Lost Chronicles

Normale Version: [BEENDET] The Missing Link
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Teiresias gedankliche Stimme klopfte sanft an seinen Geist und nur zu gern ließ er den jungen Mann ein. Dessen Selbstzweifel, die Unsicherheit, Viserion hatte das Gefühl, einer verwandten Seele begenet zu sein. Und doch war diese Bezeichnung ein billiger Abklatsch dessen, was er in diesem Moment empfand. Es war so viel mehr, unbeschreibbar und doch das friedlichste Gefühl, das der junge Drache je empfunden hatte. >Ich denke ich kann dir helfen!< Viserion hielt ganz still, als die sanften Hände des Mannes sein Bein auf der Suche nach dem Dorn absuchten. Sanft und doch stark, und der Jungdrache fragte sich zu wiederholten Mal, wie es bei so kleinen Händen der Zweibeiner nur möglich war, solch Kraft zu entwickeln.

Schön … hatte Teiresias ihn eben als schön bezeichnet? Noch nie hatte ihn jemand so bezeichnet. Immer war er nur die Missgeburt, der hässliche Schandfleck, der unerwünschte Zwilling gewesen, es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass jemand das je anders sehen könnte. „Dan…danke!“ antwortete der Jungdrache verlegen, während er versuchte, durch Stillhalten und Balancieren auf drei Beinen die Entfernung des Dornes so gut es ging zu unterstützen. „Warum sollte ich dich verurteilen? Ich weiß, dass Erfahrungen einen prägen.“ Er konnte ein Lied davon singen. Auch schien Teiresias genau so schüchtern zu sein wie er selbst, auch er hatte kaum mit einem der anderen Drachen gesprochen. Der stolze Lohenbringer, Drache des Windmeisters, schüchterte ihn beispielsweise schon mit seiner blossen Anwesenheit so sehr ein, dass er alles tat, um dessen Aufmerksamkeit gar nicht erst zu erregen.

>Ich weiß nicht, wie man unter euch über Halbblütler denkt und spricht.< „Also in der Kolonie, in der ich aufgewachsen bin, redet man eigentlich gar nicht über … Halbblüter. Also nicht laut. Getuschel hinter vorgehaltenem Flügel, etwas worüber die Drachenmädchen tuscheln, wenn sie denken, die Erwachsenen bekommen es nicht mit. Bis ich dir heute begegnet bin, wusste ich nicht mal, wie ihr ausseht.“ Das entsprach der Wahrheit, etwas, was Viserion dem jungen Mann jedoch nicht auf die Nase band, war die Tatsache, dass das Getuschel nicht zur freundlichen Sorte gehört hatte. Keine romantischen Fantasien und Schwärmereien, sondern höhnisches, im besten Fall verschämtes Geraune. Seine Zwillingsschwester hatte nach so einer Tuschelei mit einer anderen Drachin einmal abfällig in seine Richtung gesehen und dann erklärt, dass sie sich nicht sicher sei was potentiell schlimmer wäre: ihn als Bruder zu haben oder so ein Halbdrachenbalg. Zu ihrem Pech hörte ihr Vater diese Aussage und das einzige Mal in seinem Leben hatte Viserion das Gefühl, dass Laetificat auf seiner Seite war. Denn die höhnische Aussage hatte Aristas Maul noch nicht verlassen, als der Vater ihr einen festen Klaps auf das Hinterteil verpasste, begleitet von einem wütenden ‚Tochter, hüte deine Zunge!‘ Arista hatte gequickt wie ein Wildschweinferkel und sich verstohlen den Allerwertesten gerieben. Und war in der Bewegung erstarrt, als der Vater noch brummte „Wenn ich je wieder so eine blasphemische Aussage zu hören bekomme, wird dir das wie eine Streicheleinheit vorkommen.

