Lost Chronicles

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”Ich wusste dass du nicht widerstehen kannst!” Neros Stimme hallte rechthaberisch durch seine Gedanken und Cai fuhr sich leicht entnervt mit der Hand durch das kurze rote Haar. während er eilig durch die ruhigen Korridore Schritt. Er wusste dass es nicht unbedingt die feine Art war und auch nicht wirklich diskret… aber schwere Aufgaben erforderten eben schwere Maßnahmen. ”Wenn es dich so interessiert, könntest du ihn auch einfach fragen!" meldete sich Nero abermals zu Wort. Der Luftdrache lag ausgestreckt in einem der großen Höfe und ließ sich die Sonne auf den Rücken scheinen und stand gleichzeitig Schmiere für Cai. Sein neuer Schwingenmann war derzeit samt Drachen ausgeflogen und er wollte die Gelegenheit nutzen um diesen Athaín ein wenig besser kennen zu lernen. Was in etwa heißen sollte, er wollte in dessen persönlichen Sachen ein wenig rumschnüffeln.
”Geht nicht, der Kerl ist schweigsamer als ein Schwertknauf! Ich habs versucht, aber glaubst du der hätte irgendwas erzählt? Dem muss man jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen, wenn er sich denn überhaupt dazu herablässt dir zu antworten!” noch dazu war es dank dieser mysteriösen Augenbinde auch noch absolut unmöglich irgendwas aus dem Gesicht des Weißhaarigen Drachenreiters zu lesen. Cai schnaubte leise, während er noch einmal einen kurzen Blick nach links und rechts in den Korridor warf, aber es war weit und breit niemand zu sehen. Die meisten waren draußen und nutzten die Sonnenstrahlen und die damit einhergehenden warmen Aufwinde, eine Gelegenheit sich Cai und Nero normalerweise sicher auch nicht entgehen ließen, aber heute hatte er Nero zum Schmiere stehen verdonnert, denn so eine Gelegenheit kam vielleicht nie wieder. Vielleicht waren die Bemerkungen des silbrigen Luftdrachens auch deswegen so spitzzüngig, weil er insgeheim wegen der verpassten Chance schmollte.
”Warne mich einfach nur rechtzeitig wenn die beiden zurückkommen, ja?” Aber alles was Cai als Antwort bekam war ein tiefes mentales Brummen. Nun gut, das musste fürs erste als Zustimmung reichen!

Der kleine Raum den er sich mittlerweile mit Athaín teilte, lag kühl und still vor ihm und Cai lehnte die Türe nur an, damit er hören konnte was draußen auf dem Gang passierte. Die Möblierung war recht spartanisch und schlicht, wobei sich Cais Seite des Raumes ein wenig abhob weil allerhand Krimskrams verstreut war und es im allgemeinen einfach eher so aussah als würde dort jemand leben. Die seite Seines Flügelmannes war geradezu unveränderlich sauber, sogar das Leintuch war mit fast beängstigender Präzision über das Bett gespannt.
Nun, es gab ohnehin nicht viele Sachen in Cai seine neugierige Nase stecken konnte, auf den schlichten Tisch gab es nicht viel zu entdecken was man nicht auf den ersten Blick bereits gesehen hätte, schließlich führte er keine Briefkorrespondenzen und auch Bilder, Karten oder andere Schriftstücke suchte man natürlich vergebens.
Dann blieb eigentlich nur noch… der Schrank.
Ihm schlug der feine Geruch von frischer Wäsche entgegen, als er die Türe öffnete und er wurde sogleich vom Anblick fein säuberlich zusammengelegten Kleidungsstücken präsentiert. Natürlich, der Kerl konnte Wäsche falten wie kein zweiter. Dass hatte Cai schon an jenem Tag feststellen müssen, als das Schicksal die beiden zu einem Gespann zusammengewürfelt hatte.
Also… gab es hier noch irgendetwas spannendes auch? Außer der typisch makellos sauberen Kleidung und nur einigen wenigen Ausrüstungsgegenständen welche völlig uninteressant waren, mal abgesehen davon dass sie den spartanischen Lebensstil des Drachenreiters noch unterstrichen…
Nach einigem stöbern fand er eine Flöte, sorgsam in Stoff eingeschlagen. Cai drehte sich vorsichtig in den Fingern. Sie war ganz eindeutig aus einem Knochen geschnitzt und augenscheinlich auch furchtbar alt. Vorsichtshalber legte er sie wieder zurück, bevor sie noch zu Bruch ging, bei seinem Glück konnte man ja nie wissen…
Konnte es denn wirklich sein, dass der Kerl wirklich nichts aufregenderes als eine alte Knochenflöte besaß?
Wenn er wirklich so makellos langweilig war, warum erzählte man sich dann hier die irrsten Geschichten über ihn? Das passte doch hinten und vorne nicht zusammen!
Caius war schon drauf und dran die Suche frustriert aufzugeben, als doch noch etwas auffälliges seinen Blick einfing. Ganz hinten im Schrank leuchtete etwas hervor, etwas das für den sonst so schlichten Stil seines Flügelmannes absolut untypisch war. Cai wusste schon alleine durch die berührung des Stoffes, dass er hier etwas besonderes in Händen hielt und er zog mit großer Umsicht ein äußerst aufwendig gearbeitetes Gewand aus der hintersten Ecke des Schrankes hervor.
Das musste elfischer Machart sein, der Stoff war leicht und fein und die prächtig gearbeiteten Stickereien ließen darauf schließen dass es sich wahrscheinlich um eine eher formelle Garderobe handeln musste, ein Zeremoniengewand oder so.
Das… war zumindest mal irgendetwas. Auch wenn die Ausbeute jetzt nicht unbedingt ergiebig oder aussagekräftig war. Der Kerl blieb einfach ein Buch mit sieben Siegeln, das war doch zum aus der Haut fahren!
Früher als erwartet waren Athaín und Alachia mit ihrem Trupp vom Einsatz zurückgekommen. Der gesichtete Polpor - eine polypenhafte Schattenbestie, die je nachdem wie riesig sie war ganze Luftschiffe verschlingen konnte - hatte sich zum Glück als kleiner entpuppt als zuerst angenommen. Er hatte auch keine Ableger ausgebildet, dazu hatten es die Drachenreiter nicht kommen lassen. Scherzend und bester Laune landeten sie im Innenhof, und stiegen dann ab um ihren jeweiligen Beschäftigungen nachzugehen, während sich die Drachen ihrerseits ein Plätzchen zum Ausruhen suchten.

Just in diesem Moment vergeigte eine Truppe Anwärter ihren Formationsflug und drohte vom Himmel zu purzeln, sodass alle Anwesenden samt Drachen den Kopf einziehen mussten und auseinander stoben. Da konnte man als schmierestehender Jungdrache schonmal den Überblick verlieren, zumal einer der Jungs mit seinem dunkelgrünen Erddrachen wild gestikulierend und mit schreckgeweiteten Augen - und vermutlich nach Mama und Papa schreiend - ballistisch auf Nero zugestürzt kam und ihn zum Ausweichmanöver zwang, bevor der Nachwuchsreiter seinen Gefährten wieder unter Kontrolle bekam, und beide zu ihrem Glück nicht an der nächsten Wand endeten. Ja, ein Aufenthalt auf dem Drachenfelsen war zuweilen nichts für schwache Nerven.

