Lost Chronicles

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Sein Kopf dröhnte. Das war das Erste, was in Malars Bewusstsein drang. Das Pochen ging von einer Stelle an seinem Hinterkopf aus, und sandte von dort aus unangenehm übelkeiterregende Schmerzwellen in den Rest des Schädels. In seinem Mund spürte er einen metallischen Geschmack. Blut. Sein eigenes vermutlich. Er musste sich auf Zunge oder Lippe gebissen haben. Wahrscheinlich im Fallen...

Dunkel erinnerte er sich - im wahrsten Sinne des Wortes, denn der letzte Eindruck, den sein wie mit Watte gefülltes Hirn gespeichert hatte, war irgendetwas über den Kopf gezogen zu bekommen. Einen Sack, oder eine Kapuze. Dann ein dumpfer Schlag, ein greller Blitz, und dann... Nichts mehr. Was war passiert? Er hatte sich mit einem angeblichen Geschäftspartner treffen wollen, der sich für Edelsteine interessierte. Eine Auswahl davon hatte er in einer kleinen, verschlossenen Truhe mit sich geführt, deren Schlüssel immer noch wohlverwahrt, unter seiner Kleidung verborgen, an einem Band um seinen Hals hing. Die Truhe selbst jedoch war verschwunden. Das vermutete Malar zumindest. Aber vielleicht sollte er erst einmal die Augen öffnen...

Zunächst nur einen Spaltbreit. Dämmriges Licht sickerte unter die Lider des Alben, was zumindest sehr viel angenehmer war als grelles. Verschwommen erkannte er Steine, feucht und teilweise mit Moos überwachsen. Eine Höhle? Nein, eindeutig nicht. Es waren verfugte, grob behauene, definitiv von Menschenhand bearbeitete Steine, auf denen er lag. Nicht gerade bequem, wie ihm ins Bewusstsein drang. Aber das war nur eine Randnotiz. Langsam, ganz langsam hob er den Kopf, was ihm ein leises Stöhnen und ein Verziehen des Gesichts entlockte. Verdammt! Autsch! Warum kam ihm ausgerechnet jetzt dieser merkwürdige Ausdruck in den Sinn? Woher kannte er ihn nochmal? Achja... Atevora hatte ihn einst benutzt und ihm dessen Bedeutung erklärt. Aber das war schon eine ganze Weile her. Damals war er auf ähnliche Weise an einem fremden Ort zu sich gekommen. Nur ohne diese verfluchten Kopfschmerzen.

Das spärliche Licht ging von Fackeln aus, die an den Wänden befestigt waren. Allmählich nahm Malars Hirn wieder seine Tätigkeit auf, wenn auch unter Protest. Was war das für ein Ort? Ein Kerker? Keller? Katakomben? Wer sollte ihn hier überhaupt einsperren? Nun ja. Malar mußte zugeben, dass die Liste derjenigen kürzer war, die ihn hier nicht hätten einsperren wollen. Wenn schon aus keinem besonderen Grund, dann eben weil er ein Alb war. Oder weil er es wagte in Armadale ein Handelshaus zu führen, und es sogar geschafft hatte sich einen Platz im Rat zu kaufen. Oder alles davon. Erfolg rief immer Neider, Konkurrenten und Feinde auf den Plan, weswegen die Frage nach dem Wer und Warum müßig war.

Die weitaus interessante Frage war: Warum war er noch nicht tot? Wenn er für jemanden ein Problem war, wäre das die effektivste Art gewesen ihn loszuwerden. Zumindest nach Alben-Lesart. Nach Art der Alben war es auch, nicht etwa dankbar für diese Tatsache zu sein, sondern vielmehr argwöhnisch. Denn wer einen Feind am Leben ließ, nachdem er seiner schon habhaft war, der hatte zumeist Schlimmeres mit diesem vor. Nun, es half nichts. Ein leises Ächzen, nahtlos in ein unwilliges Brummen übergehend, kam über seine Lippen als er sich aufsetzte. Diese verdammten Kopfschmerzen! Malar betastete seinen Hinterkopf, wo sich unter dem silbernen Haar eine Beule so groß wie ein Hühnerei befand. Wer immer ihm da eins übergebraten hatte, wußte vermutlich dass Seinesgleichen nicht so leicht auf andere Weise unschädlich zu machen war.

Zumindest lichteten sich allmählich die wattigen Nebel, das übelkeiterregende Drehen ließ nach, und die Umgebung vor seinen Augen nahm klarere Formen an. Ein Gedanke schoß ihm siedend heiß durch die Denkwindungen und ließ ihn mit einem Schlag hochzucken. Sein Stock! Wo war er? Ob sein Entführer so freundlich gewesen war, ihn mit ihm zusammen in dieses Loch zu werfen? Das wäre tatsächlich ein wenig zu zuvorkommend gewesen, aber dennoch drehte der Alb vorsichtig den Kopf in die eine, dann in die andere Richtung und blickte sich aufmerksam um. Seinen Stock erblickte er zunächst nicht, aber dafür etwas Anderes, was ihn schlagartig vollends erwachen ließ und in seiner Wirkung etwa einem Krug eiskalten Wassers gleichkam: Er war nicht allein!
Wach auf!

Bran hatte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Sein Kopf dröhnte wie eine große Glocke und seine Muskeln schmerzten, als hätte er den vergangenen Tag mit großer körperlicher Anstrengung verbracht. Er kannte das Gefühl!

Wach auf, du Narr!

So fühlte es sich an, wenn er erwachte nachdem der Schatten in ihm die Kontrolle übernommen hatte. Warum fiel es ihm dann so schwer sich zu erinnern? Der Schatten schonte ihn doch sonst nicht mit Einzelheiten. Und warum war ihm so übel?

Sie werden dich aufschneiden! Sie wollen uns erforschen! Sie werden uns weh tun!

Blinzelnd öffnete Bran die Augen und stöhnte leise. Er lag am Boden, auf irgendeinem harten und kalten Untergrund, soviel stand fest. Trotzdem war ihm schwindelig und übel, Wieso?
Seine Gedanken schienen sich erst durch einen zähen Sumpf kämpfen zu müssen bevor sie wirklich Sinn ergaben.
Er blickte auf behauene Steine… wo war er?
Der Schatten tobte und zeterte in ihm, etwas war anders als sonst. Es fühlte sich an, als hätte man einen Orkan in ein kleines Glas gesperrt und das ganze in seinem Brustkorb deponiert. Als hätte man den Schatten eingesperrt…

WACH AUF!