Nachdenklich legte Viserion den Kopf schief, hätte dabei aber fast das Gleichgewicht verloren, was er wiederum hektisch mit einem Ausbreiten der Flügel auszugleichen suchte. Oh wie sehr er seine Ungeschicklichkeit hasste. Einzig in der Luft war er ein elegantes Geschöpf, auf dem Boden kam er sich mitunter vor wie ein viel zu groß geratenes Trampeltier. Unsicher sah er den jungen Mann an. Hoffentlich hatte er ihn jetzt mit seinen unkoordinierten Bewegungen nicht von den Füßen geholt oder gar verletzt …
//// Viserion schlug sich gut auf drei Beinen und Teiresias gab sich indessen Mühe die Ursache der Schmerzen schnell zu finden. Jener schien ebenso verlegen wie er sich selbst fühlte – obwohl, da war er sich mittlerweile gar nicht mehr so sicher: in ihm war alles fremd und vertraut zugleich. Doch auch er presste vor Scham und Verlegen die Lippen zusammen, während er gleichsam eine Gewissheit vermittelt bekam, als wäre er bereits am Ende aller Dinge angelangt. Der Knoten löste sich in seinem Inneren … und je länger Teiresias sich seiner Suche nach dem Ding in dem Hinterlauf widmete, desto gelassener wurde er, kam er an und verneinte alle seine Zweifel selbst. Irgendwie hatte ihn die Gegenwart und das Gespräch mit dem fremden Drachen auf die Gerade gebracht, die er nun endlich nach dem Schlingern und Schleudern wieder vor sich sah.
Beinahe so, als hätte er keine andere Wahl, so geisterte ihm der Dank des Drachens in seinem Kopf herum, es war wie eine eingängige Melodie. Alle anderen Gedanken, alle anderen Argumente ertranken in diesem Lärm – es hatte so echt geklungen. Die seltene Anerkennung hatte seine Seele umschlungen wie eine Ranke, war sie wie Balsam auf seinem Schmerz. Es beruhigte ihn. Die Worte, der ruhige und sanfte Ton , in dem sie ausgesprochen worden waren, hatten tief in ihn gegriffen, an eine Stelle in seinem Inneren, die er geleugnet hatte … er wusste auf einmal nicht mehr, ob dies alles wirklich Teil seiner eigenen Gedanken war.

Endlich traf sein Tastsinn auf ein spitzes Hindernis und sein Blick teilte ihm mit, dass es ein Dorn des Gestrüpps um sie herum war, dessen schwarzes Ende kaum aus der Haut ragte und der sich damit ordentlich ins empfindliche Fleisch getrieben hatte. Mit einem raschen Griff wollte er diesen herausziehen, doch auf den ersten Ruck hin, rutschten seine Finger nur von der glatten, kaum vorhandenen Oberfläche ab.
„Zum ...“, knirschte Teiresias, nur um das nachfolgende Schimpfwort zu schlucken.
Er fand mit seinem Fingernagel Halt und begann langsam zu ziehen, nur um Hauch um Hauch mehr von dem Dorn zu sehen zu bekommen. Er wusste, dass er nicht zu hastig sein durfte, und wusste gleichzeitig durch das Brennen in seinem eigenen Fuß, dass er es lieber schneller los werden wollte – wie konnte das nur sein? Übertrugen Drachen stets Empfindungen auf andere in ihrer unmittelbaren Nähe? War es das? Normalerweise konnte er keine Gedanken lesen und es blieb ihm nur übrig, von dem, was in anderer Inneren vorging, die Äußerlichkeiten abzulesen. An der Körpersprache und von dem, was Augen zeigten. Und zuletzt erfuhr er durch laut ausgesprochene Worte. Wahrscheinlich hatte seine Mutter recht, wenn sie behauptete, mit ihm sei etwas ganz und gar nicht in Ordnung.