Athaín hatte sich derweil ins Gebäude verdrückt, nicht ahnend dass da ein Spionage-Komplott gegen ihn im Gange war. Er hatte vor die Rüstung loszuwerden, in den Zuber zu springen und frische Sachen anzuziehen, bevor er... genau genommen noch nichts vorhatte. Wo der Frischling abgeblieben war, den man ihm vor Kurzem als neuen Flügelmann zugeteilt und in seiner Stube einquartiert hatte, wusste er nicht. Auf den Einsatz war er nicht mitgeschickt worden, da auf die Schnelle ein Fünfertrupp zusammengestellt worden war. Wie so oft war Athaín die Nummer Fünf gewesen. Der Solist, der überall eingreifen konnte. Das beherrschte er meisterlich, wohingegen er es selten schaffte sich in eine disziplinierte Formation einzufügen und Befehle zu befolgen. Oh, er war gut. Sehr gut sogar. Und das wusste er auch. Aber er hatte von Kindesbeinen an gelernt ein Einzelkämpfer zu sein.

Gemächlich schritt der Halbdrache die Gänge entlang zu seiner Stube. Im Erdgeschoss lagen die Quartiere der Anwärter. Dann eine Treppe. Zwölf Stufen. Ein Absatz. Weitere zwölf Stufen. Einundwanzig Schritte nach links, dann achtundfünfzig nach rechts... Athaín hatte gelernt sich auf diese Weise zu orientieren. Schritte zählen, auf das Echo der Stiefelabsätze lauschen, Geräusche und Gerüche zu interpretieren und auf seinen Instinkt zu hören. Seinen Tastsinn setzte er nur ein wenn es nicht anders ging, und selbst dann nur die Fingerspitzen. Wenn es zu den prägenden Erfahrungen gehörte, in einen Topf voller Spinnen oder Frösche zu greifen, Glibbriges oder Ekliges vor Finger oder Füße gelegt zu bekommen, entwickelte man einen ausgesprochenen Widerwillen gegen überraschenden Hautkontakt. Deswegen trug Athaín meistens Handschuhe, was wiederum den Tastsinn sehr einschränkte. Umso mehr verließ er sich deshalb auf sein sensibles Gehör. Die Flöhe husten hörte man damit zwar nicht unbedingt, aber man bekam schon einiges mit. Zum Beispiel das leise Geraschel, was bei Schritt siebenundvierzig von vorn an sein Ohr drang und ihn verharren ließ.

Das Huschen einer Maus? Nein. Zu zielstrebig. Außerdem wurde das Geraschel nicht unterbrochen, was darauf schließen ließ dass sich die Person - die wahrscheinlich kein Tier war, denn ein Solches wäre gewarnt gewesen - sicher wähnte und in aller Seelenruhe fortfuhr. Nun zog es Athaín doch vor, sich an der Wand entlang zu pirschen und langsam weiter zu gehen. Vorsichtig, damit die metallbeschlagenen Stiefel kein Geräusch verursachten. Die Hand legte er auf den Schwertknauf, damit es ebenfalls nicht unbeabsichtigt polterte oder schepperte. Je näher er kam, desto sicherer wurde er, dass da jemand in seiner Stube war. Das allein war noch kein Grund zur Beunruhigung, denn schließlich bewohnte er sie nicht allein. Aber die Art der leisen Geräusche, so heimlich und verstohlen, passte eher zu einem Dieb, als zu jemandem der sich mit voller Berechtigung irgendwo aufhielt. Potz Blitz! Wer sollte auf die Idee kommen ihre Stube zu durchwühlen? Ein Streich?

Die Tür stand einen guten Spalt auf, wie der Halbdrache feststellte als er nach dem Knauf tastete. Mit einem Ruck riss er sie auf und stand nun in epischer Breite und voll gerüstet mitten im Eingang, sodass kein Vorbeiwitschen möglich war. Das Visier des Helms, welches nur aus einer glatten Platte ohne Sehschlitze bestand, ließ nur die Kinnpartie frei, was es sehr schwierig machte seinen Gesichtsausdruck zu deuten. "Suchst du was Bestimmtes, Freund?" erkundigte er sich in ruhigem, aber durchaus nachdrücklichem Tonfall. "Kann ich dir vielleicht helfen es zu finden?"
Cai seufzte leise während er das hübsche Gewand musterte. Das einzige was daran wirklich auffällig war, war die Tatsache dass es überhaupt nicht zu dem eigentlich nüchternen und schlichten Stil seines Flügelmannes passte. Er war… ja doch irgendwie enttäuscht? Aber mal ehrlich, was hatte er denn erwartet? Athaín hatte keine Leichen im Keller und natürlich auch keine in seinem Schrank versteckt. Er war einfach nur verdammt schweigsam und reserviert.
Wahrscheinlich war es besser alles wieder an seinen Platz zu legen und zu verschwinden.
Aber der Junge Drachenreiter hielt mitten in der Bewegung inne, als er plötzlich Neros Unruhe spürte “Nero? Alles in Ordnung?“ der Luftdrache antwortete ihm nicht, dafür schwappte auf Caius eine eigenwillige Gefühlsmischung aus Ärger und Belustigung über und er schüttelte den Kopf um die Emotionen, welche nicht die seinen waren, wieder loszuwerden. Das war irgendetwas persönliches… Aufmerksamkeit zurück auf das was ihn betraf!

