Lost Chronicles

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Idus

Drei Tage waren vergangen, seit Kaji das erste Mal einen Fuß in sein Haus gesetzt hatte. Drei wundervoller Tage, da sie dieses Heim nicht verlassen hatten. So viel war zu reden gewesen und wundervolle Zeit hatten sie in trauter Zweisamkeit verbracht. Das alles war Idus so fremd gewesen - und doch: Je länger die Geschichtenerzählerin bei ihm gewesen war, umso mehr tauchten alte wunderschöne Gefühle aus dem hintersten Kerker seines Bewußtseins auf, in den er sie selbst verbannt hatte. Schnell war er sicherer geworden im Umgang mit ihr, auch wenn es noch viel gab, was sich erst einspielen mußte. Dennoch, die erste heftige Verunsicherung war verschwunden und mit jeden Kerzenstrich war ihre Anwesenheit für ihn erfüllender, richtiger geworden.

Er erwachte früh an diesem Morgen. Kaji schlief noch friedlich in seinen Armen. Gedämpftes Licht drang durch die zugezogenen Vorhänge vor den Fenstern. Eine Weile lag er einfach still neben ihr und betrachtete ihr friedliches Gesicht, lauschte auf ihre ruhigen Atemzüge.
Und doch spürte er, wie der Panther in ihm immer unruhiger wurde. Er war es nicht gewohnt tagelang so gut wie keine Bewegung zu haben und so ergriff Idus schließlich selbst ein unbändiger Drang nach Bewegung. Vorsichtig zog er seinen Arm unter Kajihane hervor, so daß diese nicht erwachte. Er schlüpfte in die leichte Leinenhose des vergangenen Abends und ging mit lautlosen Schritten zunächst die Treppe hinab und zum Abort.
Als er zurückkehrte schlummerte seine Geliebte noch immer friedlich. Mit einem kräftigen Sprung erreichte er mit den Händen den ersten Balken der Konstruktion unter dem Dach und zog sich hinauf. Und nun gab er dem Panther in ihm und seinen Muskeln das so befreiende Gefühl der Anstrengung. Dabei waren all seine Bewegungen derart lautlos, daß Kajihane davon nicht geweckt wurde.

Als die junge Frau sich schließlich regte und die Augen aufschlug, saß er auf dem Podest in einer Ecke des Dachgebälks. Mit einem leichten schelmischen Grinsen, das erst Kaji in den letzten Tagen wieder in sein Wesen gezaubert hatte, beobachtete er schweigend, wie sie verwirrt das leere Bett musterte und sich dann umsah. Er schob ein Bein über den Rand des Podestes und ließ den Unterschenkel leicht baumeln, auf daß die Bewegung Kajis Blick auf sich ziehen würde. Als sie dann zu ihm sah, erhob er sich langsam. Aus dem Stand, völlig überraschend, nahm er Anlauf über den Balken vor dem Podest, setzte zu einem waghalsigen Sprung an.... und landete sicher und mit katzenhafter Geschmeidigkeit auf dem Balken, der sich genau über dem Bett befand. Er hakte sich mit den Beinen über dem Balken ein und ließ sich kopfüber in ihre Richtung hinabhängen. Schelmisch grinsend sagte er: "Guten Morgen, Liebste."
Drei wundervolle Tage lagen hinter ihr, Tage, in denen sie und Idus sich besser kennengelernt und sich noch näher gekommen waren. Auch ihr Phönix, der normalerweise frei wie der Wind sein wollte, nie länger an einem Ort blieb, fühlte sich in diesem Haus wohl, fast als hätte er ein Nest gefunden, dass er schon lange suchte. Zwischen den Gesprächen kochte sie für ihn, zu Beginn noch unsicher, doch zusehends kamen die Erinnerungen an das wieder, was ihre Mutter ihr beigebracht hatte. Sie hatte sich nie für Haushaltsdinge interessiert, war immer lieber draußen gewesen, frei wie der Vogel in ihr und doch: die sanfte Art ihrer Mutter, die sie mit Geschichten bei Laune hielt und damit Kochen zu etwas Besonderem machte, hatte sie nie vergessen. Doch bei allen Gesprächen, die sie in diesen Tagen führten, es gab etwas was sie nicht ansprach: Ihre tierische Hälfte. Zu groß war ihre Angst, dass er sie dann verstoßen würde. Und dass dann dieses wunderbare Gefühl ein jähes Ende finden würde; ein Gedanke, der ihr das Herz schmerzen ließ.