„Du solltest mich verurteilen, weil ...“, Teiresias wusste nicht, wie er etwas erklären sollte, das er selbst nicht nachvollziehen konnte. Er spürte nur, wie er schrumpfte. Wieder einmal war er der kleine Junge, der schreckliche Angst hatte seine Gegenwart würde abgelehnt.
Es waren ohnehin nicht so sehr die Rückblicke in seine Vergangenheit, die so entsetzlich waren, sondern das, was er als Ausblick in die Zukunft hatte akzeptieren müssen. Das war seine Erfahrung: wenn man verstand, was man einem anderen Wesen antun konnte … wenn man dahin gelangte zu erkennen, welches Leid man bringen konnte, nur allein dadurch, dass man verachtete und seine Akzeptanz beschränkte.
Ein wenig Angst hatte er vor den ungenauen, unzutreffenden Wörtern. Worte konnten Unheil anrichten: das Leben war so verletzbar durch Worte. Er wollte sich nicht die Tatsachen heraussuchen, die ihm passten. Wie jeder. Er war süchtig nach Aufrichtigkeit. Ein Durst, den er immer spürte und den er nicht zu löschen gedachte. Noch einen Moment war er ein Kind auf einem schwindelerregenden Ast der Elbenbäume und dachte über einen Sprung nach, der seinen Mut weit überforderte.
„Weil ich das sichtbare Ergebnis bin, dass ein Drache mich gezeugt hat“, da war es heraus. Zum Glück musste er Viserion dabei nicht in die Augen sehen; seine ganze Gestalt musste jenem doch das Unbeschreibliche entgegenschreien. „Dass solch ein majestätischer Herrscher des Himmels sich dazu herabgelassen hat, übersteigt manche Vorstellungskraft, ganz davon abgesehen, das eine solche Geburt überhaupt möglich ist.“

Mit dem letzten Taumel Viserions und dessen Ausbreiten der Schwingen brach Teiresias' Fingernagel zwar ab, doch auch der Dorn rutschte in seiner ganzen prachtvollen Länge heraus. Er war so lang, dass er ihn mit ganzer Hand umfassen konnte und ihn dennoch nicht ganz in der Hand hielt. Mit einem Seufzen ließ er den erschöpften Arm fallen, der den Hinterlauf stabilisiert hatte. Wirklich, es war anstrengender gewesen, als man glauben mochte. Als der Weiße einen Blick zurückwarf, hielt er diesem das Unding entgegen.
Ja, Getuschel, sein Gedanke war betrübt. Es gab wahrscheinlich nicht einmal viele von Drachen-Halbblütlern, so war es nicht verwunderlich, dass Viserion noch nie einen von seiner Art zu Gesicht bekommen hatte.
„Wir gleichen einander nicht, denn jeder erbt andere Merkmale von seinem Vater“, erklärte Teiresias, „manche weniger ausgeprägt und kaum zu finden, andere sind deutlich sichtbar“, so wie bei mir. Er warf den Dorn weit von sich zurück in die Hecke und wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab.
Manche Dinge sprach man nicht gerne aus, auch nicht vorschnell; man ging davon aus, dass es anderen unangenehm ist davon zu erfahren, man setzte voraus, dass es niemanden interessieren wird. Einiges musste selbst aus dem Herzen auf die Zunge gelangen.
„Und dass wir unnatürlich sind, beweist stets ein oder mehrere Makel, mit denen wir bestraft sind“, seine Faust legte sich dorthin, wo sein Herz schlug, „den Trost findet man jedoch hier.“ Und das musste ein jeder für sich selbst finden.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, war der Dorn entfernt. Teiresias zeigte dem Jungdrachen den Übeltäter und für einen Moment war Viserion versucht das Unding einfach einzufrieren. Aber dann hätte er auch den jungen Mann in einen Eisblock verwandelt und nein, das wollte er nun wirklich nicht. So beschränkte er sich darauf, den Dorn böse anzusehen. Vorsorglich machte er aber auch zwei Schritte weg von der Hecke ehe er sich auf sein Hinterteil niederließ. Kurz schielte er zur Kuh hinüber. Seine Beute lag noch da, wo er sie fallen gelassen hatte und es schienen auch keine anderen Drachen in der Nähe zu sein, die sie ihm hätten klauen könnten. Trotzdem würde Viserion gerne ein wenig fressen, nur einen ganz kleinen Happen. Hier am Drachenfelsen, so nannten die Zweibeiner diese fliegende Insel, gab es immer genug zu fressen und auch wenn er sich seinen Teil aus dem Futtergehege erbeuten musste, achteten die Drachenpfleger sehr wohl darauf, dass jeder genug bekam. Ein Umstand, der für ihn gänzlich neu war, sich keine Sorgen ums Futter machen zu müssen. Aber es war trotzdem unhöflich, einfach mitten im Gespräch die Zähne in eine Kuh zu schlagen. So begnügte er sich mit einem sehnsüchtigen Blick, ehe er sich wieder seinem Helfer widmete. Denn eine Aussage von ihm ging dem weißen Drachen nicht aus dem Kopf …

