach dem Schwert fragte. "Ihr seid ein echter Sonnenschein, was? Nein, ich habe es nur mitgenommen weil ich herausfinden wollte wie lange aitherianischer Stahl in dieser Waschküche von einer Welt zum Durchrosten braucht. Und was ist Euch über die Leber gelaufen? Hat man Euch zwischen den Brüsten Eurer Lieblingshure hervorgezerrt, oder was ist passiert?" Athaín gab sowieso einen feuchten Furz auf Diplomatie. Wenn dieser Bran schon einen Rochus auf ihn hatte - wahrscheinlich nicht auf ihn persönlich, aber er war nun einmal die nächste verfügbare Adresse - konnte er ihm auch verraten warum. Es sei denn, er war nicht nur ein unglaublicher Stinkstiefel, sondern auch noch zugeknöpft wie das Mieder einer Jungfrau.
Nun gut, er musste zugeben, er war erstaunt über die Präzision mit welcher der scheinbar Blinde den Stab durch die Luft wirbelte, kaum dass die ihm die scheinbar falsche Antwort über die Lippen gekommen war, und genau so sicher und schnell wieder abgebremst und zurückgezogen wurde, gerade mal so dass der Warlock einen Luftzug vorbei rauschen spürte, sobald er sich dann doch dazu herab gelassen hatte die Richtige Antwort auf die Losung zu nennen.
Obwohl der erste Teil seiner Antwort nicht wirklich falsch war, denn Mesíac lag von ihnen aus gesehen mehr oder weniger genau im Norden.
Und auch Bran war aus der Reaktion des Drachenreiters um einiges schlauer geworden. Dieser Mann war ein Krieger und er verstand sein Handwerk ausgesprochen gut. Außerdem war er sich seines Könnens sehr sicher, denn es hatte keinen Moment des Zögerns gegeben. Er war fast verführt auszutesten, wieviel an der vermeintlichen Blindheit seines Gegenübers dran war, denn man hätte fast meinen können, dass seine Bewegungen zu sicher waren und zu zielgerichtet. Bran hatte bis jetzt zumindest keinen Blinden gesehen der sich so bewegen konnte wie dieser Athaín.

Nicht unvorbereitet… Nun, das würde die Zeit schon zeigen. Obwohl Bran nicht vorhatte es seinem zugewiesenen Gefährten mit Absicht schwer zu machen, so würde sich doch auch seine Rücksichtnahme in Grenzen halten. Dieser Atahín strahlte pure Selbstsicherheit aus, dann sollte er diese auch beweisen. Und Bran war viel unterwegs. Es gab kaum einen Tag, an dem er nicht mehrere Tausendschritt an Weg in zügigem Tempo hinter sich brachte. Allein seine regelmäßige Pilgerfahrt zur Kathedrale Vandriggs war eine Reise die ihresgleichen suchte, aber in dieser Angelegenheit hatte der Warlock kaum eine Wahl…
“Schwer zu sagen…” antwortete er wahrheitsgemäß auf die Frage des Drachenreiters “Bei gutem Wetter und ohne aufgehalten zu werden, sind wir wahrscheinlich einen vollen Tag unterwegs. Wenn der Nebel allerdings bleibt oder das Wetter gar noch schlechter wird… wer weiß. Zwei Tage, vielleicht sogar mehr. Wir haben kein einfaches Gelände vor uns, Bruchwald, Sumpf und wir müssen ein paar Flüsse überqueren. Wenn wir bei dem Nebel die Furt nicht finden, kostet uns das einiges an Zeit…”
Im Grunde also ganz normale vandrigger Landschaft. Den einzigen Vorteil den sie hier wohl hatten war, dass Bran das Gelände halbwegs gut kannte, auch wenn er sich auf seinen üblichen Routen und Wegen sicherer gefühlt hätte. Vor allem für so einen Auftrag.
Bran legte ein gutes Tempo vor, er war es nicht gewohnt langsamer zu gehen, oder seinen Schritt an jemanden anpassen zu müssen, das hatte sich auch gezeigt als er den Alben und die Magierin durch unwegsames Land, zurück zur Zivilisation geführt hatte.

