Lost Chronicles

Normale Version: Das Mädchen und der Baum
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Neremea


I wonder how, I wonder why
yesterday you told me 'bout the blue blue sky
and all that I can see is just a yellow lemon tree
I'm turnin' my head up and down
I'm turnin', turnin', turnin', turnin', turnin' around
and all that I can see is just another lemon tree



Es war einer der ersten warmen Tage des Sonnenumlaufs und auch wenn ein Teil von ihr den Winter mit seinem Schnee liebte, genoss es der Andere, die ersten warmen Sonnenstrahlen im Gesicht zu spüren. Einen Herzschlag lang stand sie so dar, bis sie sich wieder darauf besann, dass sie ja eigentlich zu tun hatte. Mit dem Rückgang von Eis und Schnee wurde es Zeit ihren kleinen Kräutergarten wieder herzurichten, um damit zumindest eine der weitere Einnahmenquelle zu sichern, wenn sie bald zu Viert waren und Neremea sich wieder weniger um die Näharbeiten kümmern konnte.

Mit dem Handrücken wischte sie sich über ihr Gesicht und richtete sich dann auf, streckte den Rücken durch und blickte auf ihr Tageswerk, das würde fürs erste reichen müssen, wenn sie heute Abend noch was essen wollten. Nachdem sie sich am Brunnen die Hände und zumindest grob das Gesicht gewaschen hat, entschied sie sich noch einmal um, und ging anstatt in die Küche, auf den anliegenden Stall zu, wo ihr Mann die nötigsten Reparaturarbeiten ausführte.

Neremea gab sich keine sonderlich große Mühe leise zu sein, durch die Prägung konnte sie sich genauso wenig an Kieran heran schleichen, wie er sich an sie. Sie spürten Beide die Nähe des jeweils anderen instinktiv und einmal mehr fragte sie sich, wie Kieran dieses Gefühl wohl einordnete, da er von der Prägung auf eine Wandlerin schließlich nichts wusste.

Von hinten trat sie an ihren Mann heran, ging auf die Zehenspitzen und schlang die Arme um seinen Oberkörper, während sie ihre Lippen sanft über seinen Nacken wandern ließ. Ihre Hände fanden den Weg unter den Saum seines Hemdes und glitten dort langsam über seine Bauchmuskeln. Eigentlich hatte sie ihm nur sagen wollen, dass sie jetzt das Essen vorbereiten wollte und er langsam ein Ende finden sollte, aber wie so oft, hatte ihr Körper bei Kierans Anblick ein Eigenleben entwickelt. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie darauf gesetzt, dass nun diese Zeit wieder anbrach, aber das Kind, dass nun unter ihrem Herzen heranwuchs, war der eindeutige Beweis, dass es nicht so war, allerdings vermutlich auch der Grund dafür, warum sie sich so aufführte. "Hey" murmelte sie schließlich zwischen zwei Küssen, die sie weiterhin über seinen Hals verteilte, ehe sie Kieran umrundete und sich zu seinen Lippen vorarbeitete ohne die Hände von ihm zu lassen. Sie hatte sich zwischen Kieran und dem, womit er bis eben noch beschäftigt war geschoben und schmiegte sich nun an ihn, bevor sie ihn in einen leidenschaftlichen Kuss verstrickte.

Es kostete Neremea einiges an Willenskraft, sich letztendlich wieder von ihrem Mann zu lösen. Für einen Moment lächelte sie ihn einfach nur an, ehe ihr endlich wieder einfiel, warum sie denn überhaupt hierher gekommen war. "ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich jetzt anfangen werde, das Essen vorzubereiten" flüsterte sie mit rauer Stimme, immer noch an Kieran geschmiegt, mit ihren Händen auf seiner nackten Haut. "du solltest also auch so langsam ein Ende finden und Dich und Aurora waschen, bevor es Essen gibt". Erst jetzt fiel Neremea auf, dass etwas nicht stimmte. Ruckartig richtete sie sich auf und sah sich um. "Wo ist sie überhaupt?" fragte sie nun Kieran, nachdem sie ihre Tochter nirgends erblicken konnte. Anfangs war Aurora mit ihr im Garten gewesen, hatte dann aber irgendwann verkündet, dass es ihr zu langweilig sei und sie lieber zu ihrem Vater in den Stall gehen wolle. Neremea war davon ausgegangen, dass sich Aurora nun auch hier irgendwo aufhielt, da Kieran sie gewiss zu ihr zurück geschickt hätte, wenn die Arbeiten, die er gerade ausführte zu gefährlich für das kleine Mädchen gewesen wären, die ständig um ihren Vater herumsprang. Doch Aurora war hier nicht, auch auf dem Weg vom Garten in den Stall, hatte sie ihr Kind nicht gesehen…

Neremea spürte wie Panik in ihr aufstieg und fast schon flehend blickte sie ihren Ehemann an. "Kieran, wo ist Aurora?" wiederholte sie ihre Frage und betete zu den Göttern, dass er sie beantworten konnte, doch sein Blick reichte schon aus, um das Gefühl der Panik weiter in ihr wachsen zu lassen. Aurora war nicht bei ihrem Vater und auch er schien keine Ahnung zu haben, wo das Kind abgeblieben war.

Kieran

Es war nicht das Geräusch von Schritten, das Neremeas Gegenwart ankündigte. Nicht das Knirschen feiner Kieselsteine unter ihren Stiefeln oder das Knistern des Strohs, das den Boden der Scheune bedeckte, in der Kieran gerade dabei war, einen kaputten Stuhl zu reparieren. Der Drachenreiter wusste, dass seine Frau auf dem Weg zu ihm war und das lange bevor er sie hören konnte. Wann war ihm dieser sechste Sinn das erste Mal so richtig bewusst geworden? Er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, ebenso wenig, wie er sich den Grund für diese Feinfühligkeit erklären konnte. War es ein Teilaspekt der Drachenaffinität? Eine Art Nebeneffekt, der in keinem Buch, keinem Schriftstück Erwähnung fand, da es unter ihresgleichen schlicht und ergreifend nicht üblich war, sich an jemanden zu binden?

Kieran ahnte ja nicht, dass er und Neremea auf eine Art und Weise miteinander verbunden waren, die weit über die gewöhnliche Liebe zwischen einem Mann und einer Frau hinaus ging. Ohne es zu wissen, ohne es an diesem einen Tag bewusst zu bemerken, hatte er ein Band mit ihr geknüpft, ähnlich wie das, welches ihn mit seinem Drachen verband, wenngleich es nicht annähernd so intensiv war. Weder konnte er seine Gedanken mit Neremea teilen, noch war er empfänglich für ihren physischen Schmerz. Nichtsdestotrotz konnte er ihre Nähe wahrnehmen und ... wenn er all seine Sinne auf sie ausrichtete ... sogar erahnen, wie es um ihre Gefühlswelt bestellt war.

