Lost Chronicles

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Er war spazieren gegangen. Die Abendsonne war um diese Jahreszeit bereits mild und ein Hauch von Erwachen lag in der Luft. Die ersten Blüten und Blätter reckten vorwitzig ihre Köpfe unter dem braunen Laub hervor, welches im Herbst gefallen war und im Winter die Erde zugedeckt hatte wie ein warmer Mantel. Bald würde es Zeit werden die Wege zu harken und die Beete und Rabatten des Schlossgartens zu befreien, damit sie im Frühsommer ihre volle Pracht entfalten konnten. Denn wie in jedem Jahr würde der Graf auch in diesem ein rauschendes Fest zum Anlass seines Geburtstages geben. Alles was in Waljagrad Rang und Namen besaß, würde sich auf Schloss Tordak versammeln, sowie auch Bekanntschaften aus anderen Ländern und Welten, sofern sie nicht unabkömmlich waren. Daher hatte Kropok die Erbauung mit der Pflicht verbunden und eine Bestandsaufnahme durchgeführt.

Aber auch die abendliche Unterhaltung für Seine Hochwohlgeboren durfte nicht fehlen. Kropok und sein Herr besaßen eine Art Spiel, dessen Regeln nur sie beide verstanden. Niemand anders konnte etwas damit anfangen, sehr zum Ärger des gräflichen Sohnes Vlad, der schon seit Jahren versuchte hinter das Geheimnis der kryptischen Botschaften zu kommen, welche Abend für Abend auf dem Nachttisch seines Vaters lagen. Sie bestanden aus Zahlen und Nummern, die für niemanden einen Sinn ergaben, der nicht wusste wie sie zu entschlüsseln waren. Dabei war es ganz simpel und harmlos, überhaupt nicht wirklich geheimnisvoll. Denn irgendwann hatte der Graf begonnen sich dafür zu interessieren welche Eindrücke sein Diener aufnahm, wenn er die Ländereien durchstreifte. Breda hatte herausgefunden dass er die Welt auf eine höchst einzigartige Weise wahrnahm, und er wollte daran teilhaben, sehen was er sah. Warum? Das erschloss sich dem Menschen nicht, und es stand ihm auch nicht an danach zu fragen.

Das Ganze hätte sich bestimmt viel einfacher gestaltet, wäre Kropok begabt im Malen oder Zeichnen gewesen. Er bewunderte diese Kunst, und vor seinem inneren Auge formten sich Werke von höchster Brillianz und atemberaubender Detailtreue - doch fehlte ihm die Fingerfertigkeit, welche erforderlich war um das Bild aus dem Kopf auf Papier und Leinwand zu bannen. Versuchte er es, kamen dabei nur grobe Klecksereien heraus, die auch eine Maus zustande brachte wenn man sie vorher durch Tinte laufen ließ. Mit Worten war er besser, aber oft reichten sie nicht aus, denn ein Poet oder Barde war Kropok nicht. Also hatte man sich auf eine Übermittlungsmethode geeignet, die präziser nicht sein konnte: Man benutzte Zahlen. Koordinaten, um genau zu sein. Keine nautischen Längen- und Breitengrade, diese Einteilung war viel zu grob. Nein, Kropok benutzte dazu die Landmarken der gräflichen Ländereien, denen er mittels eines eigens erstellten Rasters Nummern und Identitäten zugewiesen hatte. Dieses Raster wiederum kannte außer ihm nur der Graf.

Heute hatte Kropok bei seinem Kontrollgang mal wieder etwas entdeckt. Fünfhundert Schritt nach Norden von der verfallenen Mühle am Fluss, welche die Nummer 18 trug. Dann einhundertzwei Schritte südlich in Richtung der großen Eiche mit der Nummer 7. Von Westen kommend war der Mondsee - die Nummer 3 - einen Tausendschritt entfernt, und im Osten lag das Schloss, welches die Nummer 1 trug, zwei Tausendschritt entfernt. Der Schnittpunkt all dieser Linien markierte die Stelle, die stets mit einem X beziffert wurde. Da allerdings bei aller Präzision noch Toleranzen blieben - denn nicht jeder besaß dieselbe Schrittlänge - wurde noch ein Schlüsselwort hinzugefügt. Die kryptische Botschaft, welche der Diener geräuschlos auf dem Nachttisch seines schlafenden Herrn hinterließ, lautete also: "500-18n-102-7s-1T-3w-2T-1o = X" mit dem Zusatz "Quelle". Denn das Plätschern einer Solchen hatte sich in der Nähe befunden. Ging man den Hinweisen also sorgfältig nach, konnte man den Ort finden.

Die Vorhänge vor den Fenstern waren noch fest zugezogen und ließen von draußen keinen Lichtschimmer herein. Ebenso die des riesigen Bettes, unter dessen seidenem Baldachin der Hausherr schlief, ohne dass auch nur ein Atemzug zu hören war. Im Zimmer war es so dunkel, dass man ohne eine Kerze nicht die Hand vor Augen sehen konnte. Jedenfalls dann, wenn man menschliche Augen besaß. Allerdings wusste Kropok, dass sein Herr ein angezündetes Lichtlein beim Aufstehen zu schätzen wusste, obwohl er sich auch im Dunkeln hervorragend orientieren konnte. Ebenso verhielt es sich mit dem Feuer, auch wenn der Graf niemals fror oder schwitzte. Er stellte also das Kerzlein auf der Kommode ab - zu nah bei seinem Bett mochte es der Hausherr nämlich nicht haben - und begab sich dann hinüber zu dem gemauerten Kamin, um die aufgeschichteten Holzscheite mittels eines Fidibus zu entzünden. Dann prüfte der Diener noch ob der Abzug funktionierte, warf einen letzten prüfenden Blick durch das Zimmer und überzeugte sich ob alles zur vollen Zufriedenheit arrangiert war.

Frische Unterkleidung lag auf einem Stuhl bereit, und die Stiefel waren frisch gewienert. Das Obergewand suchte der Herr immer selbst aus, weshalb es keinen Sinn hatte eines herauszulegen. Er würde sich doch für etwas anderes entscheiden. Eine Handvoll duftender Kräuter verbrannte im Kamin und sorgte für angenehmen Wohlgeruch. Ja, es war alles perfekt hergerichtet, soweit Kropok sehen konnte. Er würde nun draußen vor der Tür warten, und nur hereinkommen wenn sein Herr ihn rief.
Man mochte meinen, dass dieses jährliche Ereignis selbst beim Grafen für eine gewisse Vorfreude oder erfreute Aufregung auslösen würde. Doch dem war nicht so. Vielleicht zu Lebzeiten, aber auch nur, weil seine Ehefrau sich über jedes noch so kleine Fest hatte freuen können. Breda selbst war eigentlich nur daran interessiert neue Informationen zu erhalten, vor allem von denen seiner Geschäftspartner. Er gab gern sein Vermögen für wahrhaftig schöne Dinge aus, vor allem für seine Pläne mit dem ein oder anderen seiner Zuchtpferde. Aber ansonsten waren ihm diese Feste gleich, allerdings ließ er sich manchmal auf einer Hochzeit sehen. Er war hier in der Gegend als Gönner bekannt, als Helfer, wenn jemand finanziell in Not geriet. Aber der Graf tat dies nicht, weil er ein gutes Herz besaß – im Gegensatz zu seinem Leibdiener. Oh nein, es war alles Berechnung, so band er sich nach und nach die Bewohner in seiner Umgebung an sich. So erlangte er ihre Loyalität und schon so manches Mal hatte ihn eine Nachricht ereilt, dass ein Fremder nach ihm suchen würden – noch weit bevor dieser im letzten Dorf vor dem Schloss angekommen war. Kropok hatte ihm am Tage einen ganz wunderbaren Empfang bereitet und der Graf hatte dann des Nachts seinem Gast einen Besuch im Kerker abstatten können. Denn natürlich hatte sein Schloss solche Räume, allerdings hatte dort niemand Zutritt außer ihm und Kropok – selbst sein Sohn nicht.