“Es bedeutet nasse Füße und unwegsames Gelände! Und Stock und Stein werden wir auch nicht zu wenig haben.” gab er zurück, während er nicht umhin konnte, leicht überrascht zu bemerken das Athaín sich seinem Schritttempo anpasste und nicht, wie er es erwartet hätte, um Rücksicht bat.
Aber selbst wenn sie nur einen einzigen Tag für ihre Reise brauchte, so konnte es doch sein, dass sie bis zu ihrem Ende, keinen trockenen Faden mehr am Leib hatten. Nasse Füße waren da noch das geringste Übel, aber wohl das wahrscheinlichste. Ganz egal wie gut gefettet der Stiefel war oder wie gut man die Nähte gewachst hatte, das Wasser fand immer einen Weg.
“Ein paar Schritt vor uns teilt sich der Weg und führt entweder nach Osten Richtung Küste, oder er folgt der Walja ein gutes Stück bevor er dann einen Bogen nach Norden und nach Mesíac schlägt. Wir kürzen das ab, verlassen den Weg spätestens an der Kreuzung, queren den Fluss und gehen so direkt wie möglich nach Hrád Selvita.” erklärte er dem Weißhaarigen den vor ihnen liegenden Pfad.

Bran lauschte in die Stille. Es war zwar nichts ungewöhnliches für diese Gegend, dass sich vor der Sonne kaum ein wildes Tier hier zeigte, denn zum Teil konnte man das wohl auch auf das Portal schieben, dem sich kein Vogel und kein Tier freiwillig nähern wollte. Aber dennoch saß ihm mittlerweile das Gefühl im Nacken, also würde sie durch den Nebel wer beobachten. Nur eine einsame Krähe, die hartnäckig vor ihnen im Dunst zu hocken schien und in zu regelmäßigen Abständen vor sich hin schrie.
Vielleicht hätte der Warlock dieser seltsamen Krähe mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wenn der Drachenreiter ihn nicht abgelenkt hätte. Aber so… ließ er ein humorloses Lachen hören, welches alsbald vom Nebel verschluckt wurde. “Selbst wenn es so wäre, dann solltest du nicht von dir auf andere schließen!” Der Schatten brüllte ihm schon ins Ohr, er solle diesem verdammten Möchtegern-Blinden endlich in seine Schranken weisen, und er spürte dass sich sein Amulett langsam erwärmte.
Bran sog tief die feuchte Luft in seine Lungen und stieß sie kontrolliert wieder aus. Er durfte jetzt keine Schwäche zeigen, er durfte dem Schatten nicht so leichtes Spiel erlauben. Hatte er den Schritt beschleunigt?
“Die Wahrheit ist wohl eher… dass ich besseres zu tun habe als Botengänge für den Orden zu erledigen!”
Athaín war es sozusagen - nein, sogar buchstäblich - von Kindesbeinen an gewöhnt sich eben nicht zu bewegen wie ein Blinder. Er war ja auch nie ein gewöhnlicher Blinder gewesen, sondern der mit den Drachenaugen. Er hatte sich früh daran gewöhnen müssen dass für ihn verschärfte Regeln galten, und er von seinen Mitmenschen nichts zu erwarten hatte. Am allerwenigsten Rücksichtnahme. Auch die Drachenreiter waren kein Versehrtenasyl, entweder war man gut, oder man war früher oder später Schattenfutter. Athaín war gut, und er ließ nicht das entsprechende Selbstbewusstsein vermissen. Nun - zumindest noch nicht. Er war ja auch erst ein paar Minuten hier und hatte noch keinen Dunst was ihn erwartete. Was allerdings nicht bedeutete, dass er die Sache auf die leichte Schulter nahm. Er war waghalsig und handelte zuweilen bevor er nachdachte, aber ein unerfahrener Bruder Leichtfuß war er nicht. Während er konzentriert neben Bran her stapfte und versuchte sich dessen forschem Tempo anzupassen, spitzte er die Ohren und hörte aufmerksam zu.