Mit einem schmerz erfüllten Keuchen und einem kräftigen Ruck bäumte er sich auf. Es fühlte sich an, als hätte jemand nach seiner Seele getreten, was kein besonders angenehmes Gefühl war. Und nur der Schatten konnte das, und auch nur wenn er sich anstrengte oder ganz besonders wütend war.
Ein Brechreiz füllte seinen Hals und erst war er vollauf damit beschäftigt einfach nur tief Luft zu holen.
Er konnte sich nicht bewegen, man hätte seine Hände mit eisernen Fesseln hinter seinem Rücken fixiert, die Kette zwischen seinen Handgelenken war erstaunlich kurz. Mit seinen Füßen war man ähnlich verfahren und er spürte, das um seinen Hals ein Band aus Eisen lag, in welches starke magische Runen eingeritzt sein mussten, denn es brannte unangenehm auf seiner bloßen Haut.
Mit etwas Mühe brachte er es fertig sich aufzusetzen, lehnte den Rücken gegen die kalte Kerkerwand und versuchte sich einen Überblick über seine Situation zu verschaffen.
Er saß in einem fensterlosen und feuchten Kerker, die Fackeln an der Wand tauchten alles in ein unstet flackerndes Licht.
Man hatte ihn sorgsam um all seine Ausrüstung erleichtert und nichts gelassen als seiner Hose und ihm stattdessen dieses hübsche Halsband geschenkt. Sein Oberkörper war eine Landkarte aus alten Narben und frischen Prellungen und Verletzungen.
Jetzt kam auch die Erinnerung wieder, der Schatten half ihm dabei, indem er ihm die eigene Unfähigkeit vor Augen führte. Er war in einen Hinterhalt geraten und auch wenn er es ihnen nicht leicht gemacht hatte ihn zu überwältigen, so waren es doch einfach zu viele gewesen.
Danach verschwamm die Erinnerung in dumpfen Schmerz und unzusammenhängende Eindrücke. Wahrscheinlich, hatte man ihn mit einem kräftigen Mix aus Drogen und Rauschgiften ruhig gestellt, während man ihn hierher gebracht hatte. Wo auch immer “hier” sein mochte.
Aber es würde den bitteren Geschmack in seinem Mund erklären und warum ihm so übel war. Was genau sie ihm gegeben hatten, wollte er im Grunde gar nicht so genau wissen, aber ihm war klar, dass es eine recht potente Mischung gewesen sein musste, wenn es sogar einen Warlock ausschaltete.

Bran sah sich um. Seine Zelle war durch grobe Gitterstäbe von anderen getrennt, es mussten mindestens fünf oder sechs sein. Zwei davon waren besetzt, aber die Gestalten lagen noch in sich zusammengesunken da und hatten anscheinend noch nicht das Bewusstsein zurückerlangt.
Er versuchte den Schatten zu beruhigen und zur kooperation zu bewegen, was kein einfaches Unterfangen war. Aber wer auch immer hinter all dem hier steckte, hatte es gezielt auf ihn abgesehen. Er war sich sicher dass er nicht nur ein zufälliges Opfer einer Entführung war. Denn allein wie gezielt sie gegen ihn vorgegangen waren, wie sie ihn ruhig gestellt und eingekerkert hatten, bestätigte nur zu deutlich, dass sie wussten wer er war und was er konnte.
Und daraus erschloss sich wiederum ganz einfach, was sie von ihm wollten: forschen, experimentieren, Wahrheiten und neue Erkenntnisse über Schatten.
Der Schatten in ihm knurrte. Aber immerhin in dem Punkt waren sie sich einig: sie waren kein Versuchsobjekt und sie würden es nicht zulassen, dass man sie erforschte und quälte.
Immerhin bestand soweit Einigkeit, und der Schatten beruhigte sich ein wenig, zog sich zurück und gab Bran platz zum denken.
Aber ihre optionen waren sehr limitiert, zumindest, so lange er das Halsband trug, denn jeder Versuch seine Kräfte zu nutzen, resultierte in einem sengenden Schmerz, ausgehend von den magischen Runen, welches sogar den Schatten zornig fauchen ließ.

Eine der Gestalten regte sich. Ganz in roten Roben gekleidet und mit weißem Haar, war es definitiv ein ungewohnter Anblick, aber immerhin hatte man dem Mann mehr Bewegungsfreiheit gegönnt als Bran.
Er schien verwirrt und erschrocken, hier zu erwachen oder vielleicht auch mehr über den Anblick des in Ketten gelegten Warlocks in der Nebenzelle. Bran zwang ein humorloses Lächeln auf sein Gesicht “Na, endlich ausgeschlafen?” fragte er und gab sich dabei allerdings Mühe keinen Spott in seiner Stimme zuzulassen. Er konnte es sich im Moment wirklich nicht leisten, einen potentiellen Verbündeten zu vergraulen. Aber zumindest im Moment war jeder, der so wie er in eine Zelle gesperrt war ein potentieller Verbündeter, und so viel Auswahl gab es nicht.
“Vor mir brauchst du im Moment keine Angst haben, mir sind die Hände gebunden.” Was leider absolut der Wahrheit entsprach.