"Hallo, mein Herz." Ein Lächeln schwang in Kierans Begrüßung mit, dessen Körper augenblicklich auf die liebevolle Umarmung seiner Frau reagierte. Die Küsse, gepaart mit den zärtlichen Berührungen sorgten - wie jedes Mal - dafür, dass er unter ihren Fingern zu Wachs wurde. An Neremeas Lippen hängend, legte Kieran das Werkzeug beiseite, drauf und dran, den Kuss, den sie gerade miteinander teilten, zu intensivieren. Essen? Das konnte warten. Der Drachenreiter schlang seine Arme um die schlanke Taille seiner Frau und zog sie dichter zu sich, bis ...

"Aurora?" Er löste sich wieder von ihren Lippen und sah sie mit einer Mischung aus Irritation und Ahnungslosigkeit an. "Ich dachte, sie ist mit dir im Garten." Davon, dass seine kleine Tochter irgendwann beschlossen zu haben schien, ihm in der Scheune Gesellschaft zu leisten, wusste Kieran nichts. Jedenfalls war sie nie hier angekommen. "Neremea." Fürsorglich legte er seine Hände auf die zarten Schultern seiner Frau, die ihn aus großen Augen anstarrte und sichtlich beunruhigt wirkte. "Keine Angst, ich bin sicher, sie ist hier irgendwo. Bestimmt ist sie hinters Haus gelaufen, um auf der Blumenwiese einen Schmetterling zu suchen."

Das Lächeln, das auf seine Worte folgte, sollte darüber hinweg täuschen, dass Auroras kurzfristiges Verschwinden auch ihn ein wenig in Besorgnis versetzte. ~ Windtänzer? ~ In Gedanken rief er nach seinem Drachen, der bereits mit halbem Ohr gelauscht zu haben schien. ~ Ich bin unterwegs. ~ Lautete seine prompte Antwort. ~ Danke, aber ... ~ Sein Gefährte unterbrach ihn, noch bevor Kieran den Gedanken zu Ende denken konnte. ~ Ich weiß. Ich halte mich im Hintergrund. ~ Ein schwaches Lächeln huschte über Kierans Lippen, der einmal mehr froh darum war, sich blind auf seinen Drachen verlassen zu können.

"Komm." Er legte seine Hand an Neremeas Rücken und verließ mit ihr den Schuppen, um sich auf die Suche nach ihrem kleinen Wildfang zu machen. Die erste Anlaufstelle war tatsächlich die Blumenwiese, aber abgesehen von einem aufgeschreckten Kaninchen, das, einem Herzinfarkt nahe, aus dem Gebüsch sprang und hakenschlagend das Weite suchte, fanden sie den Platz vollkommen verlassen vor. Allerdings ...

"Sie war hier." Kieran ging in die Hocke und legte eine Hand auf die platt gedrückten Grashalme. Kinderfüße, eindeutig. Unkoordiniert. Ungleichmäßig. Mal war sie vor, dann wieder zurück getapst. Nach links, nach rechts, im Kreis. Nichtsdestotrotz gelang es Kieran die Richtung zu bestimmen, in die Aurora schließlich verschwunden war. "Sie ist in den Wald gelaufen." Er richtete sich wieder auf und blickte zu den angrenzenden Baumreihen. Spätestens jetzt schrillten auch seine Alarmglocken.

"AURORA?" Laut und volltönend rief er den Namen seiner Tochter, als er sich mit Neremea in Bewegung setzte und in den Wald lief, weiter ihrer Spur folgend. "AURORA!" Immer wieder rief er nach ihr und hielt von Zeit zu Zeit inne, um zu lauschen. Herzschläge wurden zu Momenten und Momente zu Kerzenstrichen. Je länger die Suche dauerte, desto mehr wuchs Kierans Panik, denn wenn jemand wusste, welche Gefahren in dunklen Wäldern lauern konnten, dann er. Das denkbar Schlimmste, das geschehen konnte, war das plötzliche Auftauchen eines Schattenwesens, doch selbst wenn nicht, gab es noch eintausend andere Dinge, die einem kleinen Mädchen hier im Dickicht zum Verhängnis werden konnten.

Kieran blieb stehen und formte seine Hände erneut zu einem Trichter, drauf und dran, ein weiteres Mal Auroras Namen durch die Baumkronen hallen zu lassen, als er plötzlich ein Geräusch hörte. "War das ...?" Ohne den Satz zu Ende zu sprechen, sah er zu seiner Frau. Hatte sie es auch gehört oder spielte ihm sein Verstand einen Streich? Der Drachenreiter lauschte angestrengt - und dann hörte er es wieder. Das glockenhelle, vergnügte Lachen eines Kindes. Seines Kindes, kein Zweifel.
Somnicus, wie sein ganzer ihm geschenkter Name lautete, hatte seine helle Freude an dem kleinen Mädchen, welches in seinen Ästen herumturnte. Manchmal half er ein wenig nach, in dem er den ein oder anderen Ast bewegte, damit sie nicht daneben griff oder ihr kleiner Fuß ins Leere trat. Der noch junge Ent hatte sein Gesicht im Stamm erscheinen lassen, als sie das erste Mal gekommen war und einen Vogel verscheucht hatte, der dem bunten Tier von vor vielen Jahren ähnlich sah. Damals hatte auch ein kleines Mädchen den Specht verscheucht und das jetzige Mädchen erinnerte ihn an seine kleine Freundin von damals. Also hatte er seine Augen erscheinen lassen und seinen Mund, der eher einem Strich glich, doch damit konnte er Lächeln und das hatte er getan. Er konnte damit auch sprechen, auch wenn er ein majestätischer Baum war, sehr groß und sein Blätterdach war sehr dicht und ausladend.

Eigentlich hatte er viele Jahrhunderte an einem See verbracht, der zu einem Garten gehörte und dieser widerum zu einem Schloss, in dem seine nun erwachsene Freundin lebte. Er hatte sich ihr gezeigt oder eher sie hatte ihn gefunden, als er auf der Suche nach seinem Freund Skimmita gewesen war. Mittlerweile erkundete die Welt, auf der einst gestrandet war und betrachtete alles mit erstaunten 'Kinderaugen', weil alles neu für ihn war. So war er in diesem Wald gelandet, hier fühlte er sich wohl und er mied instinktiv die großen Städte, auch in die Dörfer traute er sich nicht allein hinein. Er wusste noch wie sie alle damals angestarrt worden waren, als er noch ein kleiner Zwuckel gewesen war. Damals hatte er manche Gesichtsausdrücke nicht einordnen können, nun wusste er, dass die beiden Wesen damals Angst vor dem Weisen und dem Starken gehabt hatten. Ents gaben sich untereinander keine Namen, sie wurden meistens nach einer besonderen Eigenschaft benannt, aber nicht alle. Es war einfach nicht nötig, Dank ihrer Verbundenheit.