Der Kerl schien tatsächlich etwas anzutauen sobald man ihm vernünftige Fragen stellte, und er gab auch sehr ausführliche Antworten ohne dabei zu schwafeln. Athaín ertappte sich dabei die Stimme des Fremden angenehm zu finden, und das was er erzählte war interessant. Eindeutig jemand, der eine gewisse Autorität besaß und dem man gern lauschte, wenn er nicht gerade beißend ironische Sprüche von sich gab oder einen wissen ließ, dass man zuviel von seiner Luft wegatmete. "Verstehe", brummte der Drachenreiter nachdenklich und legte die Stirn in Falten. "Danke für die Aufklärung. Auf die Gefahr hin mir hierzulande keine Freunde zu machen - ich kann nicht schwimmen." Da Bran ihm ehrlich antwortete und anscheinend nicht plante ihn die Tücken der hiesigen Landschaft ohne Vorwarnung ergünden zu lassen, hielt es Athaín für angebracht das seinerseits zu tun. Schließlich würden sie die nächsten zwei Tage eine Gemeinschaft bilden, ob sie sich das nun ausgesucht hatten oder nicht.

"Außerdem hasse ich nasse Füße", fügte er hinzu und ließ den Anflug eines Grinsens sehen. Die Bemerkung war nicht ganz ernst gemeint, denn mal ehrlich - wer mochte schon nasse Füße? Ja natürlich waren die Stiefel frisch besohlt, die Nähte gewachst und das Leder gut gefettet. Man hatte schließlich vorher gewusst, dass es nach Vandrigg ging. Aber mehr als dass es dort sehr, sehr feucht war, wusste Athaín über diese Welt auch nicht. Und selbst das war nur Hörensagen. Anhand der Wegbeschreibung versuchte er sich die Landschaft einigermaßen vorzustellen. Küste. Es war also das Meer irgendwo in der Nähe. Der Drachenreiter hatte auch davon schon gehört, war aber noch nie am Meer gewesen. In Aitheria gab es nur einen Ozean aus Wolken. Die Walja, das wusste er dagegen, war ein großer Fluss, der zur Hauptstadt Svetla führte. Oder von dort weg, das wusste er wiederum nicht genau. Es war auch egal, es sei denn sie wollten ein Boot benutzen. "Hrád Selvita?" Athaín legte fragend den Kopf schief, da er diese Bezeichnung nicht kannte. "Was ist das? Ein Dorf?"

Sie gingen schon eine Weile nebeneinander her, und immer wieder war diese Krähe zu hören, während sich der Morgendunst unangenehm feuchtkalt auf die Haut legte und verriet dass immer noch dichter Nebel herrschte. Der Drachenreiter hob die Brauen als er das humorlose Lachen seines Nebenmanns vernahm. Der Kerl schien wirklich schlecht gefrühstückt zu haben. Aber noch etwas schwang da in seinem Tonfall mit. Eine gewisse Gereiztheit, anders als das genervte Brummen vorhin. Die feinen Haare in Athaíns Nacken stellten sich ein wenig auf. Ein natürlicher Instinkt, der ihn vor Gefahren warnte. Nein, er glaubte nicht dass Bran vorhatte ihm gleich an die Gurgel zu springen. Die Gelegenheit hätte er bereits gehabt, als er aus dem Tor trat und noch etwas beduselt war. Aber... wie sollte man sagen... dicht dran? "Schon gut." Der Blinde hob beschwichtigend die Hand. "Ich bin nicht zum Streiten hier. Und natürlich ist es Eure Sache wie Ihr die Nacht verbringt. Besseres zu tun habt Ihr also? Nun, ich glaube Euch." Er ließ ein freudloses Lächeln sehen. "Ihr seid sicher nicht der Einzige. Was ist das eigentlich für ein Vogel dort vor uns? Eine Vandrigger Nebelkrähe?"