Atevora

Es war ein seltsam rhythmischer Klang der schwach in die lähmende Schwärze um Atevoras Geist vordrang. Ein sonores Tönen von Stimmen, die dumpfe Farbschleier zogen und die Augen der Magiern flackern ließen. Aus den Farbschleiern wurden verwaschene Bilder. Eine konfuse nicht zusammenhängende Abfolge von Erinnerungen, oder Träume? Wirr und chaotisch, blitzten die unzusammenhängenden Bildketten auf und ließen die Augenlieder stärker zucken.
Männer die sie gepackt hatten und fort zerrten. Ein Abgrund im Sturm, ein Mann, rote Augen, eine Hand die ihr entgegen gestreckt wurde. Schwärze. Sie war festgezurrt, nein gekettet an eine Hölzerne Vorrichtung. Aufrecht stehend. Abermals ein dunkler abriss. Neuerlich Bilder vom Rohling, der sie herumzerrte. Hatte sich diese Szene vorher, oder nachher zugetragen? War es überhaupt geschehen, oder ein Alptraum? Sie währte sich darin, und stellte fest, dass der gemeine Kerl zu stark war sich loszureißen. Sie tat das Gegenteil und warf sie sich ihm voll Wildheit entgegen Biss ihn. Barbarisch, unbarmherzig, und mit voller Kraft wie ein wildes Tier. Rot. Von ihm? Eine Faust die sie traf. Der Geschmack von Blut im Mund. War es seines, oder ihres? Sie wurde an eine Wand gepresst, nein an die Vorrichtung und angekettet. Ein neuer Bastard presste ihr die Hand auf den Mund um sie zum Schweigen zu bringen. Auch ihn biss sie sowie sie konnte. Die Schmerzen von Schlägen trieben den Geist ins nichts.
Wieder Bilder. Sie lag auf einer Bare. Jemand stand neben ihr und trieb ihr etwas in die Vene. Vor ihr eine Frau. Sie sah fürchterlich aus. Dreckig mit verfilztem ockerfarbenen Haaren, abgemergelt und war an ein Foltergerät gekettet. Seltsame Gesprächsfetzen hingen in der Luft, von Wahlmöglichkeiten. Gift. Welches. Ihr wurde etwas in den Mund gekippt. Die Magierin nahm neben ihr selbst eine Silhouette wahr. Die von einem.. Mann? Sie sah er hatte eine Spritze in der Hand, er hatte ihr damit Blut abgezapft. Dann regte sich die Frau in den Ketten. Es begann sie zu schütteln. Bei den Göttern! Sie bäumte sich auf und krampfte so stark, dass es knirschte. Die Knochen brachen, Zähne splitterten. Der schnelle stoßhafte Atem ließ sie Speichel spucken. Er spritzte bis zur Magiern. Sie spürte wie er kalt und nass ihre Haut benetzte. Atevora hatte angst, nicht um die Frau sondern darum dass was immer ihr gegeben wurde nun auch auf ihr sein könnte und mit ihr Selbes anstellen würde. Der Gedanke wurde getilgt von einem Schreien. Es schraubte sich empor zu einem verzerrten unmenschlichen quietschen, das die Kehle der Frau verließ. Wie konnte ein humanoides Wesen solche Töne von sich geben? Neben ihr brabbelte der Mann zu der Magierin irgend etwas, das sie nicht verstand. Es ging im Rauschen ihres Blutes in den Ohren und den Schreien unter. Er stieß wieder eine Nadel in ihren Arm, ruhig als wären da nicht diese Schreie, diese verdammten Schreie die in ein Röcheln übergingen, während das Gewebe der Frau riss, wo es nicht reißen dürfe. Nein es riss nicht, es Verflüssigte sich! Oder bildete Atevora es sich ein? Es wurde alles so unscharf vor ihren Augen. Es zerfloss mit der Frau vor ihr, bis das Umfeld verschwunden war.


Schwärze kann gnadenvoll sein. Sie sollte darin verharren und sich nicht rühren. Warum hatte sie sich bemüht die Farbtupfer zu fassen? Die unruhigen Bilder hinter ihrer Stirn ließen sie zucken, und jäh dankte es ihr der Körper mit einer gleißenden Welle aus Schmerzen. Ihr entkam ein Stöhnen und die Schmerzen schwämmten sie endlich fort aus dunklen dem Nebel, hinein in die wache Welt. Das raue Gewebe vor ihrem Kopf, ein derber Jutesatz war das Erste das Atevora registrierte als sie aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Sie lag auf dem harten Steinboden, direkt an dem Gitter zum Nachbarkäfig, mit den Armen hinter dem Rücken festgebunden und lieblos dahingeworfen wie ein Sack Mehl. Sie spürte die Härte des Bodens, das raue Seil auf ihrer Haut, und kalte Stäbe, eiserne Gitterstäbe in ihrem Rücken, während das Tönen in ihren Ohren zu mehr wurde als unzusammenhängende Klänge. Es waren Stimmen, es waren Wörter und Sätze die ihr Verstand begann zu verstehen. Eine Stimme weckte das Gefühl von Vertrautheit. Sie klang so nahe, als wäre beinahe neben ihr, direkt an den Gitterstäben.


Das Bündel von Mensch bewegte sich in dem zerschlissenen Unterkleid das man ihr gelassen hatte. Wo war sie? Warum war sie hier? Träumte sie wieder einen bösen Traum?
Irgendwas hatte sie im Mund, denn es schnitt sich unangenehm in die Mundwinkeln. Stoff? Ein Knebel. Ein erstickter Laut entkam ihr. Warum hatte sie einen Sack über den Kopf und lag hier geknebelt und gefesselt am eisigen Boden? Ihr war so kalt. So verflucht kalt, insbesondere in den nackten Zähnen. Wie kam sie hier her? War sie wach oder träumte sie? Dieses Pochen und Stechen, das ihren Körper mit schmerzhaften Wellen flutete machte ihr deutlich, dass es kein Traum sein konnte. Oder etwa doch? Warum fiel es ihr so schwer zu denken. Es war alles so seltsam bleiern und schwer, irgendwie so wie es nicht sein dürfte. Warum konnte sie sich nicht erinnern weshalb sie gefesselt am Boden lag? Sie kannte die Antwort darauf nicht, aber sie wusste, sie wollte diesen Sack vom Kopf. So regte sie sich, bewegte sie sich in der Hoffnung, dass ihr der Stoff und übergestülpt wurde, leicht abwärts und versuchte den Sack herunter zu streifen. Ein Unterfangen das ihr nicht gelang. Man hatte ihn um ihren Hals mit einem Seil festgebunden.
Im Gegensatz zu dem Mann in Ketten, den er durch die Gitterstäbe zu seiner Rechten erblickte, hatte man ihm zumindest seine Kleidung gelassen, so stellte Malar fest. Der elegante bodenlange Gehrock aus dunkelroter albischer Spinnenseide - er hatte sich bisher nicht an die grobe menschliche Kleidung gewöhnen können - war zwar nicht mehr ganz sauber, aber immerhin war er vorhanden und verdeckte gnädig das verkrüppelte linke Bein. Warum ihm das immer noch so wichtig war, wußte er selbst nicht genau zu sagen, denn eine der angenehmen Seiten der menschlichen Gesellschaft war der sehr viel tolerantere Umgang mit körperlichen Gebrechen als man ihn in Vaîsílhar pflegte. Vielleicht war es einfach Gewohnheit. Nichtsdestotrotz war es jedoch nur die halbe Miete, denn der Gehstock aus poliertem schwarzem Wurzelholz mit silbernem Knauf und einigen Extras, der ihn gewöhnlich stets begleitete, war nirgendwo zu sehen. Und als ob dies nicht genug des Unglücks wäre, stellte er mit einigem Entsetzen fest dass man ihm auch die Schiene abgenommen hatte, ohne die es ihm unmöglich war längere Strecken zu gehen. Die Lippen des Alben preßten sich mißvergnügt zu schmalen Strichen aufeinander. Was für ein Schabernack wurde hier getrieben? 