„Warum soll ich dich denn verurteilen? Das versteh ich nicht. Mein Vater ist doch auch ein Drache. Und wieso herabgelassen? Ich meine ….“ Viserion stockte. „Also ich hab keine Ahnung von dem was Liebe genannt wird aber ich denke, dass dein Vater deine Mutter in irgendeiner Art geliebt hat oder noch immer liebt und warum soll es dann herablassend sein, ein Kind zu zeugen?“ Viserion legte den Kopf schief und zog die Drachennase etwas kraus, sowie er es immer tat wenn er nachdachte (wobei er sich dieser Geste in keinster Weise bewusst war). „Du müsstest eher mich verachten, ich meine, ich bin ein Drache mit Federn, ein Wasserdrache, der rot zu seinen Farben zählt und zu allem Überfluss bin ich ein Zwillingsdrache. Der Schwächere von Zweien, der sich geweigert hat zu sterben.“ Der Jungdrache prustete, es war irgendwie ein Geräusch zwischen Lachen und Schniefen. Wie oft hatte er seine Eltern streiten gehört, wer denn schuld daran war, dass es Zwillinge gegeben hatte? Es waren absurde Gespräche gewesen, deren Sinn er selbst jetzt nicht verstand.

„Und was meinst du mit unnatürlich? Ich meine, es gibt dich und du lebst und damit bist du doch Teil der Natur.“ Für einen kleinen Moment hörte er in seinen Erinnerungen die Stimme seiner Schwester „Du bist sowas von Abnormal, echt jetzt!“ Er hatte sich das damals sehr zu Herzen genommen und versucht, seine Federn auszurupfen, um ein normaler Drache zu sein. Aber das hatte sehr weh getan, drum hatte er es sein lassen. Ausserdem waren sie nachgewachsen. Dann hatte er versucht, sich zumindest das Rot mit Blaubeeren zu überfärben, aber das hatte auch nicht wirklich geklappt und nach einem kräftigen Regenguss war das Ergebnis gleich Null gewesen. Irgendwann hatte er verstanden, dass es nur zum Teil mit seinem Äusseren zu tun hatte. „Weißt du, ich frag mich immer wieder was natürlich, was normal ist … ich meine wer bestimmt das? Und ich mein damit nicht das Benehmen, dass es da Regeln gibt ist klar aber das Aussehen, die Herkunft …“ Viserions Augen folgten der Hand Teiresias, als der sie zur Erklärung auf jene Stelle legte, wo die Zweibeiner wohl das Herz hatten. Bei dessen Worten nickte der Jungdrache. „Ich glaub nicht nur Trost, sondern auch Frieden.“