Breda wusste jedoch, dass Vlad diese Räume auch manchmal benutzte, zum Vergnügen und er ließ ihn gewähren, da es sich bei den Gästen um diese widerwärtigen Tiervampire handelte. Allerdings war dies bisher in all den Jahrhunderten nur drei Mal vorgekommen und wenn er es gespürt hatte, hatte er Kropok zu einem Auftrag geschickt, damit er nicht anwesend war, sollte das Subjekt jemals entkommen können. Der Graf hatte nichts unternommen, trotz seines Verbots, denn er sammelte. Er sammelte die schweren Vergehen seines Sohnes, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war um ihm zu zeigen, dass er sich in falscher Sicherheit gewiegt hatte. Bis der richtige Zeitpunkt gekommen war um eine angemessene Strafe auszusprechen. Ja, er liebte seinen Sohn. Aber er wusste auch, dass die Verwandlung ihn verändert hatte und je weiter die Jahre fortgeschritten waren, desto mehr entfremdeten sich Vater und Sohn. Vielleicht lag es daran, dass der Graf begonnen hatte sich mehr für seinen besonderen Kropok interessiert hatte. Aber vielleicht auch nicht. Jeder einzelne seiner Kropoks waren bisher besonders gewesen, aber der Jetzige nahm auch noch die Welt besonders wahr – weil er nicht wie andere Menschen war. Vielleicht passte es Vlad ja auch deshalb so ganz und gar nicht, dass er mit Kropok ein Geheimnis vor ihm besaß.

Sobald die Tagesstarre in dieser Nacht nachließ schlug er die Augen auf und es war wie immer. Alles war so vorbereitet wie er es erwartete und wie er es gewohnt war. Das Feuer im Kamin brannte, welches nur den Zweck erfüllte, dass es eine bessere Atmosphäre schaffte, wie auch die Kerze. Denn Licht oder Wärme benötigte Breda nicht auf diese Weise. Etwa eine Sekunde blieb er noch liegen, dann erhob er sich geschmeidig und stand auf. Da er zwar jede Nacht ein Bad nahm, aber selten zur gleichen Zeit, gab er auch immer zu unterschiedlichen die Anweisung dazu das Wasser dafür vorzubereiten. Jetzt jedoch nahm er zuerst einmal die Nachricht von Kropok und las sie, was ein Lächeln bei ihm hervorlockte. Da er allein war, sah es niemand und niemand würde so erkennen können, wie sehr ihm dieses 'Spiel' gefiel. Doch Kropok vermutete es sicherlich, denn dieser musste jeden Zettel archivieren, weshalb er den Zettel auch auseinander gefaltet wieder zurück legte.

Der Graf überlegte einen Moment, nahm den Wohlgeruch der Kräuter wahr, die jede Nacht um eine Winzigkeit anders roch und beschloss zuerst den geheimnisvollen Ort aufzuspüren. „Kropok.“ erklang deshalb seine samtig dunkle Stimme, nicht laut, aber so dass er ihn vor der Tür hören konnte. Nun sollte sein Leibdiener einer seiner Aufgaben Folge leisten und ihn zunächst aus- und dann wieder ankleiden. Diese Aufgabe hatte sich in all den ewigen Jahren nach seiner Wandlung nicht geändert. Der Adel wurde schon immer von Dienern angekleidet, sein Eheweib hatte sogar drei Kammerzofen besessen. Der Graf selbst immer nur Kropok und die Kinder je nach Geschlecht eben eine Kammerzofe oder einen Kammerdiener. Nun wartete er, was nur einen Wimpernschlag lang andauerte und sah einfach nur zu seinem Kleiderschrank, in dem sich nur die Oberbekleidung befand. Kropok würde diesen dann öffnen und er entschied sich dann für: „Das siebte schwarze Hemd, aus Seide, kein Samt.“ Seine schwarze lange Hose bestand schon aus Samt und heute war ihm nach unterschiedlichen Stoffarten. Schwarz war die vorherrschende Farbe seiner gesamten Kleidung, es gab aber auch wein- und blutrot, purpur und Mitternachtsblau, sowie weiß.

Nachdem er angekleidet war und seine langen Haare wie von selbst glatt und ordentlich über seinen Rücken fielen, richtete sich sein dunkler Blick auf seinen Diener. „Ich gedenke meine Mahlzeit auswärts einzunehmen. Du wirst also niemanden einladen müssen.“ Er verließ sein Schlafgemach und darum wissend, dass Kropok ihm folgte – wie immer, bis er Gegenteiliges erlaubte – stieg er die breite und mit edlem Teppich ausgelegte Treppe herab. Nur das Flüstern seines Umhangs war dabei zu hören, welcher ebenfalls schwarz war, doch das innere Futteral war mit roter Seide ausgekleidet. Er brauchte nur den Kopf ein wenig in eine Richtung zu bewegen und Kropok würde in seinem Gesichtsfeld auftauchen, selbst wenn er weiter ging. Doch das war jetzt nicht nötig, da es nichts Neues war, was er ihm mitteilen wollte.
„Ich werde dir 'es' danach mitbringen. Mein Bad sollte dann ebenfalls vorbereitet sein.“ Was nichts anderes bedeutete, als dass er zuerst seinen Spaziergang machte, danach die 'Mahlzeit' einnehmen um anschließend zurück kehren würde. 'Es' war ein Gegenstand, den er an dem gefundenden Ort aufsammeln und mitbrachte, damit er mit der Nachricht archiviert werden konnte. Wie immer. Da der Graf ein wenig ungeduldig klang, war davon auszugehen, dass er seine Gabe des Auflösens nutzen würde um zu seinem Opfer zu gelangen, anstatt selbst zu gehen. Es lag an Kropok selbst, ob dieser das merkte und zu interpretieren wusste um zu berechnen, wann das Bad erwünscht war. Der Graf war durstig, mehr als sonst und doch zog er den Spaziergang nach dem Code vor.

So wartete er, bis ihm der Mensch ihm eine der beiden beeindruckend prunkvolle, verzierte und geschnitzte Doppeltür geöffnet hatte und er verschwand. Der Graf hielt sich exakt an die Bewegbeschreibung, sah alles vor seinem geistigen Auge und fing bei der verfallenen Mühle an seine gedanklichen Schritte in Richtung Norden zu zählen. Sein Sohn wäre äußerst verblüfft gewesen, eigentlich jeder, der ihn flüchtig kannte, dass ab und zu ein Lächeln über sein marmornes Gesicht huschte. Seine Schritte lenkten ihn nicht zur Mühle, auch nicht zur Eiche oder dem Mondsee. Er wusste wo die Linien zusammenkamen und genau diesen Punkt erreichte er auch. Er sah den kleinen Talkessel, die Felsen und seinen vampirischen Augen entging der gut verborgene Eingang der Höhle nicht, die auch Kropok entdeckt hatte. Andere Menschen hätten nur auf die Felsen geachtet, nicht näher hingesehen. Der Graf hörte die Quelle und stieg hinunter, seine Stiefel wurden ein wenig staubig, aber das ignorierte er. Er betrat die Höhle und nahm verschiedene alte Gerüche wahr, vor allem aber den Duft seines Leibdieners.

Er betrachtete das Innere dieser Höhle und schließlich sah er es auch, das was Kropok so daran fasziniert hatte, dass er der Meinung war der Graf sollte es sehen. Tatsächlich setzte sich der Adlige auf einen der Felsen im Inneren, wobei er seinen Umhang vorher ab- und über seinen Arm legte. Er wusste sehr genau, dass so etwas Staub auf seine Hose gelangen würde, es war jedoch genau seine Absicht. Und er wusste auch, dass Kropok das sehen würde und wissen würde, dass ihm dieser Ort gefallen hatte – denn er war länger geblieben als nötig für ein Souvenier. So kommunizierte er mit ihm, Dank gab es nicht, bisher hatte er sich mit Worten bei ihm bedankt. Vielleicht mal eine kleine Geste, ein Nicken, aber dann war es nur formell und nicht sonderlich wichtig oder gar privat. Aber mit diesem Abdruck aus Staub tat er es auf seine eigene Weise. Er erhob sich wieder, nahm einen Teil von der Höhlenwand, welches etwas spitz hervorstand, mit und verschwand wieder in die Nacht hinaus.