Bran hatte angefangen schneller zu laufen, und Athaín bemühte sich wieder zu ihm aufzuschließen. "Ist es vernünftig in diesem Nebel so zu rennen? Ich möchte wetten, Ihr seht nicht viel mehr als ich!"
Bran seufzte leise. Natürlich konnte er nicht schwimmen, aber er musste sich eingestehen dass er insgeheim schon irgendwie damit gerechnet hatte. Ein Blinder aus der Welt der Lüfte… natürlich konnte er nicht schwimmen, er hatte diese Fähigkeit in seinem Leben wahrscheinlich noch nie gebraucht und so wäre es mit großer Sicherheit auch geblieben, hätte sein Weg ihn nicht nach Vandrigg geführt. Hier hörte man nicht selten es gäbe mehr Wasser als Land auf dem man sicher laufen konnte. So gut wie jeder konnte schwimmen und die meisten lernten es recht früh, denn es war fast unvermeidlich irgendwann einmal in ein Gewässer zu fallen in dem man nicht mehr stehen konnte.
Bran strich sich nachdenklich das lange Haar aus dem Gesicht und antwortete schließlich recht sachlich: “So lange wir die Flüsse an den Furten überqueren, wird es nicht nötig sein zu schwimmen. Und im schlimmsten Falle, werde ich schon darauf achtgeben, dass du nicht absäufst!” und klopfte Athaín bei den letzten Worten fast aufmunternd auf die Schultern. Es lag kein Spott in seiner Stimme während er sprach, vielleicht ein Hauch Sarkasmus aber mehr nicht.
Es war auch jeden fall gut zu wissen womit man zu rechnen hatte und worauf er sich einstellen musste. Dass sein Weggefährte ein Nichtschwimmer war, machte die ganze Sache jetzt nicht unbedingt einfacher, aber im Grunde war es nur ein weiterer lästiger Punkt auf einer länger werdenden Liste an Dingen an die er zu denken hatte seit Athaín aus dem Portal gestiegen war. Er machte sich mehr Sorgen darum, wie er den Blinden durch sumpfiges Gebiet oder tückischen Feuchtwald lotsen sollte. Man hätte ihm ruhig ein wenig darauf vorbereiten können, was auf ihn zukam.
Verdammte Geheimniskrämerei des Ordens!

“Wer hasst die nicht?” gab er mit einem schiefen Lächeln zurück und schnaubte leise “Aber bis wir angekommen sind, wirst du noch das Gefühl haben, Schwimmhäute zwischen deinen Zehen zu haben.” versprach er. Hier mochte der Boden abgesehen von einigen hartnäckigen Lacken, noch trocken und gut zu begehen sein, aber sobald sie den Weg verließen, würde es schon bald sehr feucht und nass werden. Mal ganz abgesehen von dem unvermeidlichen Regen welcher früher oder später über sie hereinbrechen würde.
“Ein Dorf?” dieses Mal war er wirklich überrascht, dass der Drachenreiter so schlecht über das Ziel seines Auftrags informiert war. “Bei den Schatten, hat man dir überhaupt irgendetwas über Vandrigg erzählt bevor man dich hergeschickt hat? Außer vielleicht: nimm das Artefakt und bring es zum Orden Mesíac? Mesíac ist nur die Bezeichnung des Ordenshaus. Hrád Selvita ist der Ort an den wir gehen, denn so wird die Festungsanlage der Warlocks genannt.” erklärte er mit überraschend viel Geduld. Wenn, dann machte er Athaín nur den Vorwurf, dass er sich erst jetzt informierte und es nicht schon früher getan hatte. Aber so geheim konnte ein Auftrag gar nicht sein, dass man dem Krieger der geschickt wurde so furchtbar wenig Informationen mitgab.