Im Magen des Drachen grummelte es und hätte er die Fähigkeit würde er wohl knallrot werden. Verlegen senkte er den Blick und scharrte mit der Kralle im Erdreich. Hunger konnte gemein sein. „Hast … hast du was dagegen, wenn ich mir schnell einen Bissen von der Kuh hole während wir weiter reden? Du kannst auch was ab haben …“ Hoffentlich dachte Teiresias nicht, er wolle ihn los werden. Und aßen Zweibeiner Fleisch überhaupt roh? Bei seiner Reise zum Drachenfelsen hatte er den Ausdruck „kochen“ aufgeschnappt, konnte sich aber nicht vorstellen, was damit gemeint war.
//// Teiresias folgte Viserions Blick zu der geschlagenen Kuh und sein Magen knurrte lautstark, lange bevor es der seines Gegenübers tat – was ihn gewissermaßen irritierte, da er erst gefrühstückt hatte und er gewiss keine Lust auf rohes Fleisch verspürte. Doch des Drachen Stimme in seinem Kopf ergriff ihn wie zwei machtvolle Hände und lenkte ihn ab; aber es war nicht länger nur seltsam, sondern auch seltsam traurig.
„Nun ja, deine Mutter ist auch ein Drache“, nahm er an und ließ seinen bewundernden Blick über den Drachenleib gleiten – und schien gleichzeitig wegen dem Unverständnis ein wenig ratlos und sich gedrängt es weiter zu erklären. „Mein Vater sollte ein Elbe sein.“
Wieder überkam ihn das einsame Entsetzen und die Furcht, von dieser Welt ausgeschlossen zu sein, die seine Heimat hätte sein sollen. Er wünschte oft, den Wald und alle damit zusammenhängende Erinnerungen vom Antlitz der Erde tilgen zu können. Teiresias umklammerte sich selbst mit namenlosem Schmerz.
„Nein“, sagte er zornig, Teiresias schluchzte auf vor Wut … ich bin nicht in Liebe gezeugt. Es war schlecht und falsch so etwas überhaupt zu denken. Schweigen. Er starrte in diese unglaublichen Drachenaugen. Der Junge hatte keine Worte; doch er imitierte gleich einem Spiegel Viserions Nasenkräuseln. Er lebte. Er lebte ...weil ein Drache ihn gerettet hatte: in seiner Vorstellung blitzte kurz das Bild des weißen Giganten auf. Seitdem lebte er, nicht wahr? Und beruhigte sich schlagartig, so schnell, wie seine Wut aufgeschäumt war.

Diese eine Nacht, in der er gezeugt worden war, was war sie gewesen, was hatte sie bedeutet? Was seinem Vater? Warum verwandelte sich ein Drache in Menschengestalt, um bei einer Elbin zu liegen? Begierde? Neugierde? Trost? Gar Humor? Seine Überlegungen hielten ihn nicht lange im Bann, denn sich darüber die Gedanken zu machen, das hatte er längst aufgegeben. Zudem gab ihm der Weiße anderes zu bedenken.
„Was ist so falsch an dem Rot in deinen Federn“, fragte Teiresias, ernsthaft verwirrt, „und Zwillingen?“
Er lachte über das kurze Prusten des Drachen, obwohl es kaum zu ihrem ernsten Gesprächsthema passen wollte. Dem stillen Gedankengang danach konnte er nicht folgen. Dann zuckte er mit den schmalen Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf.
„Ich habe die Regeln dieser Welt nicht gemacht, ich versuche nur darin zu überleben“, antwortete der gehörnte Junge bissig. Der Drache hatte recht, Trost genügte nur eine Zeitlang, doch nicht für immer. Teiresias verabscheute es, wenn er zu plappern begann. Er versuchte lediglich: „Meinen eigenen Frieden darin zu finden. Dieser Ort erschien mir dafür recht verlockend ...“
Plötzlich war es an dem viel größeren Magen seinen Hunger kundzutun und sein Mund klappte jäh zu. Oh. Er war ja am Futterplatz und die Kuh sollte schon längst verschlungen sein. Seine Hände taten auffordernde Gesten und seine Füße ein paar Schritte zurück, er hatte nicht unhöflich sein wollen – so nah hatte er dem großen Fressen ohnehin eigentlich nie kommen wollen … und beherrschte seine dumme Panik. Dumm und irritierend, denn je länger er hier stand und sich mit Viserion unterhielt, desto stärker fühlte er sich von ihm angezogen, desto überzeugter war er, dass sie einander gegenseitig brauchten, wobei er sich doch solche Mühe gegeben hatte niemanden mehr zu brauchen.