Nun spielte er mit Aurora und brachte sie am liebsten zum Lachen. Sie hatte ihm auch schon ihre Bücher gezeigt, in denen viele Bilder zu sehen gewesen waren, was Nicus sehr gefreut hatte. Er war schon seit einer Woche hier, hatte sich es sich an einem kleinen Wasserrinnsal niedergelassen und wandelte sich nur, wenn das kleine Mädchen jauchzend hochgeworfen werden wollte. Wie gut, dass er das Auffangen erst einmal mit ihrem Ball geübt hatte. Er konnte sie sehr hoch werfen und nicht eine Sekunde lang hatte sie deshalb Angst gehabt, sondern fröhlich gelacht und gekreischt. Jetzt stand sie ganz oben in seinem Wipfel und wurde durch seine Äste gehalten, damit sie sicher war. „Ich kann so weit gucken!“, strahlte sie und kicherte. Dadurch konnte sie auch nicht hören, dass sie schon eine ganze Weile gerufen wurde. Nicus jedoch schon, weshalb er mit seinen Blättern raschelte um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. So gab es ein lautes Blätterrauschen, ganz ohne Wind und die Kleine wusste, dass er ihr etwas sagen wollte.

Also gab sie ein glucksendes: „Ich falle!“ von sich und auch das war ein Spiel zwischen ihnen. Sie sprang einfach los und Nicus streckte alle Äste, die in ihre Richtung zeigten aus und sie verschlangen sich ineinander, so dass sie wie eine Art Astnetz wirkten, in welches sie reinfallen konnte. Sicher kam sie so auf dem Boden an, da er sie runter rutschen ließ und jetzt hörte sie ihren Daddy auch rufen. „Oh, Mommy ruft auch!“, stellte sie erstaunt fest und schaute ihren liebsten Freund an. Dann kuschelte sie seinen Stamm oder eher das kleine Stück, welches sie umarmen konnte, dann rannte sie los auf die Stimmen ihrer Eltern zu.

„DAAAADDY!!“ Schon knackte und raschelte es, weil sie natürlich den direkten Weg nahm und nicht etwa um das Gestrüpp herum gelaufen war. „MOOOOMMY!“ Sie klang noch immer äußerst fröhlich und vor allem sehr aufgeregt oder doch eher aufgedreht vom Spielen. Kaum sah sie ihre Eltern rannte sie auf Kieran zu und hüpfte ihm, so gut es eben ging, in die Arme. Dabei lachte sie allerdings und schmiegte sich an ihn. „Weißt du was? Ich bin vom Baum gesprungen! Und er hat mich aufgefangen. Und ich bin ganz nach oben! Das war so toll! Ich konnte die Blumenwiese sehen!“ Natürlich meinte sie die hinter dem Haus. Aurora fing an zu zappeln, weil sie immer noch aufgeregt war und wollte auch schon wieder runtergelassen werden. „Kann Nicus mit kommen? Ich hab gesagt, er darf Tee probieren. Er kennt Tee gar nicht, weißt du? Darf er, darf er? Biiiiiiiitte!“

Die Kleine hatte ja keine Ahnung wie ihre Erzählungen für Erwachsene klangen, denn für sie selbst war es ja alles wahr, weil es auch geschehen war. Als sie die Erlaubnis bekommen hatte, da strahlte sie ihre Eltern an, umarmte beide bzw. die Beine ihres Daddys und formte dann mit ihren Händen auch einen Trichter, ganz wie Kieran zuvor, was ihr aber nicht bewusst war, dass sie ihn damit nachmachte. „NIIIIIIIIIIICUUUUUUUUUUUUUS!! DU DARFST MITKOMMEN!“ Sie kicherte und hibbelte auf der Stelle, während sie die Hand ihres Daddys hielt, aber zwischen ihren Eltern stand. Man konnte hören wie sich etwas in Bewegung setzte, wie große 'Füße' auftraten. Ab und zu raschelte es, jedoch knickte oder knackte kein Ast oder Ähnliches. Dann tauchte der etwas über zwei Meter große Ent auf, sein Gesicht gut erkennbar und sein Mundschlitz war zu einem breiten und glücklichen Lächeln verzogen. Ein paar kleine Blättchen hingen hier und da an seinen Gliedmaßen oder auch auf seiner Schulter.

Man konnte erkennen, dass er aus Holz bestand, wenn auch seine Arme und Beine wie ineinander verschlungene Astlianen wirkten, seine langen Finger wirklich Äste waren. Seine nahezu schwarzen Augen sahen zu der Familie und als sie auf Aurora lagen, hatten sie einen warmen Ausdruck, weil er das Mädchen lieb hatte. Doch dann blieb er stehen und sein Blick wurde traurig. Hatten Mommy und Daddy etwa Angst? Geknickt ließ er seine Schultern hängen und er zögerte. „Komm doch, Nicus. Es gibt leckeren Tee.“, meinte Aurora, die überhaupt nicht verstehen konnte, warum ihr Baumfreund stehen geblieben war. Also wollte sie zu ihm laufen und ließ auch schon die Hand ihres Daddys los. Sogleich lächelte Nicus wieder und breitete seine Arme aus, damit er sie auffangen konnte, sobald sie bei ihm ankommen würde.

Neremea

Lächelnd wand Kieran sich zu ihr um und zog sie enger an seinen Körper, ohne den Kuss auch nur für einen Moment zu unterbrechen. Selbst nach über fünf Sonnen Umläufen, die sie mittlerweile schon miteinander verheiratet waren, war die Anziehung zwischen ihnen, noch genauso stark wie am ersten Tag und Neremea hoffte, dass sich dies auch nie ändern würde.

Doch so innig und leidenschaftlich der Kuss auch gerade war und vermutlich nicht nur in Neremea den Wunsch nach mehr weckte, so schnell schlug auch die Realität wieder zu, als Beiden plötzlich klar wurde, dass sie keine Ahnung hatten, wo sich ihre vierjährige Tochter gerade aufhielt. Und auch wenn Kieran sich gerade alle Mühe gab, gefasst zu wirken und somit seine Frau irgendwie zu beruhigen, nahm Neremea seine innere Unruhe wahr, die sich auch in seinem Blick zeigte. Auch ihm machte es Angst, nicht zu wissen wo sein Kind war. Zumindest sein nächster Satz, verfehlte erst einmal nicht seine Wirkung und schwächten die Panik in Neremea zumindest ein Stück weit ab. Die Blumenwiese hatte sie tatsächlich nicht auf ihren Weg hierher sehen können und gerade jetzt wo die Natur langsam wieder aus dem Winterschlaf erwachte, hielt sich der kleine Wildfang gerne dort hinten auf und spielte mit den Schmetterlingen. “Du hast vermutlich Recht” gab sie zurück und versuchte das ungute Gefühl in ihrem inneren zu ignorieren. Es war alles gut! Aurora war auf dem Weg zu ihrem Vater bestimmt wirklich nur auf die Idee gekommen, dass Schmetterlinge fangen, viel lustiger war, als ihrem Vater in dem staubigen Schuppen dabei zuzusehen, wie er einen Stuhl reparierte - Neremea musste sich dies nur lange genug einreden, dann würde sie es vielleicht irgendwann glauben… dann würde es vielleicht auch wahr werden...