An diesem Morgen erwachte sie langsam aus einem herrlich erfrischenden und behüteten Schlaf. Noch mit geschlossenen Augen tastete sie über die Laken, suchte den warmen, mittlerweile so vertrauten Körper neben ihr. Dann stutzte die Wandlerin, blinzelte verwundert. Sie war allein. Vermutlich war Idus unten, am Abort wahrscheinlich, denn aus dem Erdgeschoß drang kein Geräusch zu ihr. Aber aus irgendeinem Grund wusste sie, dass dem nicht so war. Dann nahm sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Langsam drehte die Bardin den Kopf, sah nach oben ins Gebälk. Und dort saß Idus auf einer Plattform, die ihr bis dato noch nicht aufgefallen war. Lässig ließ er ein Bein herunter hängen und auf seinen Lippen lag jenes Lächeln, das sie so liebte und welches er nur für sie zu haben schien. In den letzten Tagen war es immer öfter in seinem Gesicht erschienen, erst zögernd, dann immer selbstverständlicher, wie eine Blume im Frühjahr, die sich langsam der Sonne öffnete.

Kajihane erwiderte sein Lächeln und warf ihm eine Kußhand zu. „Was machst du ….ahhh!“ der Rest ihrer Frage ging in einem erschrockenen schrei unter, als ihr Geliebter sich langsam erhob und plötzlich lossprintete. Er bricht sich den Hals! durchzuckte es ihre Gedanken und der Phönix zerrte an ihrer Selbstbeherrschung, bereit den Liebsten zu retten (als ob der Vogel das Gewicht eines erwachsenen Mannes hätte halten können). Ihr würde ein Sturz aus der Höhe wenig machen, konnte sie sich doch im Fall wandeln (ausser sie geriet in Panik) aber er war ein Mensch! Mit angehaltenem Atem folgte sie seinen Bewegungen und dann hing er mit einem Mal vor ihr, Kopf nach unten. Sein Grinsen zeigte, wie viel Spaß ihm das ganze gemacht hatte. Erleichtert atmete sie aus. „Du … bist … un … möglich!“ Schimpfte sie liebevoll mit ihm, froh, dass ihm nichts passiert war. Ein Lächeln kroch auch in ihr Gesicht und sie küsste den Kopf-über hängenden Idus auf die Nasenspitze. „Guten Morgen Liebster!“ Sanft strich sie ihm über die Wange. „Möchtest du noch da hängen bleiben oder kommst du runter? Frühstück wartet.“

Idus

Nachdem sie ihm einen Kuß auf die Nasenspitze gedrückt hatte, griff Idus mit beiden Händen nach ihren Wangen und zog sie in einen liebevollen Kuß. "Aber natürlich komme ich herunter. Bewegung macht hungrig...", sagte er grinsend. Dann zog er sich ohne erkennbare Mühe allein mithilfe seiner Bauchmuskeln wieder hoch, hielt sich nun mit den Händen an dem Balken fest und ließ die Beine herab. Im nächsten Moment stand er sicher auf dem Bett. Er verzichtete darauf, ein Hemd anzuziehen und ging mit ihr, nachdem sie sich angekleidet hatte, händchenhaltend in den Wohnraum hinab.
Als sie das Frühstück vorbereitete half er nur wenig. Nicht, daß er sich zu fein dafür gewesen oder der Meinung wäre, daß dies die alleinige Aufgabe der Frau war, aber es war für ihn ein so gutes Gefühl, daß sich endlich wieder jemand um ihn kümmerte, daß er dieses - gerade jetzt in den ersten Tagen - in vollen Zügen genoß.