Mit einem kräftigen Ruck wurde die Türe zu der kleinen Stube aufgerissen und eine nur zu bekannte Stimme schnitt durch die heimlichtuerische Stille >“Suchst du was Bestimmtes, Freund?"<
Vor Schreck machte Cai einen Satz nach hinten und stieß mit einem lauten rumpeln gegen das Bett hinter ihm „Ach du heilige Scheiße!“ entfuhr es ihm unwillkürlich, während sein Herz wie rasend gegen seinen Brustkorb hämmerte. In der Türe stand Athaín, in voller Rüstung füllte er den Türrahmen fast komplett aus, das Gesicht unnahbar hinter dem kalten Metall seines Helms verborgen, sodass man unmöglich sagen konnte was gerade in ihm vorging.
„Äh…“ ach verdammt das lief ja wieder mal wunderbar!
“Herzlichen Dank fürs Warnen!“ Cai sandte die Worte mit einem gewissen Anflug aus Zorn zu seinem Seelengefährten, denn er fühlte sich eindeutig im Stich gelassen.
Wie? Wo ist er denn?“ und Neros unschuldige Überraschung trug jetzt nicht unbedingt bei um diese Gefühle zu zerstreuen.
“Er steht in der verflixten Türe! Zumindest eine kurze Meldung wäre fein gewesen. Du musst dich gesehen haben wie sie landen!“
“Athos und Nineve wären fast auf mir gelandet! Bitte entschuldige dass ich da ein wenig abgelenkt war!“ verteidigte sich der Luftdrache beleidigt, anscheinend seinerseits davon überzeugt, dass dieses Ereignis das andere natürlich überschattete und er doch ein wenig Mitleid verdient hätte.
Cai hätte gerne noch eine bissige Bemerkung zurück gegeben aber er hatte hier ein viel größeres Problem um das er sich kümmern musste.
Athaín stand immer noch mitten in der Türe und da er sich durch seinen überraschten Ausruf ja schon verraten hatte, musste er sich da jetzt wohl irgendwie wieder herausreden.
„Du… ähm… bist schon wieder zurück? Ich dachte du wärst noch länger unterwegs mit… mit dem Trupp! Schatten jagen und so...“ begann er also einfach mal zu reden “Polpor! Sie haben einen Polpor gejagt!“ warf Nero hilfreich ein. Manchmal war es ein echtes Wunder wieviel der Drache manchmal von Cais Gedanken mitbekam, wenn er es denn wollte.
„Und das hier… ist nicht das wonach es aussieht…“ ein kurzes zögern „...oder sich vielleicht anhört!“ möglichst unauffällig und ohne groß verdächtige Geräusche zu verursachen, versuchte er das Gewand wieder in den Schrank zu schummeln während ihn immer stärker der Verdacht beschlich dass er gerade dabei war sich um Kopf und Kragen zu reden. „Aber… wir- wir haben einen Stapel frischer Wäsche bekommen und… ich wollte dir helfen und sie gleich in deinen Schrank räumen!“ was für eine elendiglich schwache Ausrede! Sogar Nero machte sich die Mühe um das aus der Ferne anzumerken.
“Sei einfach nur still!“ gab Cai knurrend zurück, woraufhin Nero ihm mit der mentalen Version der kalten Schulter antwortete. Toll, noch eine beleidigte Diva die sauer auf ihn war.
Aber gut, ein Problem nach dem anderen! Erst musste er sich um Athaín kümmern, dann konnte er sich mit dem eingeschnappten Drachen befassen!
Tatsächlich zählte Athaín für die über 300 Jahre seiner Existenz erstaunlich wenig zu seinen Besitztümern. Die Zeit hätte ausgereicht um ganze Speicher voll Kram anzuhäufen, und dennoch besaß er - abgesehen von Ausrüstung und Waffen - nicht mehr als in eine Satteltasche passte. Ein, zwei Hosen zum Wechseln, ebensoviele Hemden, etwas Unterzeug, eine alte Beinflöte und - ein elbisches Gewand in hellem Lindgrün, versehen mit filigranen silbernen Stickereien. Jemand hatte darauf geachtet dass die Farben zu seiner hellen Haut und der ungewöhnlichen Haarfarbe passten, und das war ganz sicher nicht der Drachenreiter selbst gewesen, denn der war dafür bekannt nicht eben auf sein Aussehen zu achen. Überdies trug Athaín zwar einen elbisch klingenden Namen, war jedoch kein Elb. Möglicherweise ein halber, denn seine Ohren liefen leicht spitz zu. Aber er stammte bekanntermaßen aus Aeria, nicht aus Nad'galarn, und auf Elbisch konnte er gerade einmal Guten Tag sagen. Hier passte definitiv einiges nicht zusammen.

Dennoch hatte der Halbdrache natürlich etwas dagegen dass seine Sachen durchwühlt wurden, auch wenn es nicht viel zum Durchwühlen gab. Der plötzliche Auftritt verfehlte seine Wirkung nicht, und nun war es an Athaín überrascht zu sein, denn die Stimme, die ihm da mit einem wortgewandten "Äh..." antwortete, war ihm wohlbekannt. Sie gehörte ganz eindeutig seinem Schwingenbruder und seit Neustem Stubengenossen - Caius. Ein Bengel von etwas über 20 Sommern, der gerade erst seine Prüfung absolviert hatte und sich seit ein paar Monaten Pares nennen durfte. Er besaß einen Luftdrachen namens Nero. Das war allerdings schon so ziemlich alles, was Athaín über ihn wusste. Naja, vielleicht noch dass er sich bisher als weniger nervig entpuppt hatte als gedacht. Im Gegenteil machte er sogar ziemlich viel Blödsinn mit und hatte es geschafft noch nicht draufzugehen. Das hieß, dass der Ältere eigentlich eine relativ hohe Meinung von ihm hatte. Dass er sich ganz offenkundig hier auf der falschen Stubenseite aufhielt und etwas Raschelndes aus einem Schrank hervorgezogen hatte, der ihm eindeutig nicht gehörte, würde er allerdings erklären müssen.

"Wie du siehst, und anscheinend wurde ich für später erwartet", stellte er trocken fest und machte keine Anstalten sich aus dem Türrahmen fort zu bewegen. Ein Fangenspiel würde der blinde Kämpfer verlieren, denn es gab Grenzen seiner physischen Möglichkeiten. Also sorgte er dafür, dass ihm der quirlige Jungspund gar nicht erst durch die Lappen gehen konnte. Es gab ein schmales Fenster an der gegenüberliegenden Wand, und wahrscheinlich würde sich Caius sogar durchquetschen können, aber aus dem ersten Stock zu springen und sich mit Pech den Knöchel zu brechen wäre außerordentlich dämlich, weshalb er das nach Athaíns taktischer Einschätzung wohl nicht tun würde.

"Ah. Dann ist ja gut." Einem Hauch von Amüsement konnte sich der Drachenreiter nicht verweigern, als er die üblichen Ausreden zu hören bekam, und der Kleine so gerade eben noch die Kurve erwischte. Er verzog jedoch keine Miene und beschloss ihn erstmal zappeln zu lassen. Strafe musste schließlich sein, auch wenn es Athaín im Grunde nicht so furchtbar verwerflich fand, dass der Junge sich über seinen Schwingenbruder informieren wollte. An seiner Stelle hätte er wahrscheinlich dasselbe gemacht. Schließlich vertraute man einander sogar das Leben an, und die Schränke waren nicht abgeschlossen. Aber Caius hatte sich erwischen lassen, also musste er ihn ein wenig triezen. Das wäre ja auch sonst enttäuschend. Dass der Kleine versuchte etwas verschwinden zu lassen blieb den feinen Ohren des Blinden nicht verborgen. Er verzichtete jedoch auf eine Bemerkung, da es ohnehin nicht viele Möglichkeiten gab was er da verschwinden ließ. Seine Unterhosen waren sicher nicht von so bahnbrechendem Interesse, dass man sie extra aus dem Schrank hervorkramen musste.