Kierans Hand auf ihrem unteren Rücken, riss sie aus ihren Gedanken und widerstandslos ließ sie sich von ihm nach draußen, zur Blumenwiese führen, doch bereits als sie um die Ecke bogen, stellte Neremea fest, dass sich ihre kleine Tochter nicht hier aufhielt. Und da war sie wieder, die Alles umfassende Panik, die einzig und allein durch Kierans Anwesenheit davon abgehalten wurde, vollends auszubrechen. Einmal mehr bewunderte sie ihren Mann dafür, dass er so ruhig und besonnen bleiben konnte und sich nun auch noch auf Spurensuche begab. Unter anderen Umständen, hätte Neremea sich vermutlich gefragt, warum er dies so gut beherrschte, doch heute rauschten tausend andere Gedanken durch ihren Kopf. Vorstellungen was ihrem Kind zugestoßen sein könnte, Eine schlimmer als die Andere. Und Kierans Mitteilung, dass sie in Richtung Wald verschwunden war, machte es nicht unbedingt besser. Sie hatten Aurora zwar nicht grundsätzlich verboten in dem angrenzenden Wald zu spielen, ihr aber erklärt, dass sie ihnen Bescheid geben musste, wenn sie dort spielen wollte und sich dann auch nur am Waldrand aufhalten durfte, wo man sie vom Hof aus, noch problemlos sehen konnte. Aber das war heute nicht geschehen, ebenso wenig, konnten sie das blonde Mädchen zwischen den Bäumen erkennen.

Neremea griff nach der Hand ihres Mannes, als dieser sich in Richtung Wald in Bewegung setzte und hielt diese so fest, als könne sie damit irgendetwas beeinflussen. Einmal mehr, musste Kieran nun, als ihr persönlicher Rettungsanker herhalten, der sie davon abhielt, vollkommen in Panik zu verfallen. Wieder mal bewunderte sie ihren Mann dafür, dass er zumindest äußerlich die Fassung behielt, auch wenn sie ziemlich genau wusste, wie es jetzt in seinem Inneren aussehen musste. Er würde es sich und vielleicht auch ihr - da es schließlich Neremea gewesen war, die nicht kontrolliert hatte, dass die Kleine auch wirklich zu ihrem Vater in den Schuppen ging - niemals verzeihen, wenn Aurora jetzt was zustoßen würde.

Abwechselnd tönten ihre Stimmen durch den Wald und riefen den Namen ihrer Tochter. Und auch wenn Kieran seine Angst zu beginn noch gut verbergen konnte, wurde diese immer greifbarer, umso länger sie erfolglos nach ihrem Kind suchten. Nein, Neremea würde es sich nie verzeihen können, wenn Aurora heute etwas zu stieß, nur weil sie zu müde gewesen war, zu kontrollieren, ob ihre vierjährige Tochter auch wirklich dorthin gegangen war, wohin sie hatte gehen wollen. Für einen Moment schloss sie die Augen und legte ihre freie Hand auf ihrem Bauch ab. Sie hatte keine Ahnung, wie lange Kieran und sie schon durch den Wald irrten auf der Suche nach ihrem Kind, aber langsam spürte sie die Erschöpfung in sich aufsteigen und hasste sich dafür gerade nur noch mehr. Es war Alles ihre Schuld. Ihre Schuld, dass Aurora fort war. Ihre Schuld, dass sie, aufgrund dieser zweiten Schwangerschaft überhaupt so müde war, dass sie unachtsam geworden war. Ihre Schuld, dass überhaupt ein zweites Kind unterwegs war, dass sie sich auch eigentlich nicht leisten konnten und sie offensichtlich bereits jetzt schon daran hinderte auf ihre Erstgeborene zu achten. Nur weil sie einfach nicht die Finger von ihrem Mann hatte lassen können, obwohl sie es hätte besser wissen müssen. Aurora war alt genug, sodass eine zweite Schwangerschaft eigentlich schon längst überfällig gewesen war...So war das nun mal bei ihrer Art, sie hatte es, im Gegensatz zu Kieran, der immer noch keine Ahnung von all dem hatte, drauf ankommen lassen und das Ergebnis wuchs nun unter ihrem Herzen heran.

Kierans fragender Blick, riss sie aus ihren Gedanken und Selbstvorwürfen und Neremea brauchte einen Moment, um sich wieder einzufinden, bevor sie dann auch das helle Kinderlachen hörte. Definitiv Aurora! Daran hatte sie keine Zweifel und auch wenn es überflüssig war, da er seine Tochter genauso sicher erkannt hatte, nickte sie Kieran bestätigend zu, bevor sich dann beide eilig in Bewegung setzten und sich einen Weg durch das Unterholz, in Richtung des Lachen, bahnten.

Etwas überrascht, registrierte Neremea nun, dass sie sich gar nicht soweit von ihrem Hof entfernt befanden, wie sie vermutet hatte und ging daher davon aus, dass Kieran sie in einem Bogen wieder zurück geführt hatte, denn nun erkannte sie auch den kleinen Bach, der unweit von ihrem Haus durch den Wald floss und an dem Aurora an warmen Tagen so gerne spielte. Der Bach befand sich jedoch an einer völlig anderen Ecke des Hofes, als die Blumenwiese, hatten sie ihre Tochter deswegen nicht gefunden? Doch auch wenn sie dem Lachen ihrer Tochter immer näher kamen, konnte Neremea den blonden Haarschopf immer noch nicht zwischen den Sträuchern erkennen. Plötzlich hielt Neremea inne und Kieran am Arm zurück. Sie hatte sich zwar schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gewandelt, aber nach wie vor, war die Schneeleopardin ein Teil von ihr und genau dieser, sonst so vernachlässigte Teil, hatte sich gerade zu Wort gemeldet um sie Warnen und ihr mitzuteilen, dass hier Etwas war, was definitiv nicht hierher gehörte. Doch trotz aller Anstrengung konnte Neremea nichts als Bäume und Sträucher um sich herum erkennen - was aber nicht zwangsläufig bedeutete, dass hier wirklich Nichts war. Auch wenn Neremea die Schneeleopardin fast schon sträflich vernachlässigt hatte, seit Aurora auf der Welt war, hatten sie ihre Instinkte noch nie getäuscht! Bevor sie jedoch noch weiter darüber nachdenken konnte, nahm sie erneut Auroras Stimme wahr und erblickte dann auch ihr Kind, dass zwischen zwei Sträuchern heraus, genau auf Kieran zu schoss und ihm in die Arme sprang. Man konnte förmlich sehen, wie Angst und Sorge von ihnen abfiel und durch Erleichterung ersetzt wurde, als Neremea nun an die beiden Menschen heran trat, die sie mehr, als ihr eigenes Leben liebte und für die sie ohne zu zögern sterben würde. “Den Göttern sei Dank” murmelte sie, während sie Aurora sanft durchs Haar strich und nur am Rande wahrnahm, was die Kleine da überschwänglich erzählte.