Nachdem sie das Frühstück beendet hatten ging Idus erneut nach oben. Er legte die leichte Leinenhose ab und zog seine übliche Ausgehkleidung wieder an. Heute entschied er sich neben der schwarzen Lederhose für ein dunkelblaues Hemd und eine silberne Seidenweste. Kaji, die eine kleine Weile nach ihm hoch gekommen war, um sich ebenfalls für ihren Besuch im Antiquitätengeschäft fertig zu machen, konnte spüren, wie er Stück für Stück mit dieser Kleidung die fröhliche Leichtigkeit der letzten Tage ab- und den üblichen Panzer gegen andere wieder anlegte.
Als letztes legte er seinen Waffengurt um und wandte sich zu ihr. Und nun sah sie erneut den ernsten und verschlossenen Mann vor sich, den sie vor wenigen Tagen das erste Mal begegnet war. Es war sehr deutlich, daß er sich unter anderen Leuten anders verhalten würde als hier in ihrem Nest - in trauter Zweisamkeit. Denn auch wenn er Kajis Anwesenheit sehr genoß war er doch ein Mann mit einem gewissen Ruf - und genau genommen wollte er diesen Ruf gegenüber anderen auch gar nicht verlieren.
"Können wir gehen?"
Lächeln warf sie ihm einen Kuss über die Schulter zu, als sie das Frühstück bereitete und seine Blicke auf sich spürte. Es störte sie nicht im Geringsten, dass er ihr nicht half, im Gegenteil: es gefiel ihr, sich um ihn zu kümmern. Irgendwann würde sie vielleicht seine Hilfe einfordern doch im Augenblick war es genauso richtig wie es war. „Wir müssen heute zum Markt, das sind die letzten Früchte und das Fladenbrot ist auch fast aufgebraucht.“ Sie hatte in seinem Vorratskeller auch noch ein wenig Dörrfleisch gefunden, sollte er es zu dieser Tageszeit mögen. Ihr reichten am Morgen Früchte und Haferbrei, auch wenn ihr Phönix ein Raubvogel war. Aber was Frühstück anging hatte der Mensch sich durchgesetzt. Am Frühstückstisch unterbreitete Idus ihr den Vorschlag, neben dem Markt auch sein Antiquitätengeschäft zu besuchen, eine Idee, die ihr sofort gefiel. Erzählten alte Dinge mitunter nicht auch Geschichten? Als er nach oben ging, um sich fertig zu machen, folgte sie ihm mit ihren Blicken und erneut regte sich der kleine Funken der Angst, was geschehen würde, sollte er dahinterkommen, dass sie kein Mensch war. Zum ersten Mal seit längerer Zeit dachte sie an ihre Freundin Ria, die sie als kleines Mädchen in den Bergen kennen gelernt hatte. Wie vehement hatte diese ihr eingeschärft, ihr wahres Wesen zu verbergen und in diesem Moment war sie ihr für diesen Rat so dankbar wie wohl noch nie in ihrem Leben zuvor. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie Idus frank und frei von ihrer tierischen Hälfte erzählt hätte.

Kajihane konnte die Schritte ihres Liebsten im oberen Stock hören und riss sich aus ihren Gedanken. Rasch wusch sie die Teller und Becher ab, räumte zwei übergebliebene Feigen in den Keller und löschte gewissenhaft das Herdfeuer. Dann folgte sie ihm nach oben, wo Idus schon begonnen hatte, sich umzukleiden und während sie die Laken und Felle glatt zog, beobachtete sie die Veränderung, die dabei mit ihm vorging. Als würde er all die Gelöstheit und Freunde anstreifen und in der Truhe verwahren erschien es ihr. Er trägt wieder seinen Schutzpanzer. kam ihr in den Sinn und für einen kleinen Moment empfand sie Mitleid. Was war ihm nur alles wiederfahren, dass er sich so vor der Welt zu schützen suchte? Mittlerweile hatte sie einen weißen Rock angezogen, Teil des alten Tanzkostüms, das sie wegen der Narbe an ihrer Schulter nun wohl kaum mehr tragen wollen würde, ließ das Oberteil doch die Schultern frei. Eben schloss sie die letzten Knöpfe an ihrer Bluse, als ihr Geliebter sich zu ihr umwandte. Und in diesem Moment begriff die Wandlerin, dass auch diese Version von Idus jener Mann war, den sie liebte, mehr noch, es war jene Facette, die sie zuerst kennengelernt hatte und die ihr Herz erobert hatte. Für alle seine Seiten. „Ja können wir“, antwortete sie ihm und band dabei den letzten Riemen an ihren Sandalen zu. „Aber Idus …“ kurz hielt sie ihn noch an der Hand fest, zwang ihn sanft, ihr in die Augen zu sehen. „Ich liebe dich!“ Flüchtig streiften ihre Lippen die seinen und in seinen Augen meinte sie die Zuneigung zu ihr auch durch die harte Fassade schimmern zu sehen.

Dann verließen sie das Haus und der Schlüssel wurde in einer Mauerritze neben der Tür verborgen. In der Magnolie sangen die Vögel und für einen Moment musste sie sich darauf konzentrieren, den Phönix nicht heraus zu lassen, der mit Nachdruck in ihr Lied einstimmen wollte. Für einen Augenblick funkelten goldene Funken in ihren Augen und sie hoffte, dass Idus diesen Effekt auf das Sonnenlicht schob. Um von einer eventuellen Entdeckung abzulenken fragte sie ihn „Wollen wir zuerst zum Laden und wo du sonst hin möchtest und erst am Schluss zum Markt? Ich möchte ungern alles durch die Gegend schleppen und dein Vorratskeller braucht dringend eine Auffüllung.“ Dabei zwinkerte sie ihm zu.