Zunächst einmal brauchte Malar Informationen. Alle, deren er habhaft werden konnte. Denn Wissen war Macht. In den knapp 500 Jahren seines Daseins hatte er gelernt, dass man auch den übermächtig erscheinendsten Gegner bezwingen konnte, wenn man nur genügend über ihn wußte. Der Feldzug der Alben gegen Aitheria vor einigen Jahren war nur daran gescheitert, dass man über die dort herrschenden Umstände nicht ausreichend informiert war. Was einige kluge Köpfe vorausgesagt hatten, ihn selbst eingeschlossen, aber wie es üblich war, lauschte man nicht den Worten kluger Köpfe. Nun, so waren sie denn in ihr unvermeidliches Verderben gerannt, und Malars Mitgefühl hielt sich in Grenzen. Diesen Fehler gedachte der Priester der Vieläugigen - derzeit außer Dienst - jedoch nicht zu wiederholen, und so sondierten die rubinfarbenen Augen die Umgebung genau, sogen jeden Eindruck in sich auf und ließen den Verstand seine Schlüsse daraus ziehen. 

Ein menschlicher Mann. Halbnackt in einer Zelle. Seine Haut trug die Male vieler Kämpfe, und auch seinen Peinigern schien er es nicht leicht gemacht zu haben, denn viele der Prellungen und Schnitte waren frisch, und die Knöchel seiner Hände blutig. Er schien mit seinen Fäusten umgehen zu können. Wahrscheinlich auch mit Waffen und anderer Ausrüstung, sonst hätte man ihm diese nicht abgenommen. Bemerkenswert waren die Fesseln. Einfache Stricke schienen nicht ausgereicht zu haben um ihn zu bändigen, denn schmiedeeiserne Ringe mit Ketten schlossen sich um seine Handgelenke, und ein ebenfalls eisernes Band lag um seinen Hals, was für den unbedarften Betrachter keinen Sinn ergeben mochte. Für den Priester jedoch schon. So etwas benutzte man für gewöhnlich, um etwas zu unterbinden. Magische Kräfte zum Beispiel. Es verwunderte ihn, dass man bei ihm selbst nicht ähnlich verfahren war. Nun, vielleicht wußte man nichts von seiner Begabung - wie war das noch gleich mit fehlenden Informationen? - oder man hatte sich gedacht, dass er ohnehin keine Bedrohung darstellte wenn er nicht laufen konnte. Was nicht ganz falsch war, wie er sich zähneknirschend eingestehen mußte.

Immerhin schien der Fremde in der Nebenzelle über einen gewissen trockenen Humor zu verfügen, was den Alben veranlasste einen Mundwinkel hochzuziehen. Nicht, dass er zu Scherzen aufgelegt wäre. Nicht, dass er überhaupt jemals scherzte. Malar Beradren war keineswegs das, was man als Frohnatur bezeichnete. Nun, das hatte er wohl mit dem Großteil seines Volkes gemeinsam. "Ich habe schon besser geruht", erklärte er wahrheitsgemäß. "Aber wie ich sehe, bin ich nicht einer ganz so unangenehmen Lage wie Ihr, werter Herr." Auch an die Angewohnheit der Menschen, alles und jeden zu duzen, würde er sich wohl nie gewöhnen. "Darf man nach Eurem Namen fragen? Der meine ist Malar Beradren, ehemals Priester der Vieläugigen, doch nun Händler in Armadale. Lange Geschichte." Der Alb winkte ab und strich sich das lange silbrige Haar aus dem Gesicht, um zumindest einen weniger derangierten Eindruck zu machen. "Wem seid Ihr auf die Füße getreten, dass man Euch so zugerichtet..." 