Einfach nur Dankbar dafür, dass sie ihr Kind unbeschadet wieder hatte, hakte sie auch nicht weiter nach, als Aurora sie um Erlaubnis bat, dass Nicus mit ihnen kommen durfte, um Tee zu probieren. Sie hatte keine Ahnung wer Nicus war, war sich aber relativ sicher, dass keines der Nachbarskinder, mit denen Aurora gelegentlich spielte, so hieß. Vermutlich war Nicus also wieder einer ihrer unsichtbaren Freunde, die von Zeit zu Zeit in den Erzählungen ihrer Tochter auftauchten. Nun war es wohl ein Nicus, der Caya, ihre letzte Bekanntschaft ersetzte. Ihr sollte es recht sein. Also nickte Neremea nur schwach und gab ein abwesendes “klar, warum nicht?” von sich, während sie den Blick nicht von ihrer kleinen Tochter lassen konnte. Sie hatte heute Angst gehabt. Richtige Angst. Die Angst davor ihr Kind zu verlieren, war schlimmer gewesen, als die, die sie damals verspürt hatte, als die Männer ihres Vaters sie durch das Tsan Gír-Gebirge gejagt hatten. Diese Angst damals war Nichts im Vergleich zu dem, was sie heute empfunden hatte und auch Kierans Blick verriet, dass es ihm da nicht anders ging.

Sie sah ihn immer noch an, als sich plötzlich wieder die Leopardin in ihr meldete. Erschrocken riss sie den Blick von ihrem Mann los und sah in die Richtung, aus der Aurora zuvor gekommen war. Doch bis auf Bäume sah sie dort Nichts…Doch dann... Bäume.. Nein ein Baum! Der sich bewegte und direkt auf sie zukam! Für einen Moment glaubte sie wirklich, dass sie sich dies einbildete, doch aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie nun auch Kieran sich anspannte. Mit einer fließenden Bewegung schob Neremea sich vor Aurora, um ihre Tochter, notfalls mit ihrem eigenen Körper, vor dem was dort auftauchen würde, zu schützen und bereitete sich innerlich darauf vor zu Wandeln. - Etwas was sie eigentlich nie vor ihrem Mann oder ihrer Tochter tun wollte - und doch wäre es in diesem Fall wohl das geringste Übel. Lieber erklärte sie den Beiden später, was sie war, als dass sie hilflos mit ansehen musste, wie man ihnen etwas antat.

“Was bei allen Göttern…” entfuhr es ihr fassungslos, während sie den wandelnden Baum, der definitiv ein Gesicht zu haben schien, anstarrte. Sie war so gebannt von diesem Anblick, dass sie erst viel zu spät bemerkte, wie Aurora sich an ihr vorbei drückte und freudestrahlend auf den Baum zurann. “AURORA!” schrie sie ihrem Kind noch hinterher, dass aber nicht hörte und ihren Weg unbeirrt fortsetze, und diesem hölzernen Wesen tatsächlich in die Arme sprang. Die Schneeleopardin in ihr war außer sich und versuchte nun fast schon gewalttätig an die Oberfläche zu treten, um ihr Fleisch und Blut zu schützen und Neremea hatte so, zum ersten Mal, seit sie herausgefunden hatte, dass sie eine Wandlerin war, das Problem diesen Teil von sich unter Kontrolle zu halten. Doch Neremea wusste auch, dass die Situation eskalieren würde und es blutig enden würde, wenn jetzt die Leopardin auf den Plan trat. Denn auch für ihre tierische Seite, stand der Schutz ihrer kleinen Familie an oberster Stelle, nur dass sie dies weitaus skrupelloser durchsetzte, als die sonst eher friedfertige Neremea und bisher war auch noch Nichts passiert was es rechtfertigte, die weiße Raubkatze zu entfesseln. Im Gegenteil sogar, das hölzerne Ding, etwas anderes brachte ihr verwirrtes Hirn gerade nicht zustande, schloss ihr Kind in seine Arme und es wirkte fast so, als wäre dies nicht das erste Mal. Generell schien Aurora recht vertraut mit diesem Wesen umzugehen, dass sie nun fast schon aus traurigen Augen anblickte. Nun war es an Neremea ihre Mann fragend, anzusehen um herauszufinden ob sie sich das Alles nur einbildete.

Kieran

"Aurora ..." Die Erleichterung brach wie eine Flutwelle über Kieran herein, der hörbar aufatmete und in die Hocke ging, um seine kleine Tochter in die Arme zu schließen. Genau wie Neremea hatte auch er Schwierigkeiten, ihrem Redeschwall zu folgen, was aber daran lag, dass nach dem ersten Anflug von Erleichterung ein ganz anders Gefühl in ihm hochkam. Wut. "Aurora!" Seine Stimme war genau so streng wie der Blick, mit dem er sein kleines Mädchen nun musterte. "Was hast du dir dabei gedacht, alleine in den Wald zu laufen? Du hättest dich verirren können! Ist dir klar, wie viel Sorgen deine Mutter und ich uns gemacht haben?" Es kam nicht oft vor, dass Kieran mit seiner Tochter schimpfte, wo er doch die meiste Zeit fernab auf dem Drachenfelsen verbrachte, aber das war nun einer dieser seltenen Momente.

Zumindest kurz besaß Aurora den Anstand, betreten den Kopf zu senken, bis Neremea ihr die Erlaubnis erteilte, diesen Nicus zum Tee einzuladen. Vergessen war das schlechte Gewissen, das nur allzu bereitwillig einem neuen Anflug kindlicher Euphorie Platz machte. Keine zwei Sekunden später, rannte Aurora auch schon los, um laut nach ihrem neuen Freund zu rufen, dessen Name Kieran irgendwie bekannt vorkam. Ganz dunkel meinte er, ihn schon einmal irgendwo gehört zu haben. Nur wo? Und wann? "Wer ist dieser Nicus? Kennst du ihn?" Kieran warf seiner Frau einen fragenden Blick zu, nur um festzustellen, dass auch sie den Namen scheinbar noch nie zuvor gehört hatte. Er drehte den Kopf wieder in die Richtung, in die Aurora davon gestürmt war, wobei ihm sämtliche Gesichtszüge entgleisten, als sein Blick auf das ... Ding fiel, das gerade aus dem Dickicht hervor trat.

"Was bei allen Höllen ..." Es war schwer zu sagen, wer vo ihnen geschockter dreinblickte. Er ... oder Neremea. Wie angewurzelt standen beide da, bis Kierans Instinkte dafür sorgten, dass er sich aus seiner plötzlichen Starre löste. "AURORA!" Er schrie ihren Namen förmlich, ehe er sich in Bewegung setzte und auf sie zurannte, um sie davon abzuhalten, sich dem Wesen noch weiter zu nähern. Vergeblich. Nur noch drei kleine Schritte trennte sie von dem Baum und plötzlich konnte er nur noch sehen, wie sie von zwei hölzernen Pranken umschlungen wurde. "LASS SIE SOFORT LOS!" Brüllte er wutentbrannt, instinktiv nach seinem Drachenschwert greifend. Ein Griff, der ins Leere ging, da eben jenes Drachenschwert wie immer in dem Versteck ruhte, in dem er es jedes Mal deponierte, bevor er nach Hause ging.