„Da-danke“, seine Sicht flirrte. Danke nein, ich habe schon gefrühstückt, dachte er Viserion zu. „Ich habe nichts dagegen. Ich, ich sollte ohnehin gehen.“ Seine Arbeit wartete auf ihn, der Stallmeister würde ihn längst zurückerwartet haben. Wahrscheinlich hatte er sich längst Ärger eingehandelt und ein Blick auf die Sonne sagte ihm: er steckte tief in Schwierigkeiten. „Ich muss in die Ställe zurück.“
Unbeholfen machte Teiresias vor dem großen Wesen einen halben Diener. Es war ungewiss, wann er zurückkehren durfte, wenn er so nachlässig mit seiner Zeit umging. Und doch zögerte er sich abzuwenden, um einfach zu gehen, den Blick abzuwenden … gemischte Gefühle rangen in seiner Brust. Dieser Morgen hatte ihm einige Rätsel beschert.
Lass dir dein Mahl schmecken, Viserion. Es freut mich deine Bekanntschaft gemacht zu haben.
Während er dennoch nichts anderes tat, als dort stehen zu bleiben.
Viserion verstand noch immer nicht, was so falsch war, darauf zu hoffen, dass Teirasias Eltern sich geliebt hatten. Und warum ein Halbdrache etwas Ungewolltes war. Er hatte das auch in der Kolonie nie verstanden ... aber er hatte ja auch nie verstanden warum er als Zwilling so etwas Ungewolltes war. Aber genau das wollte nun der junge Mann von ihm wissen, genauso wie er wissen wollte was an rot so schlimm war. Nun, die Frage mit der Farbe war etwas leichter zu erklären. „Ich bin, wie alle in meiner Heimatkolonie, ein Wasserdrache. Die Farbe des Wassers ist blau, vielleicht noch blaugrün, wenn man an die Weiten der Meere denkt oder weiß, wie das Eis, das ja auch eine Form von Wasser ist. Aber rot? Rot ist die Farbe des Feuers, des größten Gegenparts zu Wasser. Also ist in den Köpfen der anderen ein roter Wasserdrache etwas Falsches. Und Federn gehören zu Vögeln, die manche als Emporkömmlinge in den Lüften sehen. Daher ist auch ein Drache mit Federn etwas Minderwertiges.“ Bei diesen Worten ließ der Jungdrache traurig den Kopf hängen. Auch wenn er sich immer wieder vorsagte, dass das nicht stimmte, dass mit ihm nichts falsch war, nur anders, taten die Erinnerungen an die harschen Worte doch immer noch weh. „Und was die Zwillinge angeht: Das beruht auf einer Legende: Einst soll es Zwillinge gegeben haben, die um die Vorherrschaft in der Kolonie kämpften. Beide wollten so erbittert Anführer werden, dass die Kolonie beinahe dem Meeresgrund gleich gemacht wurde. Und die Verheerung ging der Sage nach vom schwächeren, jüngeren Zwilling aus. Seit damals ist es Usus, dass die Eltern entweder den schwächeren Zwilling gleich nach dem Schlüpfen töten oder verstoßen oder aber, wenn nicht klar ist, welcher es ist, die Jungen angehalten werden, um die alleinige Herrschaft im Gelege zu kämpfen … und den anderen aus dem Nest zu werfen.“