Der Graf hatte sich den Umhang wieder angelegt und nutzte seine Fähigkeit um in ein etwas entfernteres Dorf zu gelangen. Dazu nutzte er verschiedene Landmarken oder Gebäude aus, um so voran zu kommen. In diesem Dorf gab es einen jungen Mann, nach dessen Blut es ihn seit ein paar Tagen gelüstete und endlich hatte dieser seinen 16. Geburtstag gehabt. Dank der Fähigkeit zur Manipulation konnte er ihn nach draußen locken, ins Dunkle der Nacht und sein Blut war das köstliche einer Jungfrau mit unbefleckter Seele. Ein ganz besonderer 'Tropfen', wenn man so wollte. Breda lächelte erneut in dieser Nacht, spürte die berauschende Wirkung des Blutes, ließ dem hübschen Jungen aber genug, so dass er bis zum nächsten Abend schnell erholt haben würde. Da dieser die Tür offen gelassen hatte, seine Eltern tief schliefen, trug er ihn auf den Armen hinein und legte ihn in sein Bett. Er war wirklich hübsch, aber noch viel zu jung. Also verließ er ihn und die Bissmale in seinem Nacken würden wegen den langen Haaren nicht zu sehen sein. Wieder löste er sich mehrmals auf und tauchte nach wenigen Stunden wieder in seinem schloss auf, bereit für sein Bad, weshalb er ins Nebenzimmer seines Schlafgemachs ging. Bereit entkleidet zu werden.
Wie jeden Abend würde Herr Graf nach dem Aufstehen speisen wollen. Womit nicht etwa ein gewöhnliches Abendmahl gemeint war, auch keine fürstlich gedeckte Tafel. Nein, der Herr nahm nur eine ganz bestimmte Speise zu sich, und es war lediglich die Frage, ob er das außer Haus tun oder geduldig warten würde, bis sein Diener eine Einladung ausgesprochen hatte. Was nichts anderes hieß, als dass er loszog um ein schönes junges Mädchen - oder auch einen Jungen, je nachdem worauf der Graf Appetit hatte - aus dem Dorf in die Burg einzuladen. Das wurde als große Ehre empfunden, und selbstverständlich hatten die Familien nichts dagegen. Denn der oder die Entführten waren stets bei Tagesanbruch zurück, mit einem Lächeln auf den Lippen und einem großzügigen Geschenk in Gold und Silber. Sie alle konnten sich nur erinnern einen angenehmen Abend verbracht und dann in einem weichen Bett geschlafen zu haben - natürlich allein, denn der Graf rührte seine Opfer nie auf diese Weise an, und er sorgte dafür dass auch sein degenerierter Sohn sich nicht vergriff.

Vlad. Oder Rashko, wie er sich lieber nennen ließ, abgeleitet von seinem zweiten Vornamen. Kropok mochte ihn nicht. Er war schön, wie ein Mädchen, mit seidigen Locken, milchweißer Haut, roten Lippen und langen Wimpern. Aber er besaß Augen kalt und tot wie ein Fisch, und einen hinterhältigen Zug um den Mund. Außerdem hatte er die Angewohnheit im Haus herumzuschleichen und plötzlich hinter einem aufzutauchen, lautlos wie ein Gespenst, man bemerkte ihn erst wenn man seinen eisigen Atem im Nacken spürte. Das schien ihm zu gefallen. Kropok fühlte sich unwohl in seiner Nähe. Er wusste dass nur die Tatsache, dass Vlad ein verzogener Feigling war, der einen Heidenrespekt vor seinem Vater besaß, ihn davor bewahrte zu verschwinden wie die jungen Männer, die er sich manchmal zu seinem Amüsement auf das Schloss holte. Keine Männer aus dem Dorf. Sie waren jung - mehr oder weniger - stanken nach Wein und aufdringlichem Duftwasser, und waren gepudert und geschminkt wie Huren. Mochten die Schatten wissen wo er sie auftrieb. Auch ihn, Kropok, betrachtete er zuweilen mit diesem tierhaften, lüsternen Blick. Doch die menschlichen Diener des Grafen waren tabu, und selbst sein Sohn wagte es nicht sie anzurühren. Dennoch vermied er es nach Kräften, in der Gesellschaft des gräflichen Sprosses allein zu sein und ging ihm aus dem Weg wo er nur konnte.

Dummerweise ließ sich das nicht immer vermeiden. Ein leichter Luftzug hinter ihm, dann spürte er auch schon wie ein langer, spitzer Fingernagel langsam von seinem Haaransatz zum Halswirbel herab strich. Kropok erschauerte. Nicht weil es ihm gefiel, sondern weil es ihm unangenehm war, aber wie üblich interpretierte dieses Geschenk der Schöpfung an die Menschheit das falsch. "Kropooook", hauchte er ihm mit öliger Stimme ins Ohr. "Ich habe Lust auf ein Bad! Komm und lass es deinem lieben Rashko ein! Jetzt sofort!" Das war eine Unverschämtheit, und Vlad wusste das. Kropok wusste wiederum, dass Vlad es wusste. Denn er war immer noch der Leibdiener seines Vaters, und nicht seiner. "Euer Wohlgeboren." Er versteifte sich und zwang ein Lächeln auf eine Lippen. "Verzeiht. Ich bin gerade unabkömmlich, aber ich erscheine sobald ich..." "Tsk!" Vlad ließ einen Laut irgendwo zwischen beleidigter Majestät und theatralischem Schmollen hören. "Du stehst doch nur hier vor der Tür herum, da kannst du doch auch..."

"Kropok."

Die gedämpfte, samtig dunkle, aber dennoch befehlsgewohnte Stimme, die von hinter der Tür erklang, erlöste den Diener aus seiner unangenehmen Situation. Oh, wieviel angenehmer klang sie doch in den Ohren als das falsche Gezischel dieser Schlangenbrut! Kropok würde nie verstehen, wie dieser Sohn eines Vaters, der von Kopf bis Fuß ein Edelmann war, auf so furchtbare Weise hatte missraten können. "Entschuldigung." Er verneigte sich und drehte sich zur Tür. Diesmal war das Lächeln echt, wenn auch verstohlen. Es war ein wundervolles Geräusch, dieses leise Klacken, mit dem die Tür hinter ihm sanft ins Schloss fiel - direkt vor der Nase des Grafensohns, der eine Grimasse schnitt, denn hier hatte er keinen Zutritt. So ein Pech.

Rasch kam nun Kropok den Anweisungen nach. Das siebte schwarze Hemd. Von links gezählt natürlich. Seide, kein Samt. Der Diener fand es sofort, und half danach seinem Herrn beim Ankleiden und in die Stiefel. Schon beim Anlegen des Umhangs war klar, dass der Graf vorhatte auszugehen. Die Anweisungen waren nicht wirklich nötig, dennoch folgte alles einem genau festgelegten Ritual. Kropok nahm sie mit aufmerksamer Miene entgegen und verneigte sich dann, zum Zeichen dass er alles verstanden hatte. Mit leisem Bedauern folgte er hernach seinem Herrn die Treppen hinunter in die Halle. Vlad würde nun vermutlich die ganze Nacht damit verbringen ihm gehörig auf die Nerven zu fallen und ihn mit lächerlichen Aufgaben zu triezen, vorzugsweise solche bei denen Geschick erforderlich war. Zum Beispiel eine Perlenkette auffädeln, deren Seele er vorher zerschnitten hatte. Der Grafensohn wusste natürlich, wie schwer er sich mit solchen Dingen tat. Vielleicht würde er auch wieder darauf bestehen ihm das Tanzen näher zu bringen, und sich über sein ungeschicktes Stolpern lustig machen. Und natürlich würde er versuchen, aus ihm herauszubekommen was auf dem allabendlichen Zettel gestanden hatte. Das Übliche eben. Aber mit derlei Kleinigkeiten behelligte man Seine Exzellenz nicht.

"Sehr wohl, Herr", neigte der Diener deshalb nur sein Haupt und blickte dem Grafen hinterher, der festen Schrittes in die Nacht hinaus verschwand. Es hatte nicht so geklungen als hätte er vor auszureiten. Wenn er nicht ausritt, war er für gewöhnlich schnell wieder da. Kropok war gespannt was er mitbringen würde. Vielleicht blieb es ihm ja doch erspart, die ganze Nacht in Gesellschaft der erlauchten Nervensäge zu verbringen. Wie auch immer, um das Bad würde er wohl nicht herum kommen. Besser man erledigte es also schnell. Mit einem Wink scheuchte er die Zimmermädchen nach oben, die herrschaftlichen Gemächer mussten gelüftet und die Betten frisch bezogen werden. Er selbst würde sich nun erst einmal um die Wünsche der gräflichen Lendenfrucht kümmern...