"Daddy, nicht!" Aurora löste sich wieder von Nicus und stellte sich beschützend vor ihren sogenannten Freund. Es war ein wirklich skurriles Bild, wenn man bedachte, dass sie im Vergleich zu Nicus furchtbar winzig war, während der Baum vermutlich in der Lage war, mit einem Hieb seiner riesigen Äste drei, wenn nicht sogar vier Männer auf einmal von den Füßen zu fegen. Vorausgesetzt er legte es darauf an. "Ich sagte doch, er ist mein Freund! Bitte sei nicht gemein zu ihm! Er tut doch niemandem etwas!" Tatsächlich widerstand Kieran dem Drang, auf das Wesen loszugehen und nahm sich die Zeit, es etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Ein Baum. Er war ... ein Baum. Und mit einem Mal wusste Kieran wieder, wo er den Namen Nicus schon einmal gehört hatte.

"Du ... du bist ein Ent." Genauer gesagt war er der Ent. Derselbe, von dem Athaín erzählt hatte. Die Beschreibung passte genau und obwohl Kieran dem Fremden weiterhin mit einer gesunden Portion Vorsicht begegnete, entspannte er sich sichtlich, als ihm klar wurde, dass Aurora Recht hatte und von ihm wirklich keine Gefahr ausging. ~ Kieran? ~ Windtänzer war ganz nahe, er konnte es spüren, weshalb er kurz nach seinem Drachen fühlte. ~ Es ist alles in Ordnung. Aurora geht es gut. ~ Er warf einen Blick über seine Schulter und sah zu Neremea, in deren Augen er vorhin einen seltsam fremden Ausdruck gesehen hatte. Es hatte den Anschein erweckt, als würde sie gegen etwas ankämpfen. Aber was?
Aurora war sich keiner Schuld bewusst oder eines Fehlers, sie hatte nur die Chance genutzt und war in den Wald zu ihrem neuen Freund gelaufen. Sie spürte, dass ihr nichts passieren konnte, wenn Nicus bei ihr war und hatte von der ersten Sekunde an keinerlei Angst vor ihm gehabt. Auch wenn plötzlich im Baumstamm ein Gesicht zu sehen gewesen war, da Nicus sich zunächst als Baum im Wald niedergelassen hatte. So war sie auf ihm herumgeturnt und geklettert und wann immer sie den Halt verlor, war da ein starker Ast gewesen, der sie entweder gestützt oder aufgefangen hatte. Erst als sie meinte, dass der Baum ihr Freund sei, hatte Nicus sich gewandelt und war – wie jetzt auch – in seiner menschenähnlichen Gestalt bei ihr gewesen.

Doch wartete er geduldig im Wald auf den Ruf seiner Freundin, nachdem sie auf die Stimmen ihrer Eltern zugelaufen war. Sie brach durch das Gestrüpp und rannte direkt auf ihren Daddy zu, fröhlich und mit vom Spielen noch wirreren Haaren als sie die eh schon hatte. Sofort plapperte sie los und dass sie Nicus zum Tee eingeladen hatte und ob er kommen durfte fragte sie auch sogleich nach. Als ihre Mommy es ihr erlaubte, strahlte sie beide an und rief dann lautstark nach Nicus. Sobald sie ihn erkannte – sie wusste ja worauf sie achten musste – wollte sie auch schon zu ihm. Allerdings entwischte die Kleine dann ihrer Mommy, die sich vor sie schob, so dass sie nichts mehr sehen konnte. Doch da Nicus auf sie zukam, in seiner gewohnten etwas langsameren Gangart – dafür aber mit größeren Schritten – hielt sie nichts mehr und schon rannte sie auch freudig lachend auf ihn zu.

Aurora hatte die Gabe des Ignorierens und somit 'hörte' sie einfach nicht, dass ihre Eltern beide laut nach ihr riefen. Sie hüpfte kurz vor dem Ent hoch, so dass dessen Asthände sie auffangen konnten und sie unter den Achseln hielten. Eigentlich hätte er sie jetzt etwas hoch geworfen, weil sie das liebte und so bezaubernd fröhlich dabei quietschte, doch die beiden erwachsenen Menschen hatten Angst. Angst um das kleine Menschlein, welches den schön klingenden Namen Aurora trug. Nicus hatte keine Ahnung mit was die Frau innerlich zu kämpfen hatte, er spürte es auch nicht, er sah nur, dass der Mann schnell auf sie zu kam.
Traurig sah er ihm entgegen, als er angebrüllt wurde und stellte dann das kleine Mädchen ganz behutsam und sanft wieder auf den Boden, hatte er sie doch etwa einen Meter über dem Boden gehalten. Aurora hingegen war sichtlich verwirrt und drehte sich um, stellte sich dann sogar beschützend vor ihren Baumfreund. Weshalb dessen Mundschlitz sich zu einem Lächeln verzog. Er brauchte keinen Schutz, denn der Mann hatte keine Waffe und auch kein Feuer. Allerdings dachte Nicus daran gar nicht, er hatte einfach nur keine Angst, weil er das Gefühl noch nicht kannte.

Simnicus ließ seine Arme bedrückt hängen und schaute die beiden großen Menschen immer noch traurig an. Dafür nickte er langsam, als das Mädchen meinte, er sei ihr Freund und er tue niemandem etwas. Das tat er wirklich nicht. Nicht einmal diesem bunten Vogel, der versucht hatte ein Loch in seinen Stamm zu picken. Als der Mann jedoch meinte, er sei ein Ent, änderte sich sein Gesichtsausdruck und man konnte sehen, dass er sich freute. „Ja, das bin ich, Nicus. Und ich bin Auroras Freund, Nicus.“ Vor Aufregung hatte er ganz vergessen, was Aßain ihm beigebracht hatte, nämlich dass er nur nach jedem zehnten Satz seinen Namen sagen sollte. Das hatte gut geklappt, so lange ihn nicht irgendwas ablenkte.

Dann betrachtete er neugierig die Menschenfrau mit ihrem so langen und hellen Haar und lächelte immer noch. Aber der Mann hatte auch lange Haare, was ihn ein wenig verwirrte, denn er kannte es anders. In den Büchern hatten Männer immer kurze Haare und Frauen lange Haare, ein hilfreiches Merkmal, wenn man sich mit Menschen noch nicht so gut auskannte und nicht wusste, woran man noch erkennen konnte ob der Mensch ein Weibchen oder ein Männchen war. Aber die Stimme war auch sehr hilfreich und deshalb konnte er sie doch ganz gut unterscheiden. Auch wenn die Angst nicht mehr auf ihren Gesichtern zu sehen war, blieb der Ent wo er war und merkte dann, wie das Mädchen sein linkes Bein umarmte. „Ich hab Durst. Können wir jetzt Tee trinken?“, fragte sie nach und nahm Nicus an die Hand, damit sie ihm den Weg zeigen konnte.