"Das ist aber wirklich sehr fürsorglich von dir." In Athaíns Mundwinkeln zuckte es. "Auch wenn ich schwören könnte, dass gestern Wäschetag war und ich sie selbst weggeräumt habe. Aber wahrscheinlich hab ich mich im Tag vertan, was? Kann ja mal passieren. Was für Wäsche gab es denn? Das was du da gerade in meinen Schrank stopfst, hört sich verdächtig nach einem Ballkleid an. Merkwürdig. Dabei besitze ich gar keins."
Athaín stand unnachgiebig wie ein Felsen in der Türe und vereitelte schon alleine den Gedanken an eine Flucht zur Türe hinaus. Was dann noch bliebe, wäre das kleine Fenster. Und ja, er hatte tatsächlich darüber nachgedacht, sich Hals über Kopf aus dem Fenster zu schummeln, was an sich schon recht beschämend war, auch wenn er sich sicher war dass er auf diesem Wege entkommen wäre.
Aber… Athaín war sein Flügelmann und Schwingenbruder, wenn er schon vor ihm wegrannte, wie sollte er dann jemals beweisen dass er wirklich das Zeug zum Drachenreiter hatte und er es nicht einfach nur glücklichem
Zufall zu verdanken hatte?
Und woher sollte er mit Sicherheit wissen, ob er jemals so etwas wie eine zweite Chance bekam?
„Weise Entscheidung!“ kommentierte Nero wohlwollend aus sicherer Entfernung. Der Luftdrache schien es immer besonders zu genießen wenn Cai alleine in Schwierigkeiten steckte und er gab sich dann auch immer redlich Mühe ihn mit weisen Ratschlägen zu unterstützen.
„Könntest du bitte einfach mal die Klappe halten?“ zu hören war von Caius zwar nur ein schweres Seufzen, während er sich kurz mit einer Hand das Haar raufte und dann den Versuch aufgab Athains Robe unauffällig wieder in seinem Schrank verschwinden zu lassen.
Der weißhaarige Drachenreiter machte nur zu deutlich, dass er ihn nicht so einfach davonkommen lassen würde.
„Ein Ballkleid… na wenn du es sagst, dann muss es wohl stimmen. Weil ich… weiß nicht so recht was ich da wirklich in Händen halte.“ der Rotschopf legte das feine Gewand auf das Bett des anderen, bevor er scheinbar einige Schritte Abstand von dem unnachgiebigen und gesichtslosen Helm seines Zimmergenossens suchte. Auch nur Athaín kam auf die Idee in voller Rüstung hierher zu stapfen.

Cai gestattete sich ein tiefes Durchschnaufen um die Nerven zu beruhigen, welche immer noch ob des Schrecks durch das unerwartete Erwischt werden flatterten und verschränkte die Arme vor der Brust um das nervöse Zucken der Fingerspitzen zu verbergen, welches Athaín allerdings ohnehin nicht sehen konnte.
Es gab ohnehin nur mehr einen Weg in den er gehen konnte… „Also schön, Karten auf den Tisch!“ fing er schließlich an „Ich geb zu… deine Sachen zu durchwühlen war nicht die feine Art, aber... wir kennen uns jetzt schon… ein oder zwei Monate vielleicht und… ich weiß nichts über dich! Oder, so gut wie nichts außer deinen Namen und dass du hier eine Reputation hast die stark zwischen irre und Genie hin und her schwankt und der Rest ist ein Mischmasch aus Gerüchten und Geschichten über dich, aus denen man mühsam die Wahrheit heraus klauben muss, weil man nie ganz sicher sein kann was davon jetzt wirklich passiert ist und was nicht!“
Der Vorsatz die Sache ruhig und gefasst anzugehen hatte ja wieder nicht besonders lange gehalten. Stattdessen lief er schon wieder unruhig in der kleinen Stube auf und ab und vermied es völlig unnötiger Weise, das glatte Visier von Athaíns Helm anzusehen.
„Und wenn ich dich was frage dann kann ich froh sein wenn ich überhaupt eine Antwort bekomme, ich könnte genauso gut mit deiner leeren Rüstung plaudern, das hätte ungefähr den selben Effekt.“ mit einer ausholenden Handbewegung deutete Cai auf den Drachenreiter der immer noch in voller Montur im im Zimmer stand, um zu verdeutlichen was er meinte.
„Und du… ich mein, zeitweise kommt’s mir vor als würdest du in meinen Gedanken lesen ohne dass du hinschauen musst. Ich mein… du kennst mich, oder wenn du was wissen willst dann brauchst du nur zu fragen, weil ich hab keine Geheimnisse. Oder zumindest keine die ich hinter einer Maske verstecken müsste!“ kaum war der letzte Satz heraußen biss er sich auch schon auf die Lippen. Seine Vorlaute Klappe hatte ihn schon öfter in Schwierigkeiten gebracht, als dass sie ihn aus solchen wieder heraus geholt hatte.
Abermals raufte er sich das kurze rote Haar, bevor er kurz den Kopf schüttelte „Ach, weißt du was: ist mir egal! Wenn du mich melden willst, dann mach das, würd ich sogar verstehen. Aber steh nicht da wie ein Golem und sag irgendwas!“
Natürlich latschte für gewöhnlich niemand in voller Rüstung auf die Stube. Aber die Rüstkammer lag am Ende des Flurs und die Stube auf dem Weg dorthin. Eigentlich hatte Athaín zunächst daran vorbei gehen und erst auf dem Rückweg frische Sachen holen wollen, aber dann hatte er die Geräusche gehört und sich genötigt gefühlt einen Abstecher zu machen. Schließlich konnte man ja nicht wissen ob nicht irgendein vorwitziger Initiat die Schränke durchwühlte, oder gar ein Vorgesetzter eine Überprüfung angeordnet hatte. Dergleichen kam durchaus vor, denn auch auf dem Drachenfelsen war nicht immer Gold was glänzte. Diebstähle waren zwar selten, beziehungsweise entpuppten sich zumeist als harmlose Schussligkeit, aber es waren durchaus schon geheime Alkohol- und Rauschmittelvorräte gefunden worden. Abgesehen davon gab es auch unter den Drachenreitern solche, die nicht die Ordentlichsten und Reinlichsten waren. Um all diesen Umtrieben vorzubeugen, wurden unregelmäßig Stubenkontrollen durchgeführt.

Damit den eigenen Schwingenbruder an seinem Schrank zu erwischen, hatte Athaín allerdings kaum gerechnet. Nun ja, immerhin konnte er sicher sein dass dieser nichts Verbotenes oder Widerwärtiges gefunden hatte. Der Blinde hasste Durcheinander und sorgte immer dafür, dass es nicht nur wenig Auswahl gab, sondern sich auch möglichst alles an seinem Platz befand. Überdies fand er weder Geschmack daran sich heimlich zu besaufen, noch ausgeborgte und nicht zurückgegebene Gegenstände zu horten.

Ein erneutes leises Rascheln ertönte, diesmal vom Bett her. Anscheinend hatte der junge Naseweis es aufgegeben das elbische Gewand wieder in den Schrank stopfen zu wollen und es stattdessen weggelegt. Der Gerüstete löste sich aus dem Türrahmen und trat in die Stube hinein, wobei er die metallbeschlagenen Handschuhe von den Fingern streifte, denn mit denen konnte man ein Schwert führen, aber kein spinnwebzartes Gewebe berühren ohne dass es zerriss. Deswegen wurden sie auf dem einfachen Holztisch abgelegt, den die Stubengenossen sich teilten, bevor der Ältere zum Bett trat und kurz über die ordentlich zusammengelegte Decke strich, bis seine Finger das Gewand ertasteten und es äußerst behutsam aufnahmen.