Idus

Als sie seine Hand ergriff, schloß er diese um ihre. So federleicht und warm fühlte sie sich an - und so vertraut nach nur so wenigen Tagen. Tatsächlich wurde sein Blick etwas weicher, als er ihr in die Augen sah. "Ich liebe dich auch", sagte er mit leiser Stimme. Dieses Wort, Liebe, lag so ungewohnt auf seiner Zunge, niemals hätte er gedacht, daß er dies jemals sagen würde - und doch spürte er, daß es richtig war, daß es genau das ausdrückte, was er für Kaji empfand. Ihre Lippen streiften die seinen nur leicht in einem aufgehauchten Kuß, doch Idus legte eine Hand in ihr Kreuz, eine in ihren Nacken und zog sie in einen zärtlichen Kuß. Nochmals ließ er den Panzer fallen - hier in ihrem sicheren Nest.

Dann verließen sie das Haus. Er schloß sorgfältig ab und versteckte den Schlüssel unsichtbar in einer Mauerritze nahe der Tür. Als er sich wieder zu Kaji umwandte zogen sich seine Augenbrauen für einen Moment fragend zusammen, hatte er doch die goldenen Funken in ihren Augen bemerkt. Wie wunderschön sie doch war!
>Wollen wir zuerst zum Laden und wo du sonst hin möchtest und erst am Schluss zum Markt? Ich möchte ungern alles durch die Gegend schleppen und dein Vorratskeller braucht dringend eine Auffüllung.< Idus nickte leicht. "Nein, ich hatte auch nicht vor, die Einkäufe die ganze Zeit herum zu schleppen. Ich dachte mir, wir besuchen zuerst das Kinderheim. Die Kinder werden sich sicher freuen, wenn sie Gelegenheit bekommen, eine deiner Geschichten zu hören. Danach könnten wir zum Laden gehen, wenn du nichts anderes vorhast, und von dort kommen wir schließlich sowieso am Markt vorbei auf dem Rückweg." Seine Miene war unbewegt, während er mit ihr sprach, seine Stimme kühl - doch der Ausdruck in seinen Augen war ein klein wenig weicher als sonst, während er sie ansah.
„Das klingt wunderbar!“ Sie liebte die Kinder in seinem Kinderheim, erfreute sich jedes Mal, wenn diese mit strahlenden Augen und aufmerksamen Gesichtchen ihren Geschichten lauschten. Gemeinsam gingen sie durch die Straßen, die schon vor geschäftigem Treiben zu summen schienen. Die Bewohner Tel’Arans nutzen die noch etwas kühleren Morgenstunden, um ihren Geschäften nachzugehen, ehe die Mittagshitze und die damit drohenden Avrol Gewitter es erschwerte oder gar unmöglich machten. Und doch, auch im dichtesten Gedränge bildete sich um sie beide ein kleiner freier Raum, die Menschen schienen zurückzuweichen, sobald sie Idus gewahr wurden. Diese Aura der Gefahr, die ihn umgab, wirkte auf sie alle einschüchternd. Auf alle bis auf Kajihane. Verwunderte Blicke folgten der Rothaarigen, die so selbstverständlich an der Seite dieses Mannes ging, der ob seines Antiquitätenladens und des Kinderheimes geachtet, aber aus unerfindlichen Gründen auch gefürchtet war. Man hätte jeden fragen können, keiner wusste dieses Gefühl zu benennen und doch würden alle übereinstimmen, dass sie ihn nicht verärgern wollten. Man kannte die Geschichtenerzählerin, doch sie zusammen mit dem ‚schwarzen Mann‘ zu sehen war etwas Neues.

Auch Aleyna schaute verwundert drein, als die beiden durch das Tor in den Hof traten. Jeder für sich war ein vertrauter Anblick aber gemeinsam? Doch selbstverständlich fragte die Lehrerin des Kinderheimes nicht nach, sondern neigte nur grüßend den Kopf. >Kajjjiiiiii!!!< Lachend fing die Wandlerin ein kleines Mädchen auf, dass sich voller Vertrauen in ihre Arme stürzte. Schüchtern sah die Kleine über ihre Schulter zu Idus, dann flüsterte sie ihr ins Ohr >Du hast noch immer keine Angst vor ihm?< „Nein, und du musst auch keine haben.“ Das Kind zog das Näschen kraus, schielte noch einmal zu dem Schattensöldner und flüsterte dann >Überleg ich mir. Erzählst du uns eine Geschichte? Biiiitttteeee!!!< „Natürlich, mach ich doch immer!“ Kajihane warf Idus einen raschen Blick zu, eine stumme Einladung, sollte er sich zu ihnen gesellen wollen. Dann setzte sie sich, mittlerweile umringt von einer Kinderschar unter denselben Baum wie vor einigen Tagen, als sie sich das erste Mal begegnet waren. Auch wenn die Kinder Idus nach wie vor mit scheuen Blicken beäugten, dass die geliebte Geschichtenerzählerin keine Angst vor ihm zu haben schien, lockerte ihre Anspannung ein kleines wenig, auch wenn keines der Kinder ihm alleine hätte begegnen wollen.