Ein Geräusch unterbrach die sich entspinnende Unterhaltung. Eine Art... ersticktes Schnaufen? Jemand bewegte sich hektisch, schien zu zappeln und sich von etwas befreien zu wollen. Der Priester sah auf und machte einen langen Hals in die Richtung, aus der die Geräusche drangen. Da schienen noch weitere Zellen in diesem merkwürdigen Gefängnis nicht leer zu sein... "Heda! Ist da jemand?" Es dauerte einen Moment, um die zierliche und eindeutig weibliche Gestalt in der Nachbarzelle auszumachen, die in zerrissenen Unterkleidern am Boden lag und sich bisher nicht gerührt hatte. Jetzt allerdings tat sie das doch und versuchte sich strampelnd von dem Sack zu befreien, den man ihr über den Kopf getreift und mit Stricken um ihren Hals befestigt hatte. Es war seltsam, aber auf eine merkwürdige Weise wirkte die Gestalt vertraut auf Malar, auch wenn er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Möglicherweise... spielte ihm jedoch auch nur die Erinnerung einen Streich. Einerlei. "Wenn Ihr es schafft meiner Stimme zu folgen bis Euch ein Gitter aufhält, könnte ich versuchen Euch behilflich zu sein", bot er der unbekannten Dame in ihrer überaus mißlichen Lage an.
Er wehrte sich, natürlich völlig überflüssiger Weise, gegen die eisernen Ketten welche seine Hand- und Fußgelenke banden. Aber er musste es wissen, musste testen wie viel Spielraum sie ihm gaben, wie eng sie saßen, wie fest sie ihn banden.
Und das Ergebnis war leider ziemlich ernüchternd. Es gab keinen Spielraum, die Fesseln waren gnadenlos kurz und knapp und nahmen ihm das meiste seiner Bewegungsfreiheit. Das einzige was er erreichte, waren blutig aufgescheuerte Gelenke, ein weiterer Schmerz der sich in einer lange Liste einreihte.
Bran fluchte leise und unflätig. Ihm war durchaus bewusst, dass diese Ketten ein wesentlich kleineres Problem gewesen wären, hätte man nicht den Schatten mit diesem verfluchten Halsband in ihm gebunden. Mit seinen Kräften wären sie auf kurz oder lange nicht von bloßen Eisenfesseln oder Gitterstäben aufzuhalten gewesen.
Noch dazu konnte er in etwa einschätzen wie mächtig die Magie sein musste im einen Schatten einzusperren. Aber es war kein gutes Gefühl. Sein Amulett half ihm, indem es dem Schatten Energie absaugte und harmlos abgab, jetzt wurde diese Energie einfach nur eingesperrt und angestaut. Irgendwann würde auch dieser Zauber nachgeben und der Schatten aus ihm herausbrechen, und dann Gnade jedem, der ihm im Wege stand.
Immerhin waren sich Warlock und Schatten in dieser Einsicht einig, auch wenn sie sich gegenseitig die Schuld dafür gaben überhaupt in dieser misslichen Lage gelandet zu sein.
Die Ketten klirrten bei jeder seiner Bewegungen leise, ein Geräusch welches ihm schon nach kurzer Zeit auf die Nerven ging, ohne dass er etwas daran ändern konnte.
Er suchte nach einem Ausweg, es musste, verdammt nochmal, einen geben! Es gab immer einen!
Vielleicht…
Trotz seiner im Moment recht aussichtslosen Lage, zögerte er. Ohne sein Amulett war er noch mehr als sonst eine Gefahr für andere. Alles was den Schatten in ihm hielt, war das eiserne Band um seinen Hals, allerdings machte dieses es ihm auch unmöglich auf seine Kräfte zuzugreifen. Ob er es wollte oder nicht, er war auf die Hilfe von außen angewiesen, wenn er schnell hier heraus wollte.

Es lag wahrscheinlich ein wenig Skepsis in seinem Blick, während er den rot gewandeten Mann in der Nebenzelle musterte. Feine Kleidung, lange und schmale Hände, eine edle und gewählte Ausdrucksweise. Das war kein Mann des Schwertes, er sah eher danach aus als hätte er noch nie in seinem Leben anstrengende Körperliche Arbeit leisten müssen. Selbst die Körperhaltung und die Art wie er sich bewegte schien das zu bestätigen. Er gehörte wohl eher zu der Klasse, die Diener für solche Sachen hatten. In Bran schlich der leise Zweifel auf, ob der Kerl ihm überhaupt eine Hilfe sein konnte.
“Anscheinend haben sie mich für die größere Gefahr gehalten.” stellte er recht pragmatisch fest.
Was gebe er dafür, seine Arme und Beine ordentlich verwenden zu können? Seine Worte waren nicht so abwertend gemeint wie sie vielleicht klangen mochten. Aber dennoch, war er von ihrer Wahrheit überzeugt, sonst hätte man sich wohl kaum die Mühe gemacht ihn in Eisenfesseln zu legen, während Malar nicht einmal einen Strick um die Handgelenke trug.
Er seufzte leise “Mein Name ist Bran.” antwortete er, nachdem Malar sich fertig vorgestellt hatte und fügte nach einer kurzen Pause hinzu “Nur Bran.” um das erwartungsvolle Schweigen zu beenden “Nicht jeder verfügt über so eindrucksvolle Titel…”
Nun, dass Malar Händler war schwerte Bran wenig, mal abgesehen davon dass er sich wunderte was ein Händler angestellt haben musste um hier zu landen, aber Priester der Vieläugigen, klang doch schon wesentlich interessanter. Priester besaßen meistens eine gewisse Macht...

Er hatte den Mund schon halb geöffnet um auf die noch nicht fertig ausgesprochene Frage zu antworten, aber auch er versuchte sich bei den aufkommenden Geräuschen ein wenig weiter aufzurichten. “In der Zelle neben euch liegt noch jemand.” kommentierte er. Zumindest das hatte sich trotz des Halsbands nicht geändert: er konnte immer noch untrüglich besser in der Dunkelheit sehen. Es war eine junge Frau, übel zugerichtet, mit Seilen gefesselt versuchte sie verzweifelt den Sack von ihrem Kopf zu bekommen.
“Ihr müsst euch beruhigen!” rief er ihr schließlich zu “Tief atmen, holt tief Luft! Ihr seid nicht mehr alleine!“ seine Stimme klang ruhig und gleichmäßig durch die Zellen. Sie musste sich beruhigen, eine Panikattacke würde zu nichts führen, außer Schmerzen. „Ganz ruhig, wir wollen euch helfen!“
Gut, er konnte ihr im Moment nicht wirklich helfen und er schwieg sobald Malar begann sie in seine Richtung zu lotsen, damit die Zweite Stimme sie nicht noch übermäßig verwirrte. Aber er wusste wie beängstigend es sein konnte in Dunkelheit gefangen zu sein, wie wichtig es war die Nerven zu behalten und wie gut es sein konnte, eine Stimme zu hören die einem einfach sagte was man tun sollte.

Erst als sie ihr Ziel erreicht hatte beantwortete er die Frage welche immer noch im Raum stand „Ich bin niemandem auf die Zehen gestiegen um das hier zu verdienen. Obwohl sich mir da gleich die Frage stellt, warum ihr, als Händler, es verdient habt hier zu sein? Aber ich bin bloß ein Warlock, die wollen nur wissen wie ich funktioniere…“ abermals ein leises und bitteres Seufzen, und ein weiterer kräftiger Ruck an den Ketten. Er war kein Versuchskaninchen, dass man einfach so aufschneiden konnte. Und die Antwort, war ja eigentlich nur die halbe Wahrheit, aber dass er einen Schatten in sich trug war eine Tatsache die er so lange es ging für sich behielt.
„Wie geht es ihr?“ fragte er dann, zum Teil um auch wieder von sich abzulenken. Zwar konnte er im Dunkeln gut sehen, aber dennoch war es zu weit entfernt, dass er sich selbst ein Bild machen konnte, denn Malars Zelle lag zwischen ihnen.