Bran atmete tief ein, hielt die Luft einige Sekunden lang und stieß sie dann langsam und kontrolliert wieder aus. Er durfte nicht auf den Schatten hören und er durfte sich nicht reizen lassen. Zumal Athaín wohl genauso begeistert von dieser Aufgabe war wie er selbst auch. „Scheint wohl so als säßen wir im selben Boot!“ erwiderte er und zügelte schließlich seinen Schritt wieder, damit der weißhaarige Drachenreiter wieder zu ihm aufholen konnte.
Die umliegende Landschaft schälte sich tatsächlich nur sehr langsam vor ihnen aus dem Nebel und die Krähe schien hartnäckig mit Ihnen zu wandern und krähte immer vor ihnen im Nebel, was Bran mehr als nur irritierte.
„Das ist… auf jeden Fall ein ungewöhnlicher Vogel!“ war seine leicht irritierte Antwort, denn irgendwas war hier nicht so wie es sein sollte. Und… da war noch etwas anderes… „Hörst du das?“ fragte er leise.
Durch den Nebel drangen leise Geräusche an sein Ohr gedrungen. Ein quietschen wie von einer verzogenen Radachse, das schwere klatschen von feuchtem Tuch und… ein leises Stöhnen?
Bran hatte sein Schritttempo deutlich verringert, er war wachsam und vorsichtig. Aus dem Nebel schälte sich langsam ein umgestürzter Handkarren, eine nasse Plane aus Segeltuch lag halb über die verstreuten Habseligkeiten gebreitet. Es war hauptsächlich Tand und nutzloses Zeug, welches hier verstreut lag, es schien kein Zugtier und keinen Besitzer zu geben, zumindest nicht auf den ersten Blick.
„Was ist das hier? Ein Händler so weit abseits der Route? Warum hat er seinen gestürzten Wagen und seine Waren einfach so zurückgelassen? Warum…?“
Vor ihnen im Nebel schrie die Krähe wieder, genau drei Mal. Und als sie verstummte konnte man das Singen von Bogensehenen hören und das Geräusch war schrecklich nah.
In der Tat kam man selten in die Verlegenheit schwimmen zu müssen, wenn man sich hauptsächlich durch die Lüfte fortbewegte. In dem Dorf, in dessen Nähe er aufgewachsen war, hatte es einen Weiher gegeben, in dem die Kinder sommers baden gingen, aber dort hatte man ihn nie dabei haben wollen. Also beschränkte sich Athaíns Erfahrung mit dem nassen Element auf das Bächlein hinter dem Haus seiner Ziehmutter, aus dem sie Wasser zum Kochen und Waschen holten. Das war allenfalls zum Planschen tief genug gewesen, also hatte der Halbdrache nie gelernt in tieferem Wasser zurecht zu kommen. Nun ja. Dass dieses Versäumnis sich eines Tages rächen könnte, hatte niemand voraussehen können. Zu ändern war es auf die Schnelle nicht. "Danke, sehr freundlich", gab der Hellhaarige mit demselben Anflug von Sarkasmus zurück, verstand die aufmunternde Geste aber sehr wohl als das was sie war, und registrierte auch die Information mit einiger Beruhigung. "Gibt es eigentlich auch sowas wie Boote bei euch, oder vermeiden nur Weicheier nasse Füße?" erkundigte er sich und musste trotz allem ein wenig grinsen. Die Vorstellung mit den Schwimmhäuten war doch recht erheiternd.

Athaín bereute seine unbedachte Frage bereits kurz nachdem er sie gestellt hatte. Oh, da hatte er wohl einen Fettnapf erwischt. Ja wie konnte ihm Einfaltspinsel denn auch einfallen dieses Hrád Dingsbums für ein Dorf zu halten? Er und sein loses Mundwerk. Er hätte besser lächeln und nicken sollen. "Ist ja schon gut", brummte er. "Tatsächlich sagte man mir nicht viel. Man gab mir den Standort des Tors, die Parole und den Hinweis dass ein Mann namens Bran mich auf der anderen Seite erwartet, der mich zur Feste Mesíac geleiten soll. Ach, und dass dieses Kästchen es unbedingt bis zur Feste schaffen muss, selbst wenn das nicht für mich gilt, und nur an einen gewissen Brynjarr den Grauwolf übergeben werden darf. Ich hatte genau 12 Kerzenstriche Zeit mich vorzubereiten, nämlich von gestern abend bis heute morgen, inklusive einer Mütze voll Schlaf. Verzeiht, wenn ich daher nicht mit allen Einzelheiten vertraut bin. Aber danke für die Aufklärung." Der Halbdrache nickte dankend und verzichtete auf eine harsche Erwiderung. Immerhin war er, wie er vorhin bereits bemerkt hatte, nicht hier um sich mit diesem Kerl herumzustreiten. Wenn der ihn jedoch weiter anblaffte und seine schlechte Laune an ihm ausließ, würde er keine Garantie übernehmen dass das auch so blieb.