Überleben … darum war er gegangen, auch. Er redete sich ein, dass er nur gegangen war um seinen fehlenden Teil zu finden aber die Wahrheit war, dass sie die anderen Drachen zusehends misstrauischer und feindseliger in seine Richtung geworden waren. Er war beinahe ausgewachsen, zwar noch schlaksig und ein wenig dünn für einen Drachen aber er hatte seine abschließende Größe erreicht. Und, was dazu kam, er hatte seine Geschlechtsreife erreicht, auch wenn er nicht recht wusste, was das bedeuten sollte. Er hatte nur einige andere Tuscheln hören, dass die Missgeburt (also er) nun in dem Alter sei, ein eigenes Gelege zu begründen und das man das zu verhindern werde wissen müssen. Der Veteran, der ihn ein wenig unter die Fittiche genommen hatte, hätte ihn nicht schützen können, er war zu alt und des Kämpfens müde. Und Viserion hätte es auch nicht gewollt. Und dieses Gefühl der Gefahr war der letzte Schubs gewesen, den er gebraucht hatte, um sich auf die Suche zu machen ... und schlussendlich hier zu landen. Wo das Schicksal ihn zu Teiresias geführt hatte. Und er spürte, dass es eine besondere Art der Begegnung war, eine der schicksalhaften Art.

Sein Angebot, etwas von der Kuh zu essen lehnte der junge Mann höflich ab und zu spät erinnerte sich der Drache, dass er auf seiner Reise hierher vom Zwerg Norgrimm gelernt hatte, dass die Zweibeiner ihr Fleisch nicht roh aßen. Viserion bemühte sich, gesittet zu fressen, um Teiresias nicht zu verstören, aber dann siegte der Hunger und er schlug die Zähne in die saftige, gut genährte Kuh. >Lass dir dein Mahl schmecken, Viserion. Es freut mich deine Bekanntschaft gemacht zu haben.< „Danke. Ich freue mich auch die kennengelernt zu haben. Und … und ich würde mich freuen, wenn du wieder einmal vorbei kommst. Ich meine … wenn du Lust hast.“ Mit treuherzigem Blick sah er den jungen Halbdrachen an, merkte dabei aber nicht, dass ihm ein blutiges Stück Kuhfell aus dem Maul hing und seine Klaue verdächtig rot schimmerte.
Alles brennt, alles geht in Flammen auf.
Alles, was bleibt, sind Asche und Rauch.
Doch zwischen schwarzen Wolken,
seh' ich ein kleines bisschen Blau.
Ich halt' die Luft an, lauf' über die Glut.
Alles wird gut.



//// Teiresias glaubte zu verstehen, was so falsch an roten Federn war. Wahrscheinlich hielt sich der Vorurteil auch so fest, da es einst eine Sache des Überlebens gewesen war – rot versteckte sich weder in Wasser noch in Eis gut.
„Wasservögel haben auch Federn“, warf Teiresias ein, und niemand spricht es ihnen ab Wassertiere zu sein, und setzte ein Lächeln auf, das er nicht wirklich empfand, doch es fiel ihm auch nicht so schwer, wie man hätte meinen können, folgte er dabei seinem inneren Geheiß, war es nur ein wenig trauriger, als geplant; wer wusste besser als er, dass Worte nicht immer ein Trost sein konnten? Denn in diesem Moment konnte man auch die Traurigkeit des Wissens in seinem Herzen sehen. Manchmal musste genau das geschehen, was gerade geschah. Teiresias wandte den Blick nicht ab. Sie beide waren stark.
„Ich weiß.“
Ein Flüstern im Einvernehmen, ein Flüstern auf Viserions Gefühle, die gegen ihn brandeten, ohne dass jener sie bewusst aussenden brauchte, und leise auf Verständnis trafen. Nicht ignorierend, was mit ihnen geschah. Was ihnen geschehen war. Und dass der Drache ihn daran teilnehmen ließ, für Teiresias ein Beweis der Stärke, nicht der Schwäche. Sie beide waren stark. Es war nicht gut krampfhaft an solchen Augenblicken festzuhalten. Aber sein Blick schimmerte ernst, wissend, verstehend. Viserion war nicht allein. Nicht einsam. Nicht verlassen.