"Du weißt also nicht was das ist", stellte er nüchtern fest. Eigentlich hätte er anfügen können dass der Jungspund dann auch die Griffel davon hätte lassen sollen, aber Athaín hasste es ebensosehr Moralpredigten zu halten wie sich welche anhören zu müssen. "Ich dagegen wusste nicht, dass dich das interessiert", zuckte er stattdessen mit den Schultern. "Es ist das Kleidungsstück, was ich zu meiner Initiation getragen habe. Windmeister Gavron gab es mir, weil meine Rüstung noch beim Schmied war und ich als einziger meines Jahrgangs kein Sonnentagswams besaß. Da er es nie zurück wollte, bewahre ich es seitdem auf. Inzwischen dürfte es eher dir passen als mir." Tatsächlich schien das prächtige Gewand auf die Körpermaße einer schlanken, langaufgeschossenen Person zugeschnitten zu sein, und nicht auf jemanden mit Athaíns athletischer Statur. Mit achtsamen Bewegungen legte der Halbdrache es zusammen und hängte es wieder über die Kleiderstange. Dann suchte er einen Stapel Kleidung für sich selbst heraus, inklusive eines einfachen Stücks Stoff, und schloss die Schranktür wieder.

„Also schön, Karten auf den Tisch!“ Der energische Tonfall ließ den älteren Drachenreiter sich umdrehen und Caius das Gesicht zuwenden, welches immer noch hinter dem glatten Visier verborgen lag. So. Der Junge trat also die Flucht nach vorn an. Nun ja. Angriff war zuweilen die beste Verteidigung, das wusste wohl kaum jemand besser als Athaín. Er neigte leicht den Kopf bei der halben Entschuldigung, unterbrach aber nicht und hörte sich an was der Kleine zu sagen hatte. In der Tat musste er zugeben, ihn bisher nicht sonderlich ernst genommen zu haben. Er war Frischfleisch, seine Rüstung glänzte noch neu und sein Schwert besaß kaum eine Scharte, warum sollte ein Krieger mit über drei Jahrhunderten Kampferfahrung ihn mehr als nur zur Kenntnis nehmen? Natürlich hatte der hellhaarige Drachenreiter nicht bewusst so gedacht, aber... unbewusst war es wohl schon so, dass man sich mit der Zeit eine gewisse Art aneignete, die auf andere durchaus überheblich wirken konnte. Selbst dann, wenn man so wirklich wenig Grund zur Überheblichkeit hatte wie Athaín, und es im Grunde auch nicht war.

Oh ja, natürlich kannte er die Geschichten, die über ihn im Umlauf waren. Die meisten davon besaßen zumindest einen wahren Kern, auch wenn er bei manchen selbst nicht mehr wusste ob es sich tatsächlich so zugetragen hatte. "Woho sachte", hob er schließlich die Hand, um dem Redeschwall des Rotschopfs Einhalt zu gebieten. "Die Leute zerreißen sich gern das Maul. Ich habe gelernt sie reden zu lassen, das ist am einfachsten. Wenn ich zu einer Sache nichts zu sagen habe, halte ich meinen Mund. Aber ich habe dir noch nie eine unwahre Antwort gegeben." Er runzelte die Stirn. Es stimmte zwar jedes Wort von dem was er sagte, aber nun ja. Vielleicht hätte er sich bisweilen die Mühe machen sollen sich zu artikulieren, anstatt einfach nur mit den Schultern zu zucken. Manchmal, das musste er zugeben, nahm er das mit dem Mundhalten aus purer Faulheit zu wörtlich. Na schön. Soweit sich vor dem Frischling zu rechtfertigen war er noch nicht, denn schließlich hatte er ihn beim Schnüffeln erwischt, nicht umgekehrt.

"Wenn du nicht willst dass andere deine Gedanken lesen, darfst du sie nicht auf der Zunge spazieren tragen", brummte Athaín. "Viele haben gelernt ihre Miene undurchdringlich erscheinen zu lassen und denken niemand durchschaut sie. Aber die wenigsten schaffen es ihre Stimme zu maskieren. A propos Maske..." Er legte den Kopf schief und klang ehrlich fragend. "Wie kommst du darauf, dass ich Geheimnisse verberge? Ich verberge nichts weiter als missgebildete Augen. Die Tatsache dass ich blind bin ist dir vermutlich bekannt?" Der Hellhaarige legte den Stapel Kleidung auf den Tisch, wo auch bereits die Handschuhe lagen. "Sagt man auch dass ich eine Petzliese bin, oder warum sollte ich dich melden?"
In Cai spielte sich eine äußerst eigenwillige Gefühlsmischung ab: zum einen Scham , weil er nur zu gut wusste, dass er nichts in Athaíns Sachen verloren hatte, Widerwillen, weil sein Flügelmann ihn auf frischer Tat ertappt hatte und immer noch brennende Neugierde, die sich mit schwerem Ellbogeneinsatz im Vordergrund hielt. Er beobachtete, wie Athaín schließlich seinen Platz in der Türe verließ und eine Möglichkeit zur Flucht eröffnete, aber… besagte Neugierde führte dazu dass er blieb wo er war und zuhörte, während der Weißhaarige das feine Gewand wieder ordentlich zusammen legte und in den Schrank hängte.
“Das war dein Initiationsgewand?” fragte er erstaunt nach, während er versuchte sich Athaín in dieser aufwändig gearbeiteten Robe vorzustellen und kläglich daran scheiterte. Vielleicht lag es auch daran, dass er den Drachenreiter jetzt in voller Montur vor sich hatte und es schier unmöglich machte ihn sich als schlanken Jüngling mit schmalen Schultern in elbischer Kleidung vorzustellen. Vor dieser Aufgabe streikte selbst seine Fantasie…

Ach, der verfluchte Helm ohne Zeichnung und Sehschlitz war ihm immer noch… unheimlich. Ja doch, denn man hatte trotz allem irgendwie das Gefühl angesehen zu werden, ohne… das es ein Gesicht gab dass einen Ansah. Was irgendwie ganz schön an den Nerven zehrte wenn er ehrlich war. Aber diese Tatsache würde er Athaín ganz sicher nicht an die Nase binden, sondern versteckte seine Nervosität hinter einem sehr energischem Redeschwall zu verbergen, bei dem dafür sehr viele andere Wahrheiten über seine Lippen sprudelten.
Erst Athaíns erhobene Hand bremste ihn wieder ein, wohl auch deshalb weil Cai sehr gespannt drauf war, was sein Zimmergenosse denn zu dieses Vorwürfen sagen zu hatte.
Und die Antwort war… wie schon so oft einfach nur enttäuschend. Cai ließ die Schultern ein wenig hängen und seufzte leise. “Das mag ja schon sein… aber dafür gibst du so gut wie nie Antworten.” antwortete er erstaunlich nüchtern, für sein voriges Aufbrausen. Er hatte Athaín nie vorgeworfen, dass er ihn anlügen würde. Denn lügen setzte voraus dass man miteinander sprach und kommunizierte, dass man nicht ständig das Gefühl hatte gegen eine Wand zu reden.
“Hör mal, ich kanns… vielleicht sogar irgendwie ein wenig verstehen, wenn du mich nicht ernst nimmst. Wäre das Schicksal nicht gewesen, hätte man mich niemals zu deinem Flügelmann gemacht. Und mir ist auch klar, dass du nicht sonderlich darüber begeistert bist dass du dich jetzt mit mir rumschlagen musst. Aber… du gibst mir ja nicht einmal die Chance mich zu beweisen.” Cai schluckte. Die Worte wären wohl viel Eindrucksvoller gewesen, wenn er sie dramatisch hinaus gebrüllt hatte. Aber nein, er klang viel eher wütend und wahrscheinlich auch verzweifelt, weil das ganze Gespräch an einem Thema kratzte dass ihn schon in die Knie zwingen wollte, seit er am Drachenfelsen angekommen war: Die Erwartungshaltung, dass er nicht das Zeug dazu hatte. Zu jung, zu leichtsinnig, zu impulsiv zu… was auch immer, um ein Drachenreiter zu sein.