Unterdessen hatte Graf Tordak das Zahlenrätsel entziffert, worin er schon einige Übung besaß. Der Eingang zur Höhle war schmal, fast nur ein Spalt, den man tatsächlich leicht übersehen konnte - oder man hatte keine Lust sich hindurch zu zwängen, weil man dahinter ohnehin nichts Interessantes vermutete. Zu Überraschung des Grafen weitete sich der Spalt rasch zu einer Art kleinen Grotte, die von einem sanften blauen Leuchten erhellt wurde. Es stammte von einem Lumenstein, den jemand in ein Wasserbecken gelegt hatte. Von hier aus schien auch das Plätschern auszugehen. Im Näherkommen bemerkte man dass das Wasser aus einer Felswand sprudelte und sich in einem natürlich entstandenen Becken fing. Es war nicht tief, vielleicht eine Ellenlänge. Aber - und das war wohl der Grund, weshalb der Lumenstein hier war - es hatte eine leuchtend kristallblaue Farbe. Es musste sich in der Nähe eine Erzader befinden, und die Färbung kam vom ausgewaschenen Vitriol. Über der Quelle befand sich eine Felsspalte, durch die wohl tagsüber das Sonnenlicht hineinfiel. Jetzt bei Nacht wäre es zu dunkel gewesen um das erstaunliche Farbenspiel zu bewundern, also hatte Kropok etwas nachgeholfen.

Unterdessen im Schloss war der Diener schließlich den Fängen des gelangweilten Grafensohns entkommen, der sich nun seinerseits aufgemacht hatte um die Nacht unsicher zu machen. Wahrscheinlich würde es am nächsten Morgen wieder etwas zu beseitigen geben, weil der junge Herr gierig, schlampig und unvorsichtig war. Immer dasselbe Lied. Gerade noch rechtzeitig hatte er es geschafft die große Wanne im gräflichen Badegemach mit heißem seifigem Wasser zu befüllen und einige Duftessenzen beizumischen. Obenauf schwammen Rosenblätter und Kerzenlicht erhellte den Raum. Der Mond schien hell und klar durch das Fenster, durch das der Graf gern während seines Bades die nächtliche Landschaft betrachtete. Aber auch eine Auswahl Bücher lag bereit, falls er lesen wollte. Da waren auch schon Geräusche aus dem Ankleidezimmer nebenan zu hören, und Kropok beeilte sich nach drüben zu gelangen. "Herr", neigte er zur Begrüßung den Kopf und wirkte ein wenig abgehetzt, trotzdem er sich bemühte sich das nicht anmerken zu lassen. "Das Bad ist bereit. Ich hoffe der Spaziergang war erholsam?"
Der Graf bevorzugte eine gewisse Routine, manch einer würde behaupten Eintönigkeit, doch der Vampir mochte keine Überraschungen. Negative, wie auch Positive. Vermutlich lag es an seinem Kontrollzwang, denn Überraschungen hatte man nicht unter Kontrolle und konnte sie auch nicht beeinflussen oder verändern. Sein Leben verlief also nach einem gleichen Muster ab, nur manchmal enthielt es kleine Varianten, für die sein Leibdiener sorgte. Dazu zählte auch die nie gleiche Kräutermischung im Feuer und vor allem ihr geheimes Spiel, das war die Abwechslung, die er guthieß und die ihm gefiel.

Er wusste, dass Kropok wusste was er ihm sagen würde und dennoch erhielt dieser die üblichen Anweisungen, dieser aufmerksam entgegen nahm. So aufmerksam, als würde er ihm zum ersten Mal etwas erklären. Das Phänomen bei diesem Menschen jedoch war, dass er es schaffte genau das zu vermitteln. Der Jüngere hätte mitsprechen können, da war sich Breda sicher und doch sah er nicht danach aus. Er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber womöglich besaß Kropok gar nicht das Empfinden für Langeweile.
Da er einen Umhang trug, verließ er auch sein Schloss, im Gegensatz zu manchem klischeehaftem Gerücht trug er ein solches Kleidungsstück nicht die gesamte Nacht oder gar am Tage, wenn er ruhte. So verließ er das Schloss und machte einen 'Spaziergang', bei dem ihm noch nie jemand begleitet hatte. Am Anfang hatte sein Sohn versucht ihm zu folgen, aber er hatte es bemerkt und war einfach verschwunden, nur um einige Minuten später dort seinen Weg wieder aufzunehmen, wo er ihn hatte unterbrechen müssen. Nur ein spöttischer Blick seitens des Grafen hatte seinen Sohn bei seiner Rückkehr gestreift. Er hatte nichts gesagt, aber das war auch nicht nötig gewesen.

Es war erstaunlich welch sonderbare Orte, Plätze und Dergleichen sein Leibdiener immer wieder fand und ihm auf seine Weise zeigte und erfahren ließ. Der Graf nahm sich sogar die Zeit die Ziele zu würdigen und auch jetzt setzte er sich und betrachtete die Schönheit an diesem verborgenen Ort. Er genoss das blaue Licht, welches um ein Vielfaches schöner war als das eines Feuers. Ein flüchtiges Lächeln zeigte, dass er sich der Mühe gewahr war, die sich sein Diener für ihn gegeben hatte. Mit Sonnenlicht wäre es selbstverständlich einfacher gewesen ihm diese Farbenpracht zu zeigen, aber Kropok wusste sich zu helfen – wie stets. Das Blau hier besaß unterschiedliche Nuancen, die dem Vampir nicht entgingen und erst ein paar Minuten später nahm er ein Souvenir mit. Anschließend stillte er seinen Durst an einem hübschen Jüngling, ehe er zum Schloss zurückkehrte um sein Bad nehmen zu können.

Breda tauchte im Ankleidezimmer auf, welches der Durchgang vom Schlafgemach zum Badezimmer war. Er konnte nicht nur die Duftessenz riechen, sondern auch die Rosenblätter und immer lächelte der Graf zufrieden. Noch nie hatte ihn ein Kropok enttäuscht und so auch nicht der Jetzige. Als dieser zu ihm kam und ihn begrüßte, drehte der Vampir seinen Kopf und betrachtete ihn flüchtig. „In der Tat, das war er.“, bestätigte er und nahm etwas aus seiner Umhanginnentasche, wartete bis sein Leibdiener die eigene Hand öffnete und ihm hinhielt. Erst dann legten kühle lange Finger behutsam sein Fundstück auf die warme Innenfläche der Hand des Jüngeren, damit dieser es sehen und später archivieren konnte.

Anschließend ließ er sich entkleiden und im Gegensatz zu sonst, ruhte sein Blick dabei immer mal wieder auf dem Menschen. Nicht, weil er ihn kontrollieren wollte – dies war schon seit Jahren nicht nötig – sondern weil er den sehr leichten, abgehetzten Zustand bemerkt hatte. Aber Breda war niemand, der nachfragte, nicht direkt, wenn er noch Geduld besaß. Er ließ es sich lieber erzählen. „Ich gehe recht in der Annahme, dass mein Sohn das Schloss verlassen hat?“ Der Graf ahnte was sich zwischen seinem Sohn und seinem Diener abspielte, denn er kannte Vlad und auch wenn er die Augen verschloss, so wusste er was aus ihm geworden war. Nur leicht deutete er auf eine der drei Seifen, die zur Auswahl standen, so wusste Kropok welche er heute benutzen sollte.

„Erzähl mir von deinem detailreichen Tag.“, forderte er dann und normalerweise trug das zu seiner Entspannung bei, denn normalerweise verlief es immer gewöhnlich und ohne besondere Vorkommnisse. Er fragte auch nicht zum ersten Mal. Doch heute war es anders, heute hatte er ein Wort hinzugefügt: detaillreich. Es bedeutete, dass er ALLES wissen wollte und sein Diener es nicht wagen sollte etwas – oder wegen seinem Verdacht jemand – wegzulassen. Der Graf selbst stieg in das angenehm temperierte Badewasser, was für manchen Menschen sicherlich zu heiß war und ließ auch die langen Haare nass werden. Was wiederum ein Zeichen für seinen Diener war, dass dieser sie ebenfalls waschen sollte, was er nicht jede Nacht tun sollte. Er lehnte sich zurück und doch lag der Blick der stahlgrauen Augen auf dem noch jungen Menschen. Jung aus Sicht seitens des Grafen.
Eintönigkeit war tatsächlich nichts, was Kropok als langweilig empfand. Im Gegenteil, seine Tätigkeit wie auch sein Tagesablauf folgte immer denselben, ganz genau vorgegebenen Routinen. Veränderungen daran mochte er nicht, sie brachten ihn durcheinander. Er hatte dann ständig das Gefühl etwas vergessen oder nicht zur Zufriedenheit erledigt zu haben. Das fand er unerträglich, denn es widersprach seinem Sinn für Perfektion. Wobei man ihn gar nicht als Perfektionisten im herkömmlichen Sinn bezeichnen konnte, denn diese waren meist kontrollsüchtig und präsentierten das nach außen. Das war Kropok nicht, und er hatte auch nicht das Bestreben anderen zu gefallen. Nein. Er besaß sein eigenes winziges Universum mit seinen eigenen Gesetzen und seiner eigenen Ästhetik, und wenn in diesem alles in wohlgeordneten Bahnen lief, dann funktionierte auch die Welt um ihn herum.