Zum Glück sah der Warlock davon ab, weiter forschen Schrittes in den Nebel hinein zu rennen, sondern verhielt um auf ihn zu warten. "Ja, sieht wohl so aus", bestätigte Athaín und lauschte in die Stille hinein. Wieder ein Krähenruf. Es schien ein enervierend stoisches Tier zu sein, was auch Bran aufzufallen schien, denn er sprach aus was der Drachenreiter dachte. "Ungewöhnlich, in der Tat", murmelte er und vernahm nun tatsächlich noch etwas Anderes. Ein leises Quietschen, ein Schlagen wie von einer feuchten Zeltplane, und zudem stöhnte da jemand im Nebel. Er nickte sachte auf Brans Frage hin und blieb seinerseits stehen. Langsam wanderte die freie Hand zum Schwertgriff, die automatische Reaktion des geübten Kriegers. Man musste sie gar nicht bewusst ausführen, Muskeln und Sehenen erledigten das von allein. Konzentriert lauschte er Brans leiser Beschreibung, dort lag wohl ein ausgeraubter Händlerkarren. Allerdings war es die Verwunderung in der Stimme des Warlocks, die bei ihm sämtliche Alarmglocken schrillen ließ. "...so weit abseits der Route? Warum..." Ein Krähenruf.

Athaín hörte das leise Knarren, mit dem sich eine Bogensehne spannte, noch bevor er das Sirren hörte, welches einen abgefeuerten Pfeil begleitete. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bereits vom Boden abgestoßen und flog auf Bran zu, um seitlich gegen diesen zu prallen und ihn mit sich zu Boden zu reißen. Keine Sekunde zu früh, denn mit bösartigem Zischen flogen Pfeile genau über ihre Köpfe hinweg und schlugen wirkungslos irgendwo im Nebel ein. "Weil das hier eine Scheißfalle ist, in die wir getappt sind wie die Kleinkinder", knirschte der Hellhaarige mit den Zähnen. Sie hätten vorsichtiger sein sollen. Hinterher war man immer schlauer. "Vorschläge?" Über ihnen wurden die Bögen erneut gespannt, bereit zu schießen sobald sie ihre Köpfe hoben. So dicht am Boden boten sie schlechte Ziele für die Bogenschützen, aber Pfeile waren nicht das Einzige was der Feind aufzubieten hatte. Man hörte wie Schwerter oder Säbel aus den Scheiden gezogen wurden, und jemand brüllte Befehle.
Der Warlock ließ ein kurzes aber belustigtes Lachen hören, als Athaín nach Booten fragte “Gibt es, mehr als du dir wahrscheinlich vorstellen kannst. Es wäre wesentlich einfacher gewesen mit einem Boot auf dem Fluss nach Mesác zu fahren. Einfacher und vor allem bequemer.” er schnaubte leise bevor er abermals die Stimme hob und “Aber… anscheinend auch zu auffällig und zu vorhersehbar, für etwaige Feinde. Und deswegen sind wir jetzt hier.” endete er mit einem leicht missmutigen Blick auf ihre trieste und verlassene Umgebung.
Zu sagen dass die Stimmung ein wenig gereizt war, konnte man fast schon als kleine Untertreibung bezeichnen und Bran wusste, dass er nicht unbedingt frei von Schuld daran war. Er seufzte schwer und zwang sich abermals sich zu konzentrieren, er musste die Kontrolle behalten und er durfte sich nicht zu unbedachten Worten hinreißen lassen. Er spielte dem Schatten damit nur in die Hände. Nein… es tut mir Leid!” entgegnete er also nach einem kurzen Zögern “Mein Ärger gilt nicht dir, zumindest nicht direkt. Du hast leider nur das Pech jetzt hier zu sein und ihn abfangen zu müssen. Was alles andere als fair ist. Also… bitte entschuldige.”