>Erzählst du uns wieder eine Feengeschichte?<
„Och ich dachte ihr wollt einmal eine Geschichte von einer anderen Welt hören, von einer, die man nur durch die Portale erreicht.“
>Warst du schon mal dort?<
Kajihane nickte. „Ja vor nicht allzu langer Zeit habe ich eine Reise gemacht. Ich war auf Vandrigg, der Welt des Wassers.“
>Wie ist es dort?<
„Hmmm nass. Ja wirklich es regnet, so wie bei einem starken Gewitter hier aber das tagelang und die Wege und Straßen sind komplett aufgeweicht. Das Land ist in mehrere Inseln geteilt, die von riesigen Meeren umgeben sind. Und es ist viel kälter als hier.“
>Klingt ungemütlich!“ piepste die Kleine, die sich wieder auf ihren Schoß gekuschelt hatte.
„Es ist anders.“ Kajihane lächelte. Es war eine Erfahrung gewesen und auch wenn sie nicht das gefunden hatte, was sie suchte, hatte eines zum anderen geführt und hätte sie ohne diese Reise Idus je kennen gelernt? Wäre sie hier gewesen und von diesem verdammten Baum gefallen? Gedankenverloren fuhr sie dem Mädchen durch den Haarschopf, während ihr Blick für einen Moment jenen des Geliebten traf. >Aber eine Geschichte hast du mitgebracht aus Van…van…Vangid?<

Kurz schloss die Wandlerin die Augen, beschwor in sich die Stimme des Phönix, ehe sie zu erzählen begann. „Die Inseln auf Vandrigg sind nicht nur von Meeren umgeben, auch im Landesinneren gibt es Wasserflächen, große und kleine. Und manche davon sind, obgleich es so kalt ist, heiß. In jenen, so heißt es, wohnen Wassermännchen mit ihren Familien und die Herdfeuer in ihren unterirdischen Behausungen erwärmen das Wasser. Aber es war nicht immer so. Vor langer, langer Zeit, lebten die Wassermännchen in kalten Behausungen. Eines trüben Tages entdeckte ein einsames, junges Wassermännchen am Ufer ein Menschenmädchen. Er verliebte sich auf den ersten Blick in sie und viele Tage beobachtete er sie aus dem Schilf heraus. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, und begann, kleine Geschenke am Ufer zu hinterlassen, damit sie sie finden möge. Doch er war zu scheu sich zu zeigen. Eines Tages, es war der kurze Sommer dieser Welt angebrochen, stieg das Mädchen ins Wasser, um zu baden. Doch die Algen in dem Weiher waren tückisch und zogen sie nach unten. Der Wassermann wusste, sie würde ertrinken und so überwand er seine Scheu. Doch sie stand schon an der Schwelle des Todes und in seiner Verzweiflung brachte er sie zu einem weisen Mann seines Volkes. Durch einen Zauber konnte sie gerettet werden, doch ab diesem Tag war sie eine von ihnen. Zu Beginn war sie untröstlich und hatte Heimweh, doch mit der Zeit lernte sie das Wassermännchen zu mögen. Er las ihren jeden Wunsch von den Augen ab und doch, sie war immer traurig, da ihr so kalt war. In seiner Verzweiflung schwamm er eines Tages an die Oberfläche des Weihers, um bei ihren früheren Volk eine Lösung zu suchen. Und das Schicksal wollte es, dass just an diesem Tag ein Fischer am Ufer saß und sich die Hände an einem Feuer wärmte. Fasziniert beobachtete das Wassermännchen das Geschehen. Und mit einem Mal kam ihm die Idee: Er brauchte Feuer, dann wäre dem Mädchen warm und sie wäre nicht mehr traurig. Und würde ihn vielleicht doch noch lieben. So nahm er allen Mut zusammen und sprach den Fischer an. Der war verdutzt, hatte er doch noch nie solch ein Wesen gesehen und noch erstaunter war er, als er das Ansinnen des Wassermännchens vernahm. „Feuer kann im Wasser nicht brennen!“ sagte er ihm. Als er aber sah, wie unglücklich das Wassermännchen war, sagte er „Wenn du all deine Liebe für das Mädchen in das Feuer legst, hat es vielleicht – aber nur vielleicht – die Macht, dem Wasser zu widerstehen.“ Dann gab der Fischer dem Wassermännchen zwei Feuersteine und lehrte es, ein Feuer zu entfachen. Dankbar kehrte es in sein Heim zurück und tat genau, wie der Fischer ihn geheißen hatte. Und tatsächlich, bestärkt durch die Kraft seiner Liebe, flackerte das Feuer dem Wasser zum Trotz und erwärmte die Behausung. Als das Mädchen sah, wie groß die Liebe des Wassermännchens für sie war, entflammte auch ihr Herz für ihn und sie erwiderte seine Liebe. Schnell machte die Kunde die Runde im Volk der Wassermännchen, dass es eine Macht gab, die die Kälte der Seen bannen konnte. Die Alten sagen, immer wenn man auf den Inseln Vandriggs eine heiße Quelle findet, wohnt darin eine liebevolle, glückliche Wassermännchenfamilie. Aber wehe, die Liebe vergeht. Dann erlischt auch das Feuer an ihrem Herd und zurück bleibt ein kalter Weiher, wie es derer so viele gibt.“