Er war deshalb sehr dankbar, dass der Herr Graf ein Routinenmensch war. Typen wie Vlad und seine merkwürdigen Freunde empfand er als verstörend, weil sie für ihn das personifizierte Chaos darstellten. Ebenso wie die stets unaufgeräumten Gemächer des jungen Herrn, die Kropok sich jedesmal innerlich sträubte zu betreten. Vermutlich wusste Vlad das, denn er ließ keine Gelegenheit aus ihn dazu zu nötigen. Wie wohltuend war es dagegen, wie an jedem Abend die Anweisungen des Grafen entgegen zu nehmen. Natürlich waren es nicht immer exakt dieselben, aber die Abweichungen waren minimal, denn die Gelüste seines Herrn nach Abwechslung waren es ebenso. Der Diener tat nicht nur so als würde er aufmerksam zuhören, sondern speicherte tatsächlich jedes Wort ab. Er konnte nicht anders. Sein Gehirn funktionierte so. Es ordnete jedes Detail als gleich wichtig ein, deswegen übersah oder vergaß er nie etwas, und niemals unterlief ihm ein Fehler aus Gedankenlosigkeit.

Kopok atmete auf, als das große Portal ins Schloss fiel und es still auf dem Anwesen wurde. Er wusste, dass Vlad seinem Vater folgen würde um herauszufinden welches Geheimnis sie teilten. Natürlich spionierte er herum und wusste um die kryptischen Botschaften, konnte sie jedoch zu seinem Ärger nicht entschlüsseln, und Kropok deswegen unter Druck zu setzen wagte er dann doch nicht. Er selbst hatte bereits zu Abend gegessen - streng genommen zu Mittag, denn wenn man jede Nacht erst bei Morgengrauen zu Bett ging, stand man nicht mit den Hühnern auf, sondern vielmehr mit den Falken - und nun hatte er Zeit und Ruhe seiner allnächtlichen Arbeit nachzugehen. Dazu gehörte bedauerlicherweise das Aufräumen des junggräflichen Saustalls, eine Aufgabe der er persönlich nachkommen musste, denn das Gesinde arbeitete nur tagsüber und durfte die herrschaftlichen Schlafgemächer nicht betreten.

Den Anblick sollte Kropok inzwischen gewöhnt sein, aber es gab wohl Dinge, an die man sich nie wirklich gewöhnte. Auf dem Bett des Grafensohns lag in obszön verdrehter Haltung ein junger Mann. Nackt, blutleer, die glasigen Augen starrten ins Nichts. Ein schwerer, widerwärtiger Geruch nach schalem Wein, menschlichen Ausdünstungen und Blut hin in der Luft. Kropok öffnete die Fenster, verbrannte Kräuter in den Kohlebecken und zog die Laken vom Bett, um den nackten Körper darin einzuwickeln. Ein anderes Leichenhemd würde der Unbekannte nicht bekommen, so wenig wie einen Grabstein mit seinem Namen darauf. Sein Leben hatte dazu gedient das eines anderen zu verlängern. War das eine gute Bestimmung? Kropok wusste es nicht, und es war auch nicht seine Aufgabe sich darüber Gedanken zu machen. Diese Männer kamen nicht unfreiwillig in die Gemächer des jungen Grafen, sondern in der Hoffnung auf Lust, Abenteuer, Großzügigkeit. Sie waren wie Schmetterlinge, die sich vom betörenden Duft einer fleischfressenden Mosaria anlocken ließen. Hatten sie den Tod verdient? Sicher nicht. Aber die Mosaria musste nun einmal auch leben.

Kropok bezog das Bett frisch, räumte halb geleerte Flaschen und Kristallpokale zusammen, sowie die bereits verderbenden Reste einer opulenten Mahlzeit. Vlad hatte aufgefahren. Braten, diverse Käsesorten, Kuchen und Süßigkeiten. Zumindest war der bedauernswerte junge Mann nicht hungrig gestorben. Auch ein Pfeifchen mit den Überresten einer berauschenden Substanz fand er. Vielleicht hatte er seinen Tod nicht einmal kommen sehen. Kropok holte Wasser und Bürste, entfernte die Blutspritzer von Bett und Wänden und schrubbte den Boden. Die umherliegenden Kleidungsstücke verbrannte er im Kamin. Schließlich trug er die Leiche nach unten und begrub sie auf dem Totenacker etwas abseits vom Herrenhaus, auf dem schon seit Jahrhunderten keine offiziellen Beerdigungen mehr stattfanden. Dafür umso mehr inoffizielle. Aber wer fragte schon danach? Hierher kam niemals eine Seele. Es hieß der Ort sei verflucht. In gewisser Weise war er das ja auch.

Nachdem der Diener mit allem fertig war, wurde es Zeit das Bad für seinen Herrn zu bereiten, denn dieser würde bald wiederkehren. Wie immer war auch pünktlich zu dessen Ankunft alles bereit, sogar die Rosenblätter für das Badewasser hatte er besorgt. Aber bevor der Graf in die Fluten stieg, kam erst einmal der besondere Teil an die Reihe. Der Zeitpunkt, der nur ihnen allein gehörte. Die Miene des Dieners hellte sich auf und seine Augen begannen zu leuchten, als er die Hände aufhielt und den Beweis in Empfang nahm. Was es wohl diesmal war? Wie jede Nacht war Kropok neugierig - und ein bisschen aufgeregt, denn er wusste dass die kleinen Schatzkarten nicht immer leicht zu entziffern waren. Aber bisher hatte der Graf noch jedes gefunden, was ihn mit einer gewissen Befriedigung erfüllte.

"Ja, Herr", nickte der Diener gehorsam auf die Frage hin, nachdem er ihm beim Auskleiden geholfen hatte und nun nach der Badeseife griff, die der Hausherr diesmal wünschte. "Ich habe ihn zumindest nicht mehr gesehen seit Ihr aus dem Haus gegangen seid. Im Keller habe ich allerdings noch nicht nachgesehen, es wäre auch möglich dass er dort ist." Der Keller - genauer gesagt ein ganz bestimmter Keller - gehörte ebenfalls zu den bevorzugten Aufenthaltsorten des Grafensohns, wenn er sich nicht gerade draußen herumtrieb oder Orgien in seinen Gemächern veranstaltete. Allerdings vermied es Kropok tunlichst diese Kellergewölbe zu betreten, denn was immer dort vorging wenn Vlad sich dorthin zurück zog, es war besser für den Seelenfrieden es nicht zu wissen. Es war auch besser den Hausherrn nicht damit zu behelligen, denn der besaß einen gewissen blinden Fleck, was das Treiben seines Sohnes anging. Ein um das andere Mal hatte Kropok in der Vergangenheit versucht das Thema behutsam anzuschneiden, war aber jedesmal abgekanzelt worden. Ob Graf Breda begonnen hatte eigene Nachforschungen anzustellen oder längst bescheid wusste, entzog sich seiner Kenntnis und hatte ihn auch nicht zu interessieren.