Neremea

Selbst Neremea zog unwillkürlich den Kopf ein, als Kieran mir Aurora schimpfte. Man konnte es wahrlich an einer Hand abzählen, wann ihr Mann die Stimme gegen ihre gemeinsame Tochter erhoben hatte. Da er die meiste Zeit des Tages auf dem Drachenfelsen verbrachte, oblag es oft Neremea sich um die Erziehung des Kindes zu kümmern, sodass der strenge Tonfall ihres Vaters, zumindest für einen Moment lang nicht seine Wirkung verfehlte, dann war Aurora, allerdings wieder Aurora und löste sich mit diesen für sie so typischen, begeisterten Ausdruck in den Augen, von ihrem Vater und erkundigte sich, ob sie ihren neuen Freund mit nach Hause zum Tee bringen würde. Hätte Neremea an dieser Stelle schon geahnt, was diese unscheinbare Bitte wirklich verbarg, hätte sie sicherlich nicht so schnell ihre Zustimmung erteilt, aber in dem Moment war es ihr schlichtweg egal gewesen und sie war einfach nur glücklich darüber, ihr Kind unbeschadet wieder gefunden zu haben.

Das Auftauchen des Baumes schien Kieran genauso zu überraschen, wie Neremea selbst, nur das er sich deutlich schneller wieder fing - was vielleicht auch daran lag, dass er keine Raubkatze in sich hatte, die er niederringen musste, weil diese drauf und dran war die Kontrolle zu übernehmen und das Wesen, was auch immer es wirklich war zu zerfleischen, bevor es sich Aurora nähern konnte. So war es auch Kieran, der vor ihr reagierte und Aurora hinterher sprintete, um sie von dem Ding weg zu holen. Wäre die nächste Szene nicht so verdammt ernst, hätte Nermea darüber vermutlich schmunzeln müssen. Ihre kleine, kaum mehr als ein Schritt große Tochter, stellte sich beschützend vor diesen Baum und versuchte ihren Hünen von Vater, davon abzuhalten, auf ihren Freund loszugehen. Und doch zeigte ihre Handlung Erfolg. Kieran hielt inne und Neremea musste seinen Blick gar nicht erst sehen, um zu wissen, dass er genauso verwirrt wie sie, aus der Wäsche schaute, während das Kind ihren Eltern noch einmal eindringlich erklärte, dass dieses Wesen ihr Freund und wirklich harmlos war.

Immer Noch sichtlich irritiert, eine Hand unbewusst, schützend auf ihren Bauch abgelegt, trat Neremea an Kieran heran, in dessen Kopf es nun zu arbeiten begonnen hatte. Sie wollte gerade eine Frage an ihren Mann richten, als dieser ihr jedoch zuvor kam und ausprach, was ihm durch den Kopf gegangen war. “Was? Woher weißt Du das?” Sie selbst hatte auf ihrer Flucht schon einige Länder bereist, aber von - wie hatte Kieran ihn genannt? - Ents? hatte sie noch nie gehört und… verdammt Neremea kannte sogar eine Phönix Wandlerin, die es offiziell gar nicht geben konnte!

Auch wenn es eigentlich der logische Schluss war, dass dieses Wesen besagter Nicus war, überraschte es Neremea dann doch noch, als sich der Baum… Ent! korrigierte sie sich selbst in Gedanken, als Nicus vorstellte. Irgendwie hatte sie nicht erwartet, dass er sprechen konnte, andererseits gab es in diesen Welten wohl Nichts, was es nicht gab. Die Stimme war dunkel und wirkte doch irgendwie freundlich, was nun endlich die Schneeleopardin dazu bewegte, sich zumindest etwas zu entspannen. Neremea spürte zwar immer noch deutlich ihre Präsenz, aber hatte jetzt zumindest nicht mehr das Gefühl, dass diese im nächsten Moment einfach durchbrechen und ihre Tarnung auffliegen lassen würde.

Unbewusst hatte sie sich näher an Kieran geschoben und berührte diesen nun leicht am Arm, während ihre eigenen Hände nun beide schützend auf ihrem Bauch, über ihren ungeborenen Kind, lagen. Unschlüssig, was sie nun tun sollten, blickte sie Kieran an, der ihr immer noch eine Antwort schuldete, woher er Ents kannte - Eine Antwort die sie aber vermutlich erst viel später erhalten würde, wenn überhaupt - als Auroras helle Stimme sie aus ihrem Gedankenwirrwarr riss. “Ähm.. ja natürlich” brachte sie immer noch sichtlich verwirrt hervor. “Dann gehen wir jetzt wohl Tee trinken…” wobei ihr aktuell viel mehr nach einem großen Becher Met war.. “Kannst Du…?” setzte Neremea dann zu einer Frage an, ehe sie sich selbst wieder unterbrach, ja Nicus konnte laufen, dass hatte sie schließlich von wenigen Momenten selbst gesehen.. Nein, sie würde vermutlich noch eine ganze Weile benötigen um das Chaos in ihrem Kopf zu beseitigen und war umso dankbarer dafür, dass Kieran bei ihr war, der mit dieser Situation ganz offensichtlich besser umgehen konnte, als sie selbst.

Kieran

"Athaín hat mir von ihm erzählt." Lautete Kierans Antwort auf Neremeas Frage, wobei er in Nicus' Richtung nickte und zu spät bemerkte, dass der Name des Halbdrachens wohl etwas vorschnell über seine Lippen gesprudelt war. "Er arbeitet auch auf dem Drachenfelsen." Fügte Kieran wenig detailreich hinzu, bevor seine Frau eine zweite Frage hinterher schieben konnte. "Ich dachte zuerst, er verarscht mich, als er von einem sprechenden, laufenden Baum erzählt hat. Nichts für ungut." Entschuldigte er sich im selben Atemzug bei Nicus, bevor der Ent seine Bemerkung als Beleidigung auffassen konnte. Er machte gegenwärtig einen lammfrommen Eindruck und wirkte nicht im Geringsten so, als hätte er auch nur eine einzelne kriegerische Ader in sich. Nichtsdestotrotz war Vorsicht in diesem Fall besser als Nachsicht, da Kieran rein gar nichts über diese Gattung wusste. "Erinnerst du dich an Athaín, Nicus? Ungefähr so groß ... helles Haar ... blind wie die Nacht dunkel?"

Der Drachenreiter sah zu seiner Frau, als sie näher an ihn heran trat und legte wie selbstverständlich einen Arm um ihre Taille. Es war eine automatische Reaktion seinerseits, ein innerer Impuls, wann immer sie ihm nahe war, ohne dass er großartig darüber nachdenken musste. Darum spürte er nun auch ganz genau, dass auch sie sich mittlerweile wieder etwas entspannt hatte. Welchen Kampf auch immer sie vor wenigen Sekunden noch mit sich ausgefochten hatte, sie schien ihn gewonnen zu haben.