Mit großen Augen hingen die Kinder an ihren Lippen. Nur langsam schienen sie wieder ins Hier und Jetzt zurück zu kehren, schienen die Bilder der Erzählung zu verblassen. >Ich hoffe sie sind alle lange glücklich, ich würde nicht in einem kalten Weiher wohnen wollen!< erklärte ein kleiner Junge.

Idus

Es war ein gewohnter Anblick, daß die Leute ihm - und damit heute auch Kaji - Platz ließen und er störte sich nicht daran, fand es ganz angenehm, nicht zwischen unzähligen Körpern eingezwängt zu sein. Doch die verwunderten Blicke, die der ein oder andere ihnen zuwarf, waren neu. Obwohl Idus Miene völlig unbeeindruckt blieb, konnte er doch nicht umhin, in sich eine hämische Freude zu verspüren. Er hatte geschafft, was keiner dieses engstirnigen Kleinbürger jemals geglaubt hätte, daß er es schaffen konnte: Es ging eine Frau an seiner Seite.
Auch Aleynas Augen trugen jenen überaus überraschten Ausdruck und doch war in ihrem Blick noch etwas anderes. Vielleicht täuschte er sich auch, doch vermeinte er tief im hintersten Winkel ihrer Augen einen Funken Freude zu sehen - oder eher zu spüren. Aber er täuschte sich nicht - obwohl Aleyna ihn fürchtete, schätzte sie ihn auch sehr und tatsächlich freute sich sich irgendwie, daß der junge Mann, der bisher ein so hartes Leben geführt haben mußte, nun einen Menschen gefunden zu haben schien, der ihn lieben konnte. Denn daß es sich bei den beiden jungen Menschen um Liebe handeln mußte, sah die erfahrene Frau auf den ersten Blick.

Dann kam ein kleines Mädchen angerannt und schmiß sich in Kajis Arme. Idus war sehr erstaunt, wie viel es doch schon bei den Kindern bewirkte, daß die Geschichtenerzählerin keine Angst vor ihm zeigte. Zwar sah und spürte er weiterhin die Angst der Kinder, doch trauten sie sich in Gegenwart Kajihanes viel näher an ihn heran als sonst.
Zunächst sah er seiner Geliebten und den Kindern nach, als diese sich unter den Baum zurückzogen, unter dem er Kaji das erste Mal erblickt hatte. Er zögerte. Er wollte sich den Kindern nicht zu sehr aufdrücken und doch hatte er die stumme Einladung seiner Geliebten durchaus verstanden.
Aleyna hatte sich still zurückgezogen. Sie wußte, daß Idus nicht zu seinem normalen Routinebesuch hier war. Idus beobachtete Kaji noch eine kleine Zeit, während sie bereits mit den Kindern zu plaudern begann. Schließlich ging er langsam auf eine Bank unter einem benachbarten Baum zu und setzte sich. Kajihane begann gerade mit ihrer Geschichte und sie war darin wirklich gut, schaffte sie es doch sogar den harten Mann dort auf der Bank mit in die Welt der Wassermännchen zu entführen.
Und während er ihr wie die Kinder lauschte, zeigte sich doch tatsächlich ein klitzekleines Lächeln auf seinen Lippen, als sie gerade in diesen Tagen von einer Sage erzählte, in der es darum ging, daß Liebe Wärme in ein Leben bringen konnte.
>Also ich wünsch den Wassermännchen, dass sie sich immer gerne haben!< erklärte eben eines der Kinder mit ernster Miene. >Weil es muss doch furchtbar sein, in der Kälte leben zu müssen. Ich mag doch die kalten Nächte auch nicht. Dann muss ich immer zu Jaro unter die Decke krabbeln.< Der Junge, offensichtlich der Bruder der Kleinen, wuschelte ihr durchs Haar und sagte mit all der Würde, die ein sieben Sommer alter Knirps aufbringen konnte. >Ich werde immer auf dich aufpassen Krümmel.< Um einige Augenblicke später hinzuzufügen >Aber deine kalten Füße sind gemein!< Lachend zog Kajihane den Jungen an sich. Dabei fiel ihr Blick auf Idus, der ein wenig abseits auf einer Bank saß und sie ansah. Ein leichtes Lächeln schien um seine Lippen zu spielen, so fein, dass wohl nur sie, die diese Facette kennengelernt hatte, es erkennen konnte. In diesem Augenblick kam ihr der Gedanke, dass er nicht dort saß, weil er abseits stand, sondern dass er sie und die Rasselbande beschützte, ein stiller, tödlicher aber in der Tiefe seines Herzens fühlender Mann … ihr Geliebter.