Und davon war er noch mehr überzeugt, als er die Geschichte um die Zwillinge hörte – sein Mund blieb etwas offen stehen und hatte er nicht geglaubt, die Elben seien grausam in ihrer Abneigung gegen Mischlinge? Kein verräterisches Zucken wanderte über seine Züge. Kein Leid, vor allem kein Mitleid. Teiresias hörte zu. Es gab mehrere Arten von Stille. Jene, die einfach war, weil niemand da war, der sie wahrnahm. Erfüllt von Ruhe. Erfüllt von Einsamkeit. Im Schatten dieser Seins, nicht durchbrochen als von den eigenen Atemzügen. Es war still. Gerade jetzt. Stille erfüllt von entsetzlichen Worten, vorgetragen mit Gelassenheit, als wären sie nichts, was ihn je betroffen hatte.
Und als er noch dort stand jagte der Drache seine Zähne geräuschvoll in das Fleisch der Kuh, was den Halbling im Angesicht der gehörten Geschichte zusammenzucken ließ – ein Kampf unter Geschwistern in Anbetracht dieses Gebisses. Waren es nicht teils auch tierische Instinkte, die die Drachen derart kämpfen ließ? Um das Überleben? Auch wenn sie denkende, bewusst handelnde Wesen waren … Gedanken waren ein sonderbar geschmeidiges Konstrukt. Oft wandten sie sich unbeabsichtigt in eine Richtung, die einem unangenehm war. Nachdenklich und unschlüssig stand Teiresias da, sah dem Fressen teils fasziniert, teils abgestoßen zu, während sein Blick zuletzt an dem blutigen Zeugen Fell hängenblieb. Wo auch immer seine Gedanken sich befanden, er ließ sie dort.

Teiresias trat wieder näher an den Giganten heran. Ruhig. Das Kinn erhoben, die Wahrnehmung ausgestreckt in des Drachen Genuss. Und doch wich Teiresias dessen Kopf aus, den blutigen Krallen und verschloss dabei seine Nase gegen den Gestank, indem er den Atem anhielt. Blut, warmer Geruch nach Innereien und tierischen Leibern. Frische Beute, es roch nach Tod. Er schluckte seinen Würgereiz hinunter.
„Du bist hier.“ Langsam und kontrolliert atmete Teiresias aus. Sanft ließ er eine Handfläche über das weiche Federkleid an dessen Seite gleiten, denn er wusste, es war ihm erlaubt. Ein wildes Hochgefühl durchströmte ihn. „Du bist hier.“ WIR sind hier.
Er war nicht so überheblich zu glauben, dass seine Worte etwas daran zu ändern vermochten, geschehen war geschehen. Viserion überflutete ihn mit Glück. So einfach und leicht. Gleich wie traurig oder verlassen er sich fühlte. Vielleicht war er fähig etwas davon zurückzugeben.
Dies hier, war wirklich ein besonderer Moment. Es war tief und echt. Trotz allem. Er fühlte sich sonst zerrissen, uneins. Gespalten. Ein Teil weniger Wert als der andere? Obwohl er doch schon längst wusste, dass es nicht nur eine Sichtweise gab. Auch er sah von anderen immer nur den Teil, der sie gerade waren, und den er sehen sollte. Es war immer so. Man war vieles. Es war nicht so einfach, wie manche es gerne hätten – nur, dass er sich jetzt von Viserion wirklich GESEHEN fühlte, ganz und gar. Und angenommen. Akzeptiert.
Was er diesen Morgen bekommen hatte, das nahm Teiresias und verschloss es vor der Vergänglichkeit. Bewahrte es in sich, sorgfältig.
Ich komme wieder, den Wert seiner Worte würde er nicht beweisen müssen. Morgen war auch noch ein Tag, an dem er über sich hinaus wachsen konnte. Dann rannte er so schnell davon, wie sein Krallenfuß es in dem Stiefel zuließ, denn er würde gerne bleiben.

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