“Hm… ja. Danke für den Tipp.” murmelte er leise und mit Sarkasmus in der Stimme. Ja, solche Ratschläge hatte er oft schon gehört, dass er seine Emotionen nicht nach außen tragen durfte und lernen musste seinen Charakter zu kontrollieren, was immer ein Gefühl war als würde er versuchen eine Flut aufzuhalten mit einem Damm aus Sand. Es funktionierte nicht.
Cai fuhr sich unwirsch durch die roten Haare, bevor er leise Seufzend mit den Schultern zuckte “Ich weiß nicht. Nach allem was ich über dich gehört habe, könnte auch genauso gut die Geschichte stimmen dass du mit deinen Augen Löcher in jeden brennst den du ansiehst, oder dass du Drachenaugen hast.Was weiß ich, such dir eine der unzähligen Geschichten aus, die man über dich und deine Augenbinde erzählt. Da ist eine verrückter als die andere.”
Ja, das einzige indem sich alle Geschichten einig waren, war die Tatsache dass Athaín blind war, obwohl… es gab auch Theorien die genau das widerlegen wollten.
Aber er zögerte bevor er die nächste Frage beantwortete. (Mal ehrlich, warum beantwortete er denn schon wieder die Fragen?) “Nein eigentlich nicht…” gab er schließlich zurück “Aber… keine Ahnung, ich steh einfach nicht so auf Gerüchte und mache mir lieber selbst ein Bild…”
Als der ältere Krieger die Tür freigab, bekam Caius Gelegenheit zu beweisen wie ernst es ihm mit seiner Wissbegierde war. Hätte er es vorgezogen wie ein schmollender kleiner Junge das Weite zu suchen - Athaín wäre ihm nicht hinterher gerannt. Gemeldet hätte er ihn ebenfalls nicht, das wäre der Mühe nicht wert gewesen. Aber seinen Respekt hätte er sich auf diese Weise auch nicht verdient, und sich in Zukunft nie wieder darüber beschweren müssen nicht ernstgenommen zu werden. Doch Caius machte keine Anstalten zu entwischen. Er blieb, und so erfuhr er auch das... nun ja... Geheimnis des elbischen Prunkgewandes. Nicht dass Athaín jemals eines daraus gemacht hatte. Er wäre nur schlicht nicht darauf gekommen, dass sich jemand dafür interessieren könnte. So wie er es allgemein nicht gewohnt war, dass sich jemand für seine Person interessierte - außer wenn er mal wieder etwas verbockt hatte.

Er nickte bestätigend und ließ ein schmales Grinsen sehen. "Tja. Kaum vorstellbar, was?" Es war gefühlte Äonen her, tatsächlich mehr als drei Jahrhunderte. Seitdem war viel geschehen. Jedes andere Kleidungsstück hätte sich inzwischen in seine Bestandteile aufgelöst. Aber elbische Seide und elbisches Garn waren buchstäblich für die Ewigkeit gewirkt. Die Farben leuchteten und kein Saum oder Faden hatte sich seitdem gelöst. Ja selbst für die Motten schien das Gewebe unverdaulich zu sein. Athaín verstaute das Gewand sorgfältig wieder im Schrank, bevor sich seine Aufmerksamkeit erneut auf Caius richtete, der ihm eine Menge zu erzählen - oder vielmehr an den Kopf zu werfen hatte.

Dummerweise musste sich der Halbdrache eingestehen, dass die meisten Vorwürfe stimmten. Zumindest wenn man es aus der Sicht des Jungen betrachtete. Er hatte das natürlich nie getan. Wie sollte er auch? Er war nicht besonders gut darin sich in andere einzufühlen. Er hatte ja sogar Probleme seine eigenen Gefühle zu verstehen. Kämpfen, das konnte er. Das hatte er gelernt. Athaín verließ sich gern auf Dinge, die er beherrschte und die er gelernt hatte. Mit allem anderen beschäftigte er sich nicht. Es war sinnlos darüber zu grübeln, ob man das Richtige empfand oder ob nicht vielleicht etwas Anderes angemessener wäre. Das führte nur dazu, dass man sich fragte warum man sich das überhaupt fragte, und das wiederum führte... nirgendwohin.

Athaín nahm die Ernüchterung wahr, die im Seufzen des Jungen mitschwang. Er musste nicht sehen wie die Schultern nach unten sackten, er konnte es sich vorstellen. Ihm war danach sich am Kopf zu kratzten, wie er es oft tat wenn er nicht wusste was er sonst tun sollte. Das ging aber schlecht, da er den Helm noch trug. Den Helm mit dem undurchsichtigen metallenen Visier, welches in seiner leicht gebogenen Form an den Schnabel eines Raubvogels erinnerte. Es erstreckte sich über die gesamte obere Gesichtshälfte und ließ nur die Kinnpartie frei. Der Halbdrache hatte sich selbst schon damit gesehen. Durch Alachias Augen. Zugegeben, besonders einladend war der Anblick nicht. Was er ja auch nicht unbedingt sein musste, wenn man auf einem Drachen saß und Schatten bekämpfte. Aber sie waren hier nicht im Gefecht, sondern standen sich gegenüber.

Langsam tasteten die Finger des Drachenreiters nach dem Kinnriemen und lösten ihn. Noch war er sich nicht sicher, ob das was sich unter dem Visier befand, den Jungen nicht noch mehr verstören würde. "Dass ich dich nicht respektiere ist nicht wahr", schüttelte er den Kopf. "Nicht immer ernst nehmen - gut, vielleicht. Du bist ein Grünschnabel, hast 'ne große Klappe und hältst nicht viel vom Nachdenken. Das ist aber nichts, was ausgerechnet mich stören sollte." Der Ältere ließ ein leicht ironisches Grinsen aufblitzen. Nein, wer im Glashaus saß, sollte wahrlich nicht mit Steinen werfen. Er wurde wieder ernster und zuckte mit den Schultern, was ihn daran erinnerte dass die metallenen Schulterplatten alles andere als bequem waren. Er wollte ja auch schon längst aus der Rüstung raus sein, aber - manchmal lief es eben nicht wie geplant.