„Und darum …“ knüpfte sie an die Geschichte von vorhin an, „… müsst ihr das Feuer hüten, die Flammen der Freundschaft, der Liebe … dann wird euch auch nicht kalt werden. Beziehungsweise wisst ihr, wo ihr eine warme Decke finden könnt.“ >Hast du auch so ein Feuer?< fragte Mayla neugierig. Ein feines Lächeln umspielte die Lippen der Wandlerin. „Ja hab ich.“ Dabei fiel ihr Blick auf Idus, der unbeweglich auf der Bank saß, sie aber nicht aus den Augen ließ. Und ich möchte sein Feuer sein. >Ich hab noch was für dich.> Mayla lenkte die Aufmerksamkeit der Wandlerin wieder zu sich, als sie ihr ein Lederband mit einer Muschelschale hinhielt. >Hab ich am Fluss gefunden. Für dich. Weil es jetzt ja zwei Jahre her ist, dass du mich hergebracht hast!< Kajihane nahm das Geschenk voll Rührung an sich. „Danke!“ Dann sah sie dem Mädchen hinterher, das den anderen Kindern folgte, die alle am Weg in Haus waren, begann doch in wenigen Augenblicken der Unterricht. Auch Kaji erhob sich, aber nur um die wenigen Schritte zu ihrem Geliebten hinüber zu gehen und sich neben ihn auf die Bank zu setzen. Einige Momente herrschte vertrauensvolles Schweigen.

„Das hier, das alles …. Es ist wunderbar. Was du hier aufgebaut hast, was du für die Kinder tust. Durch dich haben sie eine Chance auf ein neues, ein besseres Leben.“ Sie sah ihm in die Augen. „Ich … ich würde dir hier gern helfen, also wenn ich darf. Ich meine, sicher ich werde immer wieder unterwegs sein, aber wenn ich hier bin, dann würde ich dich bei der Arbeit hier gerne unterstützen … wenn es für dich in Ordnung ist.“ Die letzten Worte kamen sehr zögernd, sie wollte sich nicht mehr in sein Leben drängen, als er es haben wollte, aber das Kinderheim rührte sie zutiefst.

Idus

Die ganze Zeit beobachtete Idus mit Zufriedenheit im Blick, wie liebevoll Kaji mit den Kindern umging.
`Sie wäre eine großartige Mutter.´ Ohne Vorwarnung schlich sich der Gedanke in seinen Kopf und leicht entsetzt schreckte er vor diesem zurück. Zweifelsohne wäre sie eine hervorragende Mutter, aber würde das nicht bedeuten, daß er... ein Vater? Wäre das überhaupt denkbar?
Gut trainiert wie seine Maske war, änderte sich seine Miene trotz des heimlichen Schrecks kaum. Und doch war seiner Geliebten aufgefallen, wie er kaum merklich die Stirn gerunzelt hatte, als sie zu ihm gekommen war. Als sie sich zu ihm gesetzt hatte, hatte sie ihn gefragt, über was er nachdenken würde, doch er hatte nur leicht den Kopf geschüttelt und erklärt, daß er gerade nicht darüber reden wollte. Der Gedanke hatte ihn selbst zu sehr erschreckt, als daß er ihn mit ihr teilen wollte, jedenfalls jetzt noch nicht - und außerdem hatte er das starke Gefühl, daß er damit auch zu sehr mit der Tür ins Haus gefallen wäre. Doch er wollte auch keine Ausrede erfinden, sie nicht belügen, und zu seiner Erleichterung hatte sie seine Entscheidung akzeptiert, ohne weiter nachzuhaken.