Atevora

Mit Armen die am Rücken verbunden waren, blieben die Optionen eingeschränkt. Sie bewegte den Kopf und rieb ihn über die Schulter und den Boden in der Hoffnung der Sack würde damit einfach von ihrem Kopf rutschen. Es gelang nicht. Ein weiterer Versuch. Nun bewegte sie in ihrer Seitenlage den gesamten Körper, ähnlich einem schäbigen Knochenwurm und in der wahnwitzigen kleinen Erwartung die Reibung könnte das Gewebe von ihrem Kopf streifen. Aussichtslos. So sehr sie sich auch bemühte, dieser dumme Sack ließ sich nicht abstreifen! Es führte zu nichts außer zu schmerzhaften Erinnerungen, dass man sie zusammengeschlagen hatte. Eine schmerzende Welle ließ die Dunkelheit vor ihren Augen kreisen, obwohl diese Empfindung unmöglich war. Finsternis konnte sich nicht drehen, sie war ein formloses Schwarz. Und dennoch waberte sie hinter der bleichen Stirn und und ließ ihren Magen voll Übelkeit rebellieren. Selbst wenn die Magierin sie nicht sehen konnte, mit jedem Schlag ihres bebenden Herzens ließ es sie die Blessuren mit scharfen Stechen und brennenden Pochen nur zu deutlich spüren. Als Wermutstropfen pumpte das klamme Herz ihr Blut auch in die frostigen Zehen. Das Kribbeln das sie vernahm war das Einzige das annähern als angenehm zu beschreiben gewesen wäre. Sie hätte sich gerne daran festgehalten, als kleinen Anker- Wenn doch bloß nicht der verdammte Schwindel wäre! Noch ein letzter Versuch. Eine rasche Abwärtsbewegung. Sie schlug damit ihre Fingerknöchel mit unangenehmen Klong und noch unangenehmeren Empfindungen versehentlich gegen Gitterstäbe. Schmerzen - Ein Wimmern als Folge. Verdammt ihr war so übel!

„Heyda! Ist da jemand?“
Einen Moment hielt sie in ihrer Bewegung inne, sodass für einen gedehnten Augenblick nichts anderes für sie zu hören war außer dem Rauschen des Blutes in ihren Ohren, während in ihr Bewusstsein vordrang, dass die Stimme nicht nach den Kerkermeistern klang. Zu still. Zu still, viel zu still . Zuckte es fragmenthaft und chaotisch durch ihren Geist. Sie war zu still! Sie musste sich bemerkbar machen, obwohl sie nicht genau wusste warum sie sich so sicher war dass es kein sadistischer Scherz ihrer Peiniger wäre, eine Illusion, dass es die richtige Handlung wäre, mehr noch, es gleich einer Gewissheit war die durch die Gedanken schoss. Ja! Hier ICH! Wollte die Gefesselte brüllen, doch der Knebel in ihrem Mund ließ nur erstickte Laute heraus. Erneut begann Atevora zu zappeln um sich bemerkbar und sichtbar zu machen. Zelle neben ihm? Die Gitterstäbe! Die Zelle neben mir! Desorientiert und wirr wusste sie nicht woher die Stimmen genau kamen, und wo dieses „neben ihr“ genau war. Es waren doch sicherlich DIESE Gitterstäbe in ihrem Rücken, oder? Waren sie es nicht? Warum griff er nicht hindurch, und half ihr? Unfähig einen wirklich klaren Gedanken zu fassen wand sie sich mehr, und schmiss sich in der Aufregung zuckend und mit krampfenden Muskeln gegen das harte Eisen in ihrem Rücken, bis erneut Worte zu ihr herüber drangen. Die Magierin verstand die Worte nur halb, dafür reagierte sie auf die Art wie diese gesprochen wurden um so mehr. Die Töne waren ruhig und weich und voll Anteilnahme. So hielt die Magierin inne und hob den Kopf vom Boden ein Stück weit an um die Stimme ein wenig besser zu hören. Der Mann beschied ihr ruhig zu bleiben und dass sie ihr helfen wollten. Die Worte kamen von.. vorne. Dann sprach die zweite Person. Ebenfalls ein Mann, doch seine Stimmer wirkte etwas tiefer. Ein sonorer Tenor mit einem Beiklang wie von einem mürrischen Schwarzbär. Er schien sich in der selben Richtung zu befinden, wie der andere Mann, und obendrein etwas näher. Sie sollte versuchen seiner Stimme zu folgen. Instinktiv kam sie der Aufforderung nach. 

Mit rebellierenden Knochen drehte sie sich herum und schob sich der Stimme entgegen. Es war entwürdigend. Wie eine dreckige Made die über den steinernen Untergrund kroch. Aber daran dachte die Magierin nicht. Das starke Heben und Senken des Brustkorbes und der rasselnde Atem zeigten all zu deutlich, dass die Bewegungen anstrengend für sie waren. Ihre Rippen rebellierten genau so wie jeder verfluchte Rest ihres Körpers, sodass sie obskurer Weise sogar ganz froh über den Knebel in ihrem Mund war der sich tief in ihre Mundwinkel schnitt. Er verhinderte, dass sie sich mit krampfenden Kiefermuskeln die Zähne, oder Zunge ausbiss.