"Es ist nur so, dass es bisher nur eine Handvoll Schwingenbrüder und -schwestern gab, die es mit mir aushielten", gestand er schließlich. "Die meisten baten schon nach kurzer Zeit um Versetzung, andere brauchten länger, aber gegangen sind sie alle. Oder sie fanden den Tod. Irgendwann hörte man auf mir Gesellschaft zuzuweisen, und ich... kam damit ganz gut zurecht. Dass nun wieder jemand da ist, ist vielleicht noch nicht ganz in meinem Kopf angekommen. Ich denke immer du gehst bald wieder. Hmpf. Entschuldige." Darin war Athaín auch nicht gut, aber es war ehrlich gemeint, und es klang auch angemessen zerknirscht. Dass er nicht unbedingt der gesellschaftstaugliche Typ war, dafür konnte der Junge schließlich nichts. Aber möglicherweise bekam Caius nun eine vage Ahnung, warum der Kerl nicht oft den Mund aufmachte um tiefsinnige Dinge von sich zu geben.

"Wenn du keine Tipps willst, dann beschwer dich nicht", brummte der Halbdrache lapidar und ohne jeden Anflug von Sarkasmus. Es klang eher etwas unwillig, da er für gewöhnlich überhaupt nicht gern Tipps gab. Von ihm aus konnten sie alle machen was sie wollten, solange sie ihn damit in Ruhe ließen. Die äußerst fantasievollen Schilderungen was man sich so alles erzählte ließen ihn jedoch erstaunt aufhorchen und wahlweise schmunzeln oder den Kopf schütteln. "Interessant. Die Idee mit dem Löcher brennen gefällt mir am besten!"

Damit nahm er den Helm ab und legte ihn zu den anderen Rüstungsteilen und Kleidungsstücken auf den Tisch, während seine Finger nach der Stoffbinde tasteten, die er vorhin zurechtgelegt hatte. Sein Gesicht konnte man dabei nur im Profil sehen, aber man konnte deutlich die Hornauswüchse erkennen, die anstelle von Augenbrauen aus seiner Stirn wuchsen. Sie waren gezackt, wie die Hornkämme von Drachen. Zudem waren goldene Schuppen zu sehen, die um das Auge herum, aber auch die Schläfe entlang und ein Stück die Wange hinunter zu reichen schienen. Eben der Bereich, der gewöhnlich durch die Augenbinde verdeckt war.

"Aber... schätze das mit den Drachenaugen ist am nächsten dran. Na schön. Hast du genug gesehen, oder willst du mir behilflich sein? Die meisten ertragen den Anblick nicht sehr lange, also sei gewarnt." Athaín hob das Stoffstück an und ließ es für einen Moment abwartend in der Luft pendeln. Caius konnte es entweder ergreifen - oder doch lieber dankend ablehnen.
Es herrschte eine ganze Weile Stille in der kleinen Kammer, nachdem er geendet hatte und seine Vorwürfe verklungen waren. Obwohl es eigentlich mehr ein ganzer Haufen an Frust war, der sich eben seinen Weg aus ihm heraus gebahnt hatte. Als wunderschönes Beispiel dafür, wie gut es ihm gelang seine Miene oder gar seine Stimme zu maskieren. Nein, er hatte seine Klappe noch nie besonders lange halten können, die Worte waren meist schneller heraus als er sie denken konnte, ehrlich und leider auch absolut ungefiltert, was nicht bei allen gut ankam…
Aber die Stille in der kleinen Kammer… hatte irgendetwas nervenaufreibendes für den jungen Drachenreiter und völlig unbewusst begann er an den Nägeln herum zu kauen, während er auf irgendeine Reaktion von seinem Stubengenossen wartete. Irgendeine! Wenn Athaín sich auch durch so drastische Situationen nicht dazu bewegt fühlte sich Cai zumindest ein wenig mehr zu öffnen, dann hätte das alles hier keinen Sinn. Selbst Wut oder Zorn, weil er ihn dabei erwischt hatte wie er in seinen Sachen rum geschnüffelt hatte, wären eine willkommene Abwechslung gewesen.
Sein Blick irrte durch die kleine Kammer, aber es gab nichts interessantes mehr zu sehen, zumindest nichts aufregenderes als Athaín in seiner Rüstung, der gerade dabei war den Riemen seines Helms zu lösen. Ganz egal was sich darunter verbarg, es konnte doch schwerlich beunruhigender sein, als von diesem glatten und gesichtslosen Visier angesehen zu werden.

Apropos angesehen: ob Athaín es irgendwie spüren konnte dass er ihn gerade anglotzte wie eine Elster ein Stück funkelnden Tand?
Vor allem da der weißhaarige Drachenreiter auf einmal doch den Mund aufmachte und ihn nicht einfach abspeiste und Cai war ehrlich überrascht, was er da von sich offenbarte. Er klang sogar irgendwie betreten, was fast seltsam war…
“Ich… glaube nicht dass du mir eine Entschuldigung schuldest. Aber danke für die Erklärung!” antwortete er schließlich, während er feststellen musste, dass Athaín ihm ehrlich leid tat. Wie war es wohl, so lange zu leben wenn man aber niemanden hatte der einen begleiten wollte? Außer seinem Seelengefährten natürlich…
Cai selbst hatte sich noch nicht einmal genauer mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass auch er als Drachenreiter im Grunde eine Lebensspanne vor sich hatte, welche die eines Menschen weit übersteigen konnte. Er würde genau so lange leben wie sein Seelengefährte Nero, aber was das wirklich bedeutete hatte er noch nicht wirklich verinnerlicht.
“Aber ich habe nicht vor so schnell wieder abzuhauen. Und, wenn du mal zum plaudern anfängst bist du gar nicht so schlimm!” ein verschmitztes Lächeln zog seine Mundwinkel wieder nach oben, während er die letzten Worte aussprach, begleitet von einem leisen aber belustigten schnauben.