Bran erkannte die Wahrheit vielleicht später als Athaín, aber sie traf ihn sicherlich gleichzeitig und mit einer ähnlichen Wucht wie sein Gefährte, welcher sich gegen ihn geworfen und zu Boden gestoßen hatte. Pfeile zischten wirkungslos über ihnen durch den Nebel, während der Warlock ein lautes Fluchen unterdrückte. Eine Falle! Er hatte sich so sehr ablenken lassen, dass er blind und taub wie ein Anfänger in eine Falle hinein marschiert war. Wie dummes Schlachtvieh waren sie dem Henker fast freiwillig ins Beil gelaufen und dass sie noch nicht von Pfeilen gespickt waren, war wohl alleine Athaíns verdienst. Aber er hatte keine Zeit sich für die Umsicht und die schnelle Reaktion zu bedanken, im Nebel rührte sich etwas, selbst Bran vernahm das Geräusch von Klingen die aus ihren Scheiden gezogen wurden und schließlich lösten sich aus dem Nebel schön langsam Gestalten, die sich vorsichtig aber entschlossen näherten.
“Sie wollen uns einkreisen…” stellte er fast nüchtern aber ruhig und gefasst fest. Das war nicht der erste Kampf gegen eine Übermacht, zwar starteten sie hier definitiv mit den schlechteren Karten, aber sie konnten das Ruder noch immer herumreißen, wenn sie jetzt schnell und entschlossen handelten.
“Ja.” gab er also knapp aber mit Überzeugung zurück “Zähl bis fünf, danach kannst du halbwegs gefahrlos aufstehen und musst dir zumindest keine Sorgen mehr um die Bogenschützen machen. Im Schatten werden sie dich nicht sehen!” Bran hatte keine Zeit dem Drachenreiter genau zu erklären was er vorhatte oder wie es funktionierte, er hoffte nur dass Athaín ihm fürs erste genug vertrauen konnte um sich auf sein Wort zu verlassen. “Du darfst dich aber nicht zu weit von mir entfernen und sobald sie mich angreifen wird der ganze Spuk wieder verschwinden. Nur ein paar Schritte hinter dir ist der Wagen, ich zähle… fünf, nein sechs Gegner derzeit. Plus den Bogenschützen die sich noch im Nebel verstecken.” sie durften nicht mehr länger Warten, die Krieger näherten sich ihnen jetzt schnell und zielstrebig. “Also dann los.” nur für einen Moment schloss er die Augen, gestattete sich ein tiefes ein und ausatmen dann konzentrierte er sich auf die Dunkelheit in seiner Seele. Der Schatten schien nur darauf gewartet zu haben und drängte nach außen und so war es unglaublich einfach diese Schwärze aus sich heraus zu lassen. Es kostete fast keine Anstrengung, dass sich das Licht in einem Umkreis von einigen Schritt um ihn herum, mehr und mehr verflüchtigte und sich eine finstere Kugel aus Schatten und Schwärze um sie herum zu bilden schien.
Trotzdem musste er sich stetig darauf konzentrieren diesen Zustand auch aufrecht zu erhalten. Der Warlock erhob sich mit langsamen und kontrollierten Bewegungen, seine Hand lag auf dem Schwertknauf, er war bereit, aber noch konnte er Athaín einen ungeahnten Vorteil verschaffen. Der Blinde brauchte kein Licht um sich zurecht zu finden. Und jetzt würde sich zeigen wie gut der Drachenreiter wirklich mit dem Schwert umgehen konnte. “Ich hoffe dein Schwert hat noch keinen Rost angesetzt. Sie kommen, zwei von links, drei von vorne, einer auf meiner Seite!”
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