Atevora gönnte sich zwischen ihren Bewegungen immer wieder eine kurze Pause, in der sie die schlingende Übelkeit die nach ihr griff zur Ruhe kommen ließ. Die Kapuze aus groben Jutestoff verdeckte das von Schlägen blaue und angeschwollene Gesicht, und auch die feuchten Spuren von Tränen die sich über den Dreck der Wangen ihren Weg suchten, bis sie vom rauen Stoff aufgesogen wurden. War es womöglich ein Glück, dass sie einen leeren Magen hatte? Vermutlich, denn wenn er rebelliert hätte, sie wäre dank des Knebels in ihrem Mund sicherlich noch an ihrem eigenen Erbrochenen erstickt. Es war jedoch nichts woran die Gräfin im Moment dachte, sondern nur an die Luft die mit scharfen Brennen die Lunge füllte. Wenige Atemzüge lang, bis sie wieder weiter über den rauen Untergrund kroch. Schon nach wenigen Bewegungen fand sie eine Weise heraus die am Besten funktionierte. Die Beine schmerzten am wenigsten, und so schoben sie den rücklings liegenden Körper mit Kopf und Schultern voran bis sie gegen etwas hartes stieß. Es war nur eine leichte Berührung, doch die Form und der Klang machten ihr deutlich, dass es sich um etwas metallisches handelte. 
Es war ein wirklich anstrengendes Prozedere, wie ihr flacher Atem all zu deutlich zeigte. Auch die Übelkeit war ihr ständiger Begleiter, als sie sich noch längs zur Gitterwand drehte und mit den Händen nach den Stäben griff. So gut sie konnte richtete sich mit Hilfe dieses Gerüstes auf, und setzte sich auf die Knie, um ihren Kopf schließlich erschöpft gegen das Eisen sinken zu lassen.
Über mangelhafte Sicht konnte sich auch der Alb nicht beschweren. Seine Art pflegte auch bei fast vollständiger Dunkelheit hervorragend sehen zu können. Bei hellem Tageslicht sah das wieder anders aus, aber darüber musste er sich bei der schummrigen Fackelbeleuchtung derzeit keine Gedanken machen. Daher fiel ihm auch der abschätzige Blick auf, mit dem ihn der Mann in der Nebenzelle bedachte. Nicht dass Malar dergleichen nicht gewöhnt war, zumindest seit er auf Vandrigg weilte. Die Attitüde, sich selbst dem Gegenüber für überlegen zu halten - insbesondere wenn dieses nicht aussah wie ein passabler Schwertkämpfer - war unter den Menschen scheinbar noch weiter verbreitet als bei seinem eigenen Volk, was den Priester anfangs erstaunt hatte. Inzwischen hatte er sich jedoch daran gewöhnt. 

"Nun... anscheinend", bestätigte er deshalb nur und neigte den Kopf. "Sehr erfreut, Nur-Bran." 

Malar mußte selbst zugeben, derzeit vermutlich nicht den majestätischsten Eindruck zu machen. Aber immerhin hatte man ihn nicht in Ketten geschlagen und ihm auch kein seltsames Halsband angelegt. Der Priester war neugierig. Aus der Ferne konnte er es jedoch nicht analysieren, allenfalls konnte er Vermutungen anstellen. Vielleicht gelang es ihm später, das Vertrauen des Mannes zu gewinnen damit er es ihn untersuchen ließ. Derzeit litt er jedoch - ironischerweise - trotz fehlender Fesseln unter mangelnder Bewegungsfreiheit. Ohne Stütze oder Stock war es ihm unmöglich aufzustehen oder gar irgendwohin zu gehen. Das war überaus entwürdigend. Der Alb hatte gute Lust herauszufinden wer hinter dieser Scharade steckte und diesem perfiden Cretin nach alter Väter Sitte das Fleisch von den Knochen zu schälen. Selbstverständlich erst nachdem es gut durchgebraten war. Doch für den Moment mußte er sich wohl damit begnügen das in seiner Fantasie zu tun, denn niemand ließ sich blicken. 

Nun - niemand war nicht ganz richtig. Es dauerte einen Moment, um in der ungewohnten Umgebung das zappelnde Häuflein Mensch mit dem Sack über dem Kopf auszumachen, welches sich auf dem Boden seiner Zelle - quasi auf Augenhöhe - wand und versuchte sich zu befreien. Im Gegensatz zu dem Mann nebenan, der aufgrund räumlicher Begebenheiten nicht viel Tatkräftiges beitragen konnte und sich daher in moralischem Beistand versuchte, hielt Malar warme Worte für ineffektiv und beschränkte sich lieber auf zielführende Anweisungen. Dabei hielt er sich weniger herzlich, als vielmehr knapp und präzise. Sein Tonfall klang jedoch nicht unfreundlich, sondern signalisierte Hilfsbereitschaft. Anscheinend wurden seine Worte auch verstanden, denn nach einer Weile begann sich die junge Frau in ihren zerrissenen Unterröcken in die richtige Richtung zu bewegen. "So ist es gut! Weiter! Noch ein Stück! Ihr habt es gleich geschafft! Vorsicht jetzt! Stoßt Euch nicht..." 

Inzwischen wurde es auch für den Alben Zeit, sich in Richtung des Gitters zu bewegen, wenn er hindurch greifen und die Schnur um den Hals der Dame lösen wollte. Es mochten vielleicht zwei Schritt sein. Eine Distanz, die ein Mann mit zwei gesunden Beinen ohne Anstrengung überbrückt hätte. Seine Zelle, so fiel Malar auf, schien die geräumigste von allen zu sein. Das hatte man aber nicht etwa so eingerichtet, um ihm einen Gefallen zu tun. Man hatte ihn, während er bewußtlos war, so exakt in der Mitte des Raums plaziert, dass alles gleich weit entfernt war, egal wohin er sich wandte. Weder den verbeulten Teller mit schimmligem Brot, noch den steinernen Krug mit zweifelhaftem Inhalt, noch den stinkenden Eimer in der Ecke, dessen Zweck zu erahnen nicht viel Fantasie benötigte, konnte er mühelos erreichen. Der unbekannte Feind hatte anscheinend nicht nur die Absicht ihn hier verrotten zu lassen...

"Wer auch immer uns hier festhält, er scheint gern zu spielen", brummte der Silberhaarige mißvergnügt und presste die Lippen aufeinander, während er sich zu der Wand aus Gitterstäben aufmachte, die seine Zelle von der seiner Nachbarin trennte. Mit den Armen zog er sich vorwärts und verfluchte den Umstand, dass sie nicht besonders kräftig waren. Vor allem der linke nicht, was ebenso wie das lahme Bein mit der alten Rückenverletzung zusammenhing. Für gewöhnlich störte ihn das nicht, denn wozu brauchte man schon einen linken Arm, wenn man nicht gerade einen Schmiedehammer schwingen mußte? Jetzt allerdings spürte er die Auswirkungen empfindlich, denn bereits nach kurzer Zeit schienen seine Muskeln in Flammen zu stehen, er atmete schwer und keuchend und mußte immer wieder Pausen einlegen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert hatte er sich nicht mehr so gedemütigt gefühlt und war entsprechend wütend. Aber es half nichts. Dem Frauenzimmer in der Nachbarzelle ging es definitiv nicht besser als ihm, und was seinen männlichen Leidensgenossen anging, bezweifelte er das ebenso. Auch für ihn hatte man sich sicher etwas Besonderes einfallen lassen... 