Mit diskret abgewandtem Blick, wie es sich geziemte, wartete Kropok bis der Hausherr ins Bad gestiegen war und griff nach dem bereitliegenden Schwamm, um Rücken und Haare zu befeuchten. Das Wasser rann wie Sturzbäche über die Haut, die zu Tropfen versiegten und erneut anschwollen. Ein Schauspiel, welches den Blick auf merkwürdige Weise fesselte. "Mein Tag, Herr? Oh, er war nicht sehr ereignisreich", wiegelte der Diener ab und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. "Ich habe nur... etwas aufgeräumt hier und da. Auf dem Totenacker ist wieder ein frischer Hügel. Wir... brauchen vermutlich bald einen anderen Ort, Herr."
Es war immer sehr angenehm, wenn er von seinem Ausflug zurückkehrte und durch das stille Schloss schritt um zu seinen – wie immer – vorbereiteten Gemächern zu gelangen. Jede Nacht war ein anderes Duftgemisch hinzugegeben worden und auch wenn sich dieses irgendwann wiederholen musste, gefiel es dem Grafen, dass er nicht wusste für welche Mischung sich sein Diener dieses Mal entschieden hatte. Die einzige Situation bei der es mochte etwas nicht zu wissen, neben ihrem geheimen Wegbeschreibungen selbstverständlich.

Sein Bad stand ebenfalls wie seit Urzeiten für ihn bereit, er roch schon die Rosenblätter, die wegen dem heißen Wasser anders dufteten als im gräflichen Garten. Doch zuvor übergab er Kropok sein Mitbringsel, welches in den Händen des Jüngeren gelegt wurde. Fast schon behutsam, denn auch wenn man es kaum glauben mochte, bedeutete dem Grafen dieser Moment der Überbringung ebenfalls sehr viel. Auch er hielt es für einen zweisamen Augenblick, der nur für ihre Augen bestimmt war – wie die Orte nur für Breda gedacht waren. Nur ihm sah man die Freude und die etwas vorhandene Aufregung nicht an, wobei er das letzte Gefühl schon sehr lange nicht mehr empfunden hatte. Dafür aber Dank seinem Diener Neugierde. Die stahlgrauen Augen beobachteten jede Regung des Anderen und ein sehr feines Lächeln huschte über seine wie gemeißelt wirkenden Züge.

Etwas später ließ er sich entkleiden und entschied sich selbst für eine der Seifen, ehe er nach seinem Sohn fragte. Ihm war aufgefallen, dass sein Leibdiener etwas gehetzt wirkte und dem wollte er auf den Grund gehen. „Du wirst den Keller auch nicht aufsuchen. Sollte ich Sehnsucht nach der Gesellschaft meines Sohnes verspüren, werde ich selbst dort hinunter gehen.“ Es war ein Befehl, ein direkter, jedoch ohne Zeitangabe wie lange sich der Mensch von den Räumen im Keller fernzuhalten hatte. Es würde einfach so lange gelten, bis der Graf etwas Gegenteiliges erwähnte oder gar befahl. Doch er wusste, dass es dort unten gefährlich für Kropok werden konnte. Sein Sohn war dahingehend anscheinend noch nicht gänzlich überzeugt, dass sich des Grafens Mensch dort nicht aufhalten sollte – egal was der jüngere Vampir diesem für Aufgaben ausdachte um ihn nach unten zu locken. Es sollte es ihm verdeutlichen. Selbstverständlich sprach er darüber nicht mit seinem Leibdiener, den er bei diesem Thema und generell wenn es um seinen Sohn ging, eher das Wort verbot und über etwas anderes sprach.

Da er nun entkleidet war, begab er sich in das heiße Badewasser, welches seine Haut eher umschmeichelte als sie zu 'kochen', sie rötete sich auch nicht. Nun, ganz so heiß war das Wasser nicht, denn er wollte keine Verbrühungen an den Händen seines Dieners entstehen lassen. Breda könnte es auch mit offenen Augen genießen, wie sein Mensch damit begann das Wasser über seinen Körper laufen zu lassen. Bei allen anderen Wesen, traurigerweise sogar bei seinem Sohn, hätte er die Augen offen gelassen. Nicht so bei Kropok, der Graf senkte die Lieder über dem dunklen grau und spürte den einzelnen Tropfen nach, die sich nach dem Sturzbach herauskristallisierten und über seine Haut glitten. Er öffnete sie erst, nachdem er seine Frage gestellt hatte und ein Wort darin neu war: detailreich. „Ich verstehe.“, gab er dann von sich und es klang dunkler als seine Stimme eh schon war. Die Erwähnung des Totenackers ließ das Aufräumen gleich anders klingen und natürlich ließ es ihn erkennen, wo genau Kropok dies getan hatte. Jetzt war auch sein etwas anderer Zustand erklärt. Es missfiel dem Grafen.

„Nun gut. Dann wähle einen neuen Ort aus. Wenn du keinen findest, wird das Unrat am Tage verbrannt.“ Niemand wagte sich hier her und selbst wenn das Feuer entdeckt werden würde, es würde vermutlich niemanden kümmern. Es kein Brand und es würde sich nicht ausbreiten, alles andere was hier geschah würde keine menschliche Seele interessieren, so lange keine Gefahr für das Dorf näher kam. „Ich habe mich entschieden. Du wirst das Ausheben einer tiefen Grube befehlen und überwachen. Dort wird ein Feuer keinen Schaden anrichten können.“ Breda wollte keine menschlichen Überreste von den Spielzeugen seines Sohnes mehr auf seinem geliebten Grundstück beherbergen und darauf warten müssen, bis Ungeziefer diese Überbleibsel vernichtet hatten. „Doch Kropok...“, fing er ein wenig lauernd an, denn schließlich hatte dieser einen Fehler begangen, wenn auch mit besten Absichten. „Deine Worte beschrieben keinen detailreichen Tag, nicht wahr?“ Elegant, aber nur leicht bewegte er seine Finger, fordernd näher zu kommen und in sein Gesichtsfeld zu erscheinen, so dass er ihm in die Augen sehen konnte.
Diesmal hatte Kropok eine Kräutermischung aus warmen Duftnuancen gewählt, passend zum herannahenden Frühling. Es roch süß, erdig, aber nicht blumig, da er wusste dass sein Herr das nicht mochte. Diese "weibischen" Düfte waren mehr die Vorliebe seines Sohnes, wobei sich der Diener nicht einmal sicher war ob Vlad es wirklich mochte wenn seine Gemächer rochen wie ein billiges Freudenhaus, oder er lediglich seinen alten Herrn damit provozieren wollte. Daran fand er ja bekanntermaßen Vergnügen. Was auch dem Grafen bewusst war, da war Kropok sicher. Er äußerte sein Missfallen jedoch selten öffentlich, und der Diener selbst hätte sich niemals auf diese Weise vergessen. Also breitete auch er den Mantel des Schweigens darüber.

Der spitz zulaufende Stein, der ihm in die Hand gelegt wurde, war auf den ersten Blick von einem ganz gewöhnlichen Grau, wie die meisten Steine nun einmal waren. Kropoks detailfokussierte Wahrnehmung bemerkte jedoch sofort, dass er von rostroten Adern durchzogen war, die verästelte Muster und Schleifen formten. Eine Schönheit von solcher Symmetrie, wie sie nur die Natur selbst hervorbringen konnte. Er wusste, dass der Graf in der richtigen Höhle gewesen war, die allem Anschein nach ein kleines Erzvorkommen barg. Nicht genug dass sich die Ausbeute lohnte, aber genug um etwas Besonderes zu sein. "Er ist... vollkommen, Herr", gestattete er sich ein verhaltenes Lächeln, aber hauptsächlich am Aufleuchten der dunklen Augen konnte man ablesen wie sehr er das Geschenk wertschätzte. "Ich danke Euch." Sorgsam schlug er es in ein sauberes Tuch ein und plazierte es vorsichtig in seiner Tasche.

Der Diener würde es später seiner Sammlung zuführen, die er wie einen kleinen Drachenhort hütete. Aber nun war es erst einmal Zeit für seines Herren allnächtliches Bad, welches bereits vorbereitet war. Kropok wusste dass der Graf gern heiß badete, aber nicht so heiß dass man sich die Finger verbrannte. Er wusste allerdings nicht dass diese Anweisung, die er wortgetreu befolgte, etwas mit Rücksichtnahme auf seine eigenen Finger zu tun hatte. Wenn Graf Breda darauf bestanden hätte, hätte er sich auch verbrüht, denn dieser war nunmal der Herr. Es war allerdings nicht so, dass Kropok nicht dankbar dafür war dass er es nicht verlangte. Breda war ein guter Herr. Es gab sovieles wozu er ihn hätte zwingend können, nur weil es ihm gefallen hätte. Aber das tat er nicht. Gleichwohl würde auch Kropok niemals daran denken seinem Herrn etwas anzutun. Er griff nach dem Schwamm, um das glitzernde Nass über Schultern und Rücken rinnen zu lassen, und auch die Haare zu befeuchten. Dann nahm er die Seife zur Hand, um mit langsamen, fast schon hypnotisch gleichmäßigen Bewegungen duftenden Schaum aufzutragen.