Er konnte es einfach nicht verhindern, dass er unwillkürlich die Arme aus der irgendwie doch leicht verkrampften Verschränkung vor der Brust löste und sich aufrichtete, als Athaín dann doch den Helm abnahm. Die Neugier war einfach zu groß.
Obwohl er das Gesicht des älteren Drachenreiters nur im Profil und im nicht besonders guten Licht der kleinen und schlecht ausgeleuchteten Stube sehen konnte, sog er für einen Moment scharf die Luft ein. “Drachenaugen?” wiederholte er leise und mit deutlichem unglauben in der Stimme. Von all den Geschichten wäre er nie auf die Idee gekommen, dass ausgerechnet diese stimmte.
Und Cai war dann doch auch noch überrascht, als Athaín ihm die Augenbinde hin hielt und ihn vor die Wahl stellte seine Neugierde entweder vollkommen zu befriedigen, oder nie wieder danach zu fragen.
“Ich helfe dir…” Die Entscheidung fiel nicht wirklich schwer, vor allem da es sehr wahrscheinlich und wirklich eine einmalige Gelegenheit war. Trotzdem griff er wohl eher zögerlich nach dem hellen Stück Stoff, bevor er dann den ersten genauen Blick in Athaíns Gesicht warf.
Seine Augen waren stechend Gelb, der Blick der stabförmigen Pupillen durchdringend. Doch, irgendwie konnte Cai verstehen, warum man diese Augen mied. Andererseits… es waren Drachenaugen und damit von einer unbestreitbaren Schönheit… Statt Augenbrauen hatte er Hornauswüchse und rotgoldene Schuppen, was den Eindruck, in ein echtes Drachenauge zu sehen nur noch mehr verstärkte und in dem menschlichen Gesicht sehr fremd wirkte.
“Du hast die selben Augen wie Alachia.” bemerkte er, bevor er das Tuch anhob und es fast behutsam über Athaíns Augen legte und die Aussage war durchaus irgendwie als Kompliment zu verstehen.
In mancher Hinsicht fühlte sich Athaín an sich selbst erinnert, wenn er dem jungen Drachenreiter lauschte. Er war nicht immer so mundfaul gewesen wie heute. Er hatte nur irgendwann damit aufgehört, flammend-zornige Reden zu halten und sich gegen vermeintliche Ungerechtigkeiten aufzulehnen. Die Dinge waren wie sie waren, und anders als die Jugend in ihrem Enthusiasmus glaubte, ließen sich die Geschicke der Welt nicht ändern. Sie nahmen ihren Lauf, ob es einem nun passte oder nicht. Das Einzige was man tun konnte: Überleben und versuchen zu verhindern, dass es noch beschissener kam. Diese Lektion hatte der Jungspund natürlich noch nicht verinnerlicht. Wie sollte er auch? Er verfügte nicht über den Erfahrungsschatz - und den nicht ausbleibenden Zynismus - der sich über die Jahrhunderte hinweg ansammelte. Aber er schien fest entschlossen sich seinen Platz zu erkämpfen, anstatt sich diesen zuweisen zu lassen, und das imponierte Athaín.

Dass er gespannt angesehen wurde, spürte der Blinde natürlich nicht. Wohl aber konnte er es sich vorstellen, was dem recht nah kam. Man entwickelte mit den Jahren eine Art Intuition für die Reaktionen von Menschen, auch wenn man sie nicht sehen konnte. Was er aber sehr wohl wahrnahm, war der Unterton des Jüngeren, dem scheinbar erst jetzt eine gewisse Tragweite bewusst wurde. Nämlich, dass ein Drachenreiter gewissermaßen zur Unsterblichkeit verdammt war. Er würde keine Familie haben, keine Freunde, denn alle die ihm lieb waren, würden alt werden und sterben. Sie hatten nur einander - und ihre Seelengefährten. Sie würden kämpfen bis das Schwert eines Tages aus den kalten Händen fiel. Ein anderes Schicksal war nicht vorgesehen.

"Doch, das tue ich." Der Ältere zog einen Mundwinkel hoch. "Ein Mann, der Fehler macht, ist menschlich. Ein Mann, der für einen Fehler nicht um Verzeihung bitten kann, ist ein Esel. Ich habe dich unterschätzt und für einen Milchbart gehalten. Aber du hast Schneid, bist einfallsreich und lässt nicht locker. Ich bedauere meine Fehleinschätzung. Hm." Bei jemand anderem hätte es wahrscheinlich schalkhaft in den Augen geblitzt. Bei Athaín äußerte es sich in einem kurz aufblitzenden Grinsen. "Du wirst dich noch wundern." Das war mehr als scherzhafte Drohung zu verstehen. Mit einem ernsten Hintergrund, denn irgendeinen Grund musste es schließlich haben, dass kein Flügelmann es bisher längere Zeit mit Athaín ausgehalten hatte. Es lag mit Sicherheit nicht daran, dass er blind, unheimlich oder wortkarg war, obwohl all diese Dinge zutrafen. Aber das entschied gewöhnlich nicht darüber, ob man jemandem im Kampf sein Leben anvertraute - oder es doch besser ließ. Caius' Vorgänger schienen es lieber gelassen zu haben.

Absichtlich wandte der Hellhaarige den Kopf zur Seite, nachdem er den Helm mit dem gesichtslosen Visier abgenommen und auf dem Tisch plaziert hatte. Es war nicht angenehm zu offenbaren was man sonst aus gutem Grund versteckt hielt. Er musste hier keine Repressalien fürchten, nicht auf dem Drachenfelsen. Dennoch hatte er die alte Gewohnheit niemals abgelegt. Die Schmährufe, die Schläge und Schikanenen waren zwar Ewigkeiten her, und die Aggressoren von damals waren längst in ihren Gräbern vermodert, aber es steckte dennoch tief unter seiner Haut. Er war eine Anomalie, etwas was es nicht geben durfte. Seine Mutter hatte sich so sehr für ihn geschämt, dass sie ihn nicht einmal hatte im Arm halten wollen. Sie hatte ihn bei der Hebamme gelassen, die ihn heimlich in einer abgelegenen Hütte im Wald bei Nacht und Nebel auf die Welt geholt hatte. Die einzige Zeugin ihrer Schande. Tja. Man konnte versuchen zu vergessen und zu beweisen dass man etwas wert war. Es konnte einem sogar zum Teil gelingen. Aber niemals vollständig.

Er spürte wie ihm die Stoffbinde aus der Hand genommen wurde. Die Stimme des Jungen klang zwar entschieden, aber doch ein wenig als grusle es ihn vor der eigenen Courage. Athaín schmunzelte leicht. Der Kleine hatte tatsächlich Mumm. Er sammelte zwar merklich seinen Mut zusammen, aber einschüchtern ließ er sich nicht. Dann war er da. Der Augenblick der Wahrheit. Athaín spürte dass Caius direkt vor ihm stand. Er wandte das Gesicht nach vorn, sodass der Jüngere direkt hineinsehen konnte in die stechend gelben Reptilienaugen, die über keinerlei Lider oder Wimpern verfügten. Stattdessen besaßen sie Nickhäute und blickten starr geradeaus. Die Anatomie war nicht menschlich. Sie passte nicht zum Rest des Körpers, weshalb sich dieser auch weigerte sie als einen Teil von sich anzusehen - und schlicht nicht mit dem Steuerapparat verknüpft hatte. Der Hellhaarige hielt den Kopf gesenkt und verhielt sich still, während er den Stoff auf seinem Gesicht spürte, sowie die erstaunlich sanften Bewegungen mit denen er gewickelt und befestigt wurde.

"Und du hast eine gute Beobachtungsgabe." Der Tonfall schwankte zwischen Überraschung und Anerkennung. "Fast alle Menschen sehen, aber nur wenige sehen hin. Alachia ist meine Schwester. Nun... Halbschwester, um genau zu sein. Wir haben denselben Vater. Du... machst das übrigens gut. Danke", fügte er schließlich mit etwas Verspätung hinzu, und schien selbst nicht ganz sicher zu sein worauf genau sich der Dank bezog. Aber es klang ehrlich.
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