Von sich aus wechselte Kaji das Thema und kam auf das Kinderheim zu sprechen. Ein feines Lächeln umspielte Idus´ Lippen, als sie ihm offenbarte, wie sehr sie sein Werk guthieß.
"Ich habe genug schlechte Erfahrungen für Generationen von Kindern gemacht, als ich auf mich allein gestellt auf der Straße aufwachsen mußte. Ich will ihnen nach Möglichkeit mein Leid ersparen - ersparen in der Gosse zu verrecken, sich auf krumme Dinge oder Prostitution einlassen zu müssen, um überhaupt zu überleben. Ich hoffe doch sehr, daß mir das bei vielen von ihnen gelingen wird."
>Ich … ich würde dir hier gern helfen, also wenn ich darf. Ich meine, sicher ich werde immer wieder unterwegs sein, aber wenn ich hier bin, dann würde ich dich bei der Arbeit hier gerne unterstützen … wenn es für dich in Ordnung ist.< Nun erschien für einen Moment ein richtiges Lächeln auf seinem Gesicht und verblieb in seinen Augen, als sich auf seinem Gesicht bereits wieder die unbewegliche Maske eingestellt hatte.
"Ich würde liebend gerne sehen, wenn du dich hier einbringst. Die Kinder lieben dich, du tust ihnen gut und aus deinen Geschichten können sie etwas für ihr Leben lernen. Vielleicht, und nur wenn du das selbst willst, könntest du dich auch noch mit mehr als deinen Geschichten hier einbringen. Doch darüber mußt du dann mit Aleyna sprechen, sie organisiert hier den täglichen Ablauf. Ich kümmere mich nur darum, daß es im Großen läuft."
Irgendetwas ging ihm durch den Kopf, das spürte Kaji genau. Aber Idus schien darauf nicht eingehen zu wollen und so ließ sie es dabei bewenden. Ihre Beziehung war noch zu frisch, noch zu viele Unbekannte waren um sie beide herum, als dass sie ihn zu einer Antwort gedrängt hätte. Beim Thema Kinderheim und ihrem Wunsch, hier zu helfen, zog sich ein Lächeln über sein Gesicht, dass in seinen Augen hängen blieb, selbst als er wieder die Maske des distanzierten Mannes aufgesetzt hatte. „Du tust viel mehr, als dich nur um den groben Ablauf zu kümmern. Du hast das alles hier erst möglich gemacht! Ohne dich gäbe es das nicht!“ Sanft strich sie ihm mit dem Daumen über den Handrücken, eine unauffällige Geste, und doch drückte sie ihre Liebe zu ihm aus. Der Phönix in ihr hatte den Baum ins Visier genommen, zu gerne würde er sich darauf niederlassen und die immer heißeren Temperaturen genießen. Fliegen … es fehlte ihr und doch wusste sie, dass der Flügel ebenso wie ihre Schulter noch nicht wieder voll belastbar waren. Sie würden den Arm kräftigen müssen nur hatte sie keine Ahnung, mit welchen Übungen. Um so etwas hatte sie sich noch nie gekümmert, selbst bei den Mönchen war die Kraft des Feuervogels einfach mit dem Fliegen gekommen.

Die Wandlerin sah ihren Gefährten an. Eine Idee machte sich in ihrem Rotschopf breit und als Idus sie durch das Innere des Kinderheims, die Schlafsäle, die Küche und den Speisesaal führte um ihr alles zu zeigen, nahm der Gedanke immer mehr Gestalt an. Als sie schließlich wieder auf die Straße traten, um ihren Weg in Richtung des Antiquitätengeschäfts fortzusetzen, sprach sie ihn auch aus. Ein wenig schwer tat sie sich schon damit, war es doch so ungewohnt, jemanden um Hilfe zu bitten. „Idus, ich … ich hab gesehen was du heute früh gemacht hast, also im Gebälk deines Hauses. Und … und da dachte ich mir … vielleicht …vielleicht kannst du mir helfen? Ich meine, du hast die Narbe gesehen, auf meiner Schulter. Und … und ich kann sie nach wie vor nicht so belasten und einsetzen wie früher, obgleich der Überfall schon einige Siebentage her ist.“ Frau und Vogel setzte dieser Umstand zu, hatte sie doch in Phönixgestalt mitunter Schmerzen im Flug und als Tänzerin fiel es ihr schwer, manche Figuren auszuführen. Zwar hatte sie es versucht zu ignorieren, mit Gewalt drüber hinweg zu gehen aber dieser Weg fühlte sich so falsch an. Und abfinden wollte sie sich damit erst recht nicht.

Eben bogen sie in eine kleine Seitengasse, die in einigen Schritten eine Kurve machte. Und dort war sein Geschäft bereits zu sehen. Selbst wenn das Ladenschild nicht gewesen wäre, mittlerweile hätte sie ihn wohl als seinen erkannt: Schlicht und doch elegant schwang das Schild leicht im Wind, eine klare Schrift ohne jegliche Schnörkel verriet, was es hier zu erwerben gab.
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