"Na eeeeendlich!" Aurora griff nach Nicus Hand und zog ihren Freund mit sich, kaum dass ihre Mutter ihre finale Zustimmung zu einer Tasse Tee erteilt hatte, wenngleich der Ausdruck auf Neremeas Gesicht noch immer deutlich widerspiegelte, wie befremdlich diese Situation für sie war. Fünf Schritte später kam Aurora auf die glorreiche Idee, dass es viel lustiger wäre, an Nicus hochzuklettern und sich von ihm tragen zu lassen, was nun auch bei einem ganz anderen für wachsende Beunruhigung sorgte. Windtänzer. ~ Wenn der Stock sie fallen lässt, steck ich ihn in Brand! ~ Knurrte er in Kierans Gedanken, woraufhin sich ein amüsiertes Schmunzeln auf die Lippen des Reiters stahl.

"Vielleicht sollten wir den Tee lieber vor dem Haus trinken. Ich bin mir nicht sicher, ob er durch unsere Tür passt, geschweige denn an unseren Esstisch." Kieran griff nach Neremeas Hand und heftete sich an Nicus' Fersen, den er aufgrund seiner kostbaren Fracht keinen Moment aus den Augen ließ. Er war nicht mehr derart in Alarmbereitschaft wie noch wenige Minuten zuvor, aber gänzlich Vertrauen hatte er zu dem Ent noch nicht gefasst, auch wenn er das Urteilsvermögen von Athaínines Namensgeber in keinster Weise in Frage stellte. "Geht es dir ... euch gut?" Fragte er dann leise an seine Frau gewandt, wobei sein Blick kurz auf ihren Bauch huschte. Sie stand noch ganz am Anfang der Schwangerschaft aber schon damals, mit Aurora unter ihrem Herzen, hatte Kieran sie von Stunde eins an wie ein rohes Ei behandelt.

"Guck, Nicus! Gleich sind wir da!" Aurora hielt sich mit einer Hand fest, während sie mit der anderen euphorisch geradeaus zeigte, wo man zwischen den Bäumen bereits den Hof der Familie Braenden erahnen konnte. "Das ist der Stall ... und das da ist unser Haus. Ich hab sogar mein eigenes Zimmer! Wenn du magst, frag ich Mommy und Daddy, ob du heute bei uns übernachten darfst." Flüsterte sie ihrem Freund verschwörerisch ins Ohr, denn kindlich naiv wie sie war, wollte ihr kein Grund einfallen, der auch nur ansatzweise dagegen sprechen könnte.
Aßain?! Die schwarzen Augen des jungen Ent schienen runder zu werden, er war erstaunt. Hatte er den Mann wirklich richtig verstanden und er kannte Aßain? Kurz sah er zu der Frau, die nun sehr nahe an dem Mann stand. Vielleicht hatte sie ja immer noch Angst vor ihm? Das machte ihn traurig, aber er wusste und hatte gelernt, dass andere Wesen wegen seinem Aussehen Angst vor ihm hatten. Dabei würde er keinem Lebewesen je etwas tun. Außer vielleicht den Vogel vom Ast schubsen, der versucht hatte in seinen Stamm ein Loch zu picken! Aber da Vögel fliegen konnten, war es nicht schlimm, oder? Er hoffte es jedenfalls.

„Ich kenne Aßain, Nicus!“, strahlte er jetzt und freute sich darüber, dass noch jemand seinen Freund kannte. In seiner eigenen langsamen Gedankenwelt war dies gleichbedeutend damit, dass nun der Mann vor ihm auch sein Freund war. Da er das Wort 'verarscht' nicht kannte, lächelte Nicus einfach und sah dabei so unwissend aus, wie man nur aussehen konnte. Sprechender und laufender Baum war ja nur ein bisschen falsch, andere Wesen sahen die Ents nun einmal so, wenn sie ihre bewegliche Gestalt angenommen hatten. „Aßain ist mein Freund. Alachia auch. Sie ist sehr hübsch und leuchtet!“ Seine Begeisterung über das Farbenspiel der eitlen Drachendame war nicht zu überhören und aus seiner Sicht war sie ebenfalls seine Freundin.
Allerdings forderte seine jüngste Freundin mehr Aufmerksamkeit und umarmte sein linkes Bein, was ihn wieder lächeln und glücklich aussehen ließ. Und er sah immer noch so aus, als die Frau – nein, Auroras Mutter – ihnen erlaubte Tee zu trinken. Nicus strahlte sie einfach alle an, die gesamte kleine Menschenfamilie. Sobald das kleine Mädchen nach seiner Hand griff, beugte er sich nicht etwa herab, sondern ließ einfach seinen Arm wachsen, so dass sie ganz bequem heran kam und er nicht gebeugt gehen musste. Dafür sah er ihre Mutter sehr fragend an, weil sie ihren Satz nicht zu Ende sprach und so was verwirrte ihn immer. Also wartete er aufmerksam darauf, dass sie ihre Frage zu Ende stellte.

Der Ent lächelte dann jedoch wieder, weil seine Freundin an ihm hoch kletterte und er seinen Arm nutzte um ihren Füßen Halt zu geben. Kurz darauf saß sie auf seiner Schulter, auf der linken, weil sie sich mit ihrer rechten Hand besser an ihm festhalten konnte. So waren sie schon öfter durch den Wald gegangen, es wirkte fast, als würde Aurora schon von jeher dort sitzen. Da ihre Eltern nun hinter ihnen waren, würden sie erkennen, dass seine linke Schulter etwas breiter geworden war, als die rechte und zwar genauso breit, dass der Hintern des Mädchens sehr bequem und sicher dort sitzen konnte. „Jaaaaah, draußen! Auf einer Decke? Wir können Picknick machen!“, freute sich die Kleine und Nicus blinzelte nur. Eigentlich wollte er sie flüsternd fragen, aber er konnte nicht flüstern, weshalb auch ihre Eltern seine Frage hören konnten: „Was ist Picknick?“

Wenig später fuchtelte Aurora mit ihrer kleinen Hand herum und Nicus sah in die Richtung. Er schaute auch zum Stall und dann zum Haus und staunte. „Es ist schön hier, Nicus.“, bemerkte er und lächelte wieder. Seine Antwort auf das Flüstern des Kindes wegen dem Übernachten war natürlich gut zu hören, während er die letzten großen Schritte machte. „Ich möchte gern bleiben. Dein …“ Kurz musste er überlegen, dann fiel ihm das Wort wieder ein und vor allem, dass sie damit den Mann meinte. „... Dein Daddy liest vielleicht etwas vor? Eine Geschichte? Und ich darf dann auch zuhören?“ Sehnsuchtsvoll klang seine knarzige dunkle Stimme und war auch voller Hoffnung, dass wenn ihr Vater ihr eine Gute-Nacht-Geschichte vorlas, dass er dann zuhören durfte. „Ich kann vor deinem Fenster sitzen.“ Dann blieb er einfach stehen, nur ein paar wenige Meter vom Haus entfernt und drehte sich zu den älteren Menschen um.