Währenddessen berichtete er wunschgemäß, beschränkte sich dabei jedoch auf das Wesentliche. Graf Breda wollte Details hören, das war ihm nicht entgangen. Aber was hätte er sagen sollen? Sich beschweren, dass Vlad ihm wieder aufgelauert und ihn genötigt hatte seinen Saustall aufzuräumen? Dass der junge Herr zu hausen beliebte wie ein Räuberhauptmann, und er deshalb die halbe Nacht damit verbracht hatte besagten Saustall wieder herzurichten? Dass es in dessen Gemächern nicht nur aussah wie auf einer Müllhalde, sondern auch so roch? Der Hausherr würde wohl kaum etwas davon halten, wenn das Dienstpersonal anfing die Nase zu rümpfen. Eine klassische Bredouille. Kropok seufzte innerlich, während er nach Außen den neutralen, distanzierten Gesichtsausdruck zur Schau trug, der von den Kropoks des Hauses Tordak erwartet wurde. Es hatte Jahre gedauert, ihn so perfekt einzustudieren dass er in jeder Situation saß.

"Ja, Herr", nickte er auf die Anweisung hin. "Ich kümmere mich gleich morgen darum." Was jedoch nichts an der Tatsache ändern würde, dass der junge Graf viel zuviel Unrat hinterließ. Auch wenn er die Dorfbevölkerung in Ruhe ließ und seine Gespielen aus weiter entfernten Gegenden heranschaffte, und es auch auf dem weitläufigen Grundstück keine Zaungäste gab - irgendwann würde ein heller Kopf darauf kommen, dass verhältnismäßig oft Besuch im Schloss empfangen wurde, man jedoch niemals einen Gast wieder abreisen sah. Und wenn die Leute einmal redeten, war es immer schwer die Gerüchte wieder einzufangen. "Doch Kropok..." Der Diener wusste was dieser Ton zu bedeuten hatte. Er hatte des Grafen Missfallen erregt. Trotzdem - oder vielleicht gerade weil - er so ausweichend geantwortet hatte. Er ließ Schwamm und Seife sinken und folgte der Aufforderung, indem er sich neben die Wanne kniete. Den Blick hielt er gesenkt. "Nein, Herr", gab er zögerlich zu. "Es tut mir leid. Ich wollte Euch nicht mit Berichten über das Bettenmachen langweilen. Gibt es denn etwas, worüber Ihr Genaues erfahren wollt?" Das war eine Brücke, über die man gehen konnte. Kropok konnte sich nicht einfach über den jungen Grafen beschweren. Aber wenn der Hausherr von sich aus nachhakte, musste er ihm Rede und Antwort stehen.
Es war ein wenig eigenartig, doch es gefiel dem Grafen, wenn sich der jetzige Kropok freute. Vermutlich lag es nur daran, dass dieser nicht vor Freude überschäumte, sondern selbst das dezent war. Es war nur ein verhaltenes Lächeln, welches er nach der Übergabe seines Mitbringsels erhielt, was es jedem sagte. Allerdings wusste der Graf worauf er noch zu achten hatte und da war es auch schon, das Aufleuchten in den Augen seines Leibdieners. Fast hätte es dafür gesorgt, dass der Graf lächelte, aber er konnte es verbergen und unterdrücken. So neigte er nur seinen Kopf auf den Dank hin und konnte diesen Dank weiter in dem Handeln des Menschen erkennen, wie dieser mit dem Stein umging.

Wenig später stieg er in sein heißes Badewasser, nachdem er sich entkleiden gelassen hatte und genoss die angenehme Wärme und den Duft, für den sein Diener gesorgt hatte. Dem Grafen war fast immer bewusst, dass er Rücksicht auf Kropok nahm. So wie bei der Temperatur seines Bades, doch unter keinen Umständen würde er es ihm jemals verraten. Nicht etwa, weil er es für eine Schwäche hielt, sondern weil es verriet, dass er ihm wichtig war. Wichtiger als seine Vorgänger, bis auf den ersten Kropok. Sobald ihn die ersten Wassertropfen benetzten, schloss der Graf seine Augen. Nicht weil er befürchtete Wasser in die Augen zu bekommen, sondern weil er seinem Kammerdiener vertraute und weil es dadurch angenehmer war. Sobald die Seife dazu kam und er die gleichmäßigen Bewegungen fühlte, lächelte er in sich hinein. Breda genoss unterschiedliche Phasen der Nacht, die er zu seinen liebsten Zeiten zählte, jede aus einem anderen Grund. Das finden eines neuen geheimen Ortes, der Geschmack eines besonderen Blutes, der Duft der Kräuter im Feuer, das Bad und noch einige Situationen mehr.

Eines jedoch missfiel ihm jetzt, die Tatsache, dass Kropok zwar seine Frage beantwortete, aber nicht detailreich, wie er es gewünscht hatte. Zunächst jedoch ging er auf die Bemerkung ein, dass es demnächst keinen Platz mehr auf dem Totenacker geben würde. Dafür überlegte er sich eine Lösung, das Ausheben einer tieferen Feuerstelle und wusste zeitgleich, dass es keine endgültige Lösung war. Das wäre es, wenn sein Sohn nicht mehr einen solch großen Verschleiß an Spielzeug und Nahrung besäße. Breda tat es seinem Diener nach, er seufzte innerlich, wobei man seine Gedanken und Gefühle äußerlich nicht erkennen konnte. Er hatte nichts anderes erwartet, als die Antwort, die ihm der Mensch daraufhin gab. Vlad war sein eigenes Problem, auch das wusste der Graf.

Jetzt aber war es an der Zeit nachzu'fragen' und schon am Tonfall hatte Kropok erkannt, dass sein Herr unzufrieden gewesen war mit dem, was er ihm berichtet hatte. Er deutete ihm an in seinem Gesichtsfeld zu erscheinen, damit er ihm in die Augen sehen konnte. Den Blick hatte der Leibdiener zwar gesenkt und auch wenn er sich entschuldigte, war das Missfallen des Grafen noch immer zu spüren. Vor allem für den sensibelsten Kropok, den er je gehabt hatte. „Mir ist deine leichte Erschöpfung nicht entgangen. Ich verlange zu wissen welchen Aufgaben du nachgegangen bist in der Zeit, in der ich heute nicht im Schloss verweilte.“ Es musste mit seinem Sohn zu tun haben, denn die üblichen Aufgaben und Anweisungen, die Kropok von ihm bekam und die dieser des Tages oder bei Nacht verrichtete, hatten meistens keine Auswirkung auf den körperlichen Zustand von ihm. „Aufgaben, die nicht von mir stammen.“, ergänzte er und jetzt hatte er seinem Diener damit keine Wahl mehr gelassen, er musste ihm nun antworten. Eigentlich hatte Kropok niemandem Folge zu leisten, außer Breda selbst. Doch normale Tätigkeiten konnte auch sein Sohn verlangen, aber sie waren begrenzt, denn Kropok gehörte allein dem Grafen und er hatte ihm körperlich und geistig zur Verfügung zu stehen - ohne durch irgendetwas beeinträchtigt worden zu sein!
Oh. Ohje. Kropok brachte das Kunststück fertig, unter den gesenkten Lidern hervor einen Blick auf des Grafen Antlitz zu erhaschen. War er wütend? Sein Tonfall jedenfalls klang eindringlich, und der Diener spürte mehr als dass er sah, wie auch die unerbittlichen eisblauen Augen ihn nicht aus ihrem Habicht-Blick ließen. Trotz aller Bemühungen hatte der Hausherr sein Abgehetztsein bemerkt. Das hätte nicht passieren dürfen! Ein Kropok ließ sich niemals vor seinem Herrn Unpässlichkeit anmerken, selbst wenn er den Kopf unter dem Arm trug. Zu diesem Zweck hatte er eine vierzehnjähige Ausbildung genossen, bevor er überhaupt nur den Kamin im Schlafzimmer der Herrschaften anzünden durfte. Oh je. Er machte seinem alten Mentor keine Ehre. Vermutlich drehte sich dieser gerade in seinem Sarg herum. Ein erneutes innerliches Seufzen, sowie eine stumme Bitte um Verzeihung war die Folge.

Indes schien jedoch Herr Graf tatsächlich an Informationen interessiert zu sein, und nicht lediglich Kropoks mangelnde Belastbarkeit rügen zu wollen. In der Tat war es so, dass sein gewöhnliches Arbeitspensum ihn nicht überforderte. Es gab Mägde und Knechte, Zimmermädchen und Küchenpersonal, sodass er als Leibdiener sich voll und ganz um die Belange seines Herrn kümmern konnte. Was er auch stets zur Zufriedenheit erledigte. Es war nur in der Tat schwierig, buchstäblich zwei Herren zu dienen, ohne dabei außer Atem zu geraten. Wie gut, dass er den Blick immer noch gesenkt hielt, man hätte ihm sonst seine Verzweiflung angesehen. Er biss sich auf die Unterlippe und ließ es gleich wieder sein, denn derlei Zeichen der Anspannung geziemten sich nicht. Sein Vorgänger und Mentor hatte ihm eingebläut, dass ein Kropok sich stets unter Kontrolle hatte - vor allem seine Gesichtszüge und seinen Tonfall. Dass er es vergaß, und sei es auch nur für einen Moment, bewies unter welchem Druck er stand.

"Ich... wollte gerade damit beginnen Euer Schlafzimmer herzurichten", berichtete er stockend, "als der junge Herr plötzlich hinter mir stand. Er war der Meinung dringlichere Aufgaben für mich zu haben, und beorderte mich sofort in seine Gemächer. Ich bestand jedoch darauf, zuerst diejenigen meines Herrn in Ordnung zu bringen, und ging später zu ihm." Graf Breda hatte um einen detaillierten Bericht gebeten, und den erhielt er auch. Kropok besaß ein ausgezeichnetes Gedächtnis, was Zeitabläufe, Gesprochenes und Gelesenes betraf. Er konnte eine Unterhaltung oder einen Text fast wortgetreu wiedergeben, wenn man ihn später danach fragte. Dafür besaß er jedoch nicht die Fähigkeit, Sachverhalte ihrer Relevanz entsprechend zusammenzufassen oder Vermutungen anzustellen. Sein Gehirn arbeitete anders. Es sammelte und archivierte Informationen, sodass man sie jederzeit abrufen konnte. Es wertete sie jedoch nicht aus.

"Der junge Herr war nicht da, als ich eintraf", erzählte Kropok weiter. "Er hatte auch keine Nachricht hinterlassen. Sein Schlafzimmer war in heilloser Unordnung. Die Reste von Speisen und Getränken waren überall verstreut. Blutspritzer befanden sich auf dem Bettzeug, den Teppichen, sogar an den Wänden. Auf dem Bett lag die Leiche eines jungen Mannes. Sie war eiskalt und die Augen glasig, wahrscheinlich lag sie bereits seit letzter Nacht dort. Ihr fehlte jeder Tropfen Blut. Dafür hatte sich der Tote auf das Bett entleert, weshalb es fürchterlich stank. Ich machte mich also daran das Zimmer zu reinigen, die Leiche in das Bettzeug zu verschnüren, und alles hinunter zum Totenacker zu tragen. Dann hob ich ein Loch aus, legte die Leiche hinein, und schüttete es wieder zu. Da die Grube tief genug sein musste, um Aasfresser zu hindern sich daran zu schaffen zu machen, dauerte es fast bis zu Eurer Rückkehr, mein Herr. Ich musste mich noch umziehen, meine Schuhe von Erde säubern, das Werkzeug wegräumen, und dann musste ich mich sputen, damit Euer Bad rechtzeitig fertig sein und Ihr alles zu Eurem Komfort vorfinden würdet. Deshalb... erschien ich vielleicht ein wenig derangiert, Herr. Ich bitte um Entschuldigung."
Auch wenn Kropok glaubte und sich im Geiste bei seinem Vorgänger entschuldigte, so wäre dies nicht notwendig gewesen. Natürlich entsprach es der Wahrheit, dass man einem Kropok nichts anmerken sollte, doch jetzt war es genau das Richtige. Der Graf musste endlich erfahren wie sein Sohn handelte und seinen Leibdiener vor allem BEhandelte. Der Vorgänger vom jetzigen Kropok hatte diesen nämlich sehr gern gehabt und mit weisen, wenn auch langsam erblindenden Augen, etwas in ihm erkannt. Etwas für seinen Herrn, den er von jeher auf seine Weise geliebt hatte und den er hatte retten wollen. Vor inneren Dämonen, die er im Grafen entdeckt hatte und geglaubt hatte, dass sein Nachfolger der Richtige war. Aus diesem Grund war nun der Zeitpunkt gekommen, an dem Breda die Machenschaften seines Sohnes erfahren musste. Und auch wenn der stahlgraue Blick des Grafen das Gesicht seines Dieners nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen ließ, so war er nicht zornig.

Eine Rüge würde es nicht dafür geben, dass Kropok abgehetzt gewirkt hatte, sondern dafür, dass der Graf ein zweites Mal hatte nachfragen müssen. Er wusste warum, aber das änderte nichts daran. Wie sehr dies alles seinem Leibdiener bewegte und beschäftigte konnte er an dem flüchtigen Biss auf die Unterlippe erkennen. Flüchtig verengte er deshalb die Augen, ihm gefiel es nicht, dass Kropok sozusagen ‚aufgelöst‘ war wegen… seinem Sohn.
Aufmerksam hörte er dem anfangs stockenden Bericht zu und schwieg. Aber das war kein schlechtes Omen, denn der Ältere schwieg die meiste Zeit. Allerdings war die entspannende Wirkung seines Bades verschwunden. Sein ganz leichtes Nicken zeigte jedoch, dass Kropok richtig gehandelt hatte, zunächst seine Gemächer vorzubereiten. Selbstverständlich war immer das zuerst zu erledigen was er angewiesen hatte. Sein Sohn wusste das, es war eine Unverschämtheit, dass er sich eine Bevorzugung hatte herausnehmen wollen!

Breda hörte sich alles an. Die Art wie Kropok es erzählte sorgte dafür, dass sein aufkommender Zorn sich zum Richtigen wandte und nicht zu seinem Diener. Es lag keine Wertung in der Stimme des Menschen, was dafür sorgte, dass er nicht das Gefühl bekam Raszvan verteidigen zu müssen. Er war trotz der Jahrhunderte noch immer Vater und griff jemand seinen Sohn an, musste er diesen beschützenden Instinkt unterdrücken. Langsam sollte er begriffen haben, dass dieser längst nicht mehr der junge Mann war, den er groß gezogen hatte - sondern ein Monster, verborgen hinter einem schönen Antlitz.

Alles was Kropok hatte tun müssen geschah nicht zum ersten Mal, das war ihm jetzt deutlicher als je zuvor bewusst. „Dir sei verziehen.“, kam es zunächst neutral von ihm, während er ihn immer noch betrachtete. „Ich werde mit meinem Sohn sprechen, dass du nicht für ihn zuständig bist. Solltest du ihm auf eine Bitte hin helfen wollen, so habe ich nichts dagegen. So lange du genügend Zeit für meine Belange hast. Dein Wohlergehen ist mir wichtig Kropok. Solltest du einmal erschöpft sein, dann wegen mir.“ Es hätte anzüglich klingen können, tat es aber nicht. Allerdings achtete der Graf darauf seinem Diener nicht zu viel zuzumuten. Er wusste es noch nicht, doch sein Vorhaben würde scheitern und in einem furchtbaren Streit mit Raszvan ausarten.

„Da wir auch das mit dem Totenacker geklärt haben, kannst du mit meinem Bad fortfahren.“ Breda ließ sich waschen, versuchte zu entspannen, doch das misslang. Er ärgerte sich noch immer über seinen Sohn. So wies er nach dem Bad und abtrocknen an: „Bereite das Öl vor, ich benötige eine Massage.“ So begab er sich zu einer Art Liege, die bequem war und erhöht, so dass Kropok keinen Buckel bekommen würde, wenn er ihn massierte. Wenn er nicht eingrenzte wo er massiert werden wollte, war es immer sein gesamter Körper - ausgenommen die Körpermitte. Als er dort auf dem Bauch lag, stellte er eine Frage: „Ich möchte eine Liste mit den Dingen, die für den Ball ersetzt oder neu beschafft werden müssen. Was ist das Dringendste davon?“ Er war sich sicher, dass Kropok das wusste, er besaß ein besseres Gedächtnis als der Graf.
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