Endlich hatte Malar die Gitterstäbe erreicht und ließ sich für einen Moment dagegen sinken um Atem zu schöpfen. Der Schweiß troff ihm aus allen Poren, er fühlte sich wie ein ausgewrungener Lappen und roch vermutlich auch so. Auf der anderen Seite des Gitters hatte sich seine Zellennachbarin aufgerichtet und wirkte nicht weniger mitgenommen. Aber immerhin konnte er sie jetzt erreichen und die Schnur lösen, die den Sack über ihrem Kopf zusammenband. Das war wohl erst einmal das Wichtigste, um die restlichen Fesseln konnte man sich danach kümmern. Beherzt griffen die Finger des Alben nach dem groben, schmutzigen Stoff und zogen ihn herunter. Langes, weißes Haar wallte darunter hervor, welches ein wenig an sein eigenes erinnerte. Malars Stirn runzelte sich, denn wieder drängte sich ihm der Eindruck auf, dass ihm die Gestalt der Dame sehr bekannt vorkam. Da war jedoch noch der Knebel in ihrem Mund, der den Großteil der unteren Gesichtspartie unkenntlich machte. Malars Finger griffen auch danach und lösten ihn. 

In dem Moment, wo auch diese Maske fiel, weiteten sich die glutroten Augen in dem dunkelhäutigen Gesicht ungläubig. Konnte das wahr sein? Oder gehörten Trugbilder ebenfalls zum Repertoire des unbekannten Kerkermeisters? Die Stirn des Alben runzelte sich. Dann formten seine Lippen langsam eine Frage, die lediglich aus zwei Worten bestand. "Lady Wailamereis?" 
Verdammter Gutmensch! Worauf willst du warten?

Der Schatten in hatte wieder zu toben und zu wüten begonnen. Bran konnte spüren wie sich seine Energie in ihm anstaute, wie ein reißender Fluss der von einem Staudamm aufgehalten wurde. Er versuchte sich gegen die Worte des Schattens zu sperren, ihnen keine Beachtung zu schenken, aber diese Stimme konnte er aus seinem Kopf nicht verbannen.
Vielleicht erwiderte der Warlock deswegen nicht mehr als nur ein schwaches Lächeln, auf Malars ohnehin schon recht knappe Antwort. Aber er hatte im Moment größere Probleme, als sich seinerseits eine schlagfertige Erwiderung auszudenken.
Irgendwann würde der Schatten auch die Magie des Halsbandes zerstören und ausbrechen und Bran wusste, dass er in seinem Zustand einfach nicht die Kraft hatte den Schatten zu kontrollieren, wenn er einmal so viel Macht angesammelt hatte.
Er würde einfach wieder zum Zusehen verdammt sein, so lange gefangen im eigenen Geist, bis der Schatten sich freiwillig wieder zurück zog um den Körper, welchen sie sich teilten nicht zu zerstören.

Und du willst dir von denen Helfen lassen?

Das Lachen schien in seinem Kopf widerzuhallen wie eine große Glocke.
Er schloss die Augen und atmete tief durch, er durfte nicht auf den Schatten hören!

Sieh sie dir doch an!

Fast wie auf Kommando klappte er die Augen auf um Malar durch die Zelle kriechen zu sehen. Er musste sich die Frage des Warum’s nicht einmal wirklich stellen. Zwar verdeckten die langen roten Roben die Beine des Mannes, aber dennoch war recht sicher zu sagen, dass er nicht angekettet war. Vielleicht war er verletzt und konnte deswegen nicht laufen…

Und hast du auch weiter gedacht, du Dummkopf? Wie soll der Krüppel dir eine Hilfe sein, wenn er nicht laufen kann? Du wirst ihn hinaus tragen müssen, denn du gutmütige, kleine Seele wirst ihn ja nicht zurücklassen können! Er wird dich nur aufhalten!

Bran versuchte sich von der Stimme in seinem Kopf abzulenken. Er wollte ihr nicht zuhören, er durfte nicht auf den Schatten hören!
Malar war inzwischen bei der Frau angekommen und hatte ihr den Sack vom Kopf gezogen.

Und die Frau… Wer weiß was sie mit ihr angestellt haben! Glaubst du sie kann dir helfen? Sie sind schwach, alle Beide! Sie sind nur Hindernisse! Hilf mir! Lass mich raus und ich werde dir all diese Probleme abnehmen!

Und eine Spur aus Mord und Totschlag hinterlassen.

Lass mich raus und ich werde uns hier heraus bringen! Ich kann dich retten! Ich verspreche dir auch, dass niemand leiden wird! Vertrau mir!

Der Schatten wechselte zwischen lauten Toben und leisen sanften Versprechungen.
Vor Jahren, kurz nach der Schattenprüfung, hatte Bran einmal Forschungen und Experimenten zugestimmt, in der Hoffnung den Schatten wieder loswerden zu können. Aber gebracht hatte es nur Schmerzen an Körper, Geist und Seele. Der Schatten hatte sich jetzt daran gemacht diese Gefühle und Erinnerungen wieder hervor zu holen und ihm zu zeigen. Lockte ihn mit Versprechungen, drängte ihn mit Erinnerungen an Schmerzen und Folter im Namen der Erkenntnis.
Bran bis die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten, dass die Fingernägel sich fest in die Handballen gruben.
Er wusste, dass er nur eine Chance hatte. Er musste das Halsband loswerden, solange er noch irgendeine Art von Kontrolle hatte. Er durfte nicht zulassen, dass der Schatten so viel Kraft in sich anstaute und freikam.

„He Malar!“ rief er deswegen dem weißhaarigen Mann zu. Er wusste wie unhöflich und direkt diese Anrede war, aber er konnte das nicht alleine schaffen, er brauchte Hilfe. Und noch viel Wichtiger, ihm lief die Zeit davon!
„Ich will euer frohes Wiedersehen wirklich nicht stören, aber als Priester kennst du dich nicht zufällig damit aus wie man einen Bannzauber, oder etwas ähnliches aufhebt?“
Es gab genau zwei Mögliche Antworten: entweder Malar sah ihn nur mit Unverständnis Entgegen, oder er kannte sich damit aus und wusste deswegen, dass es sich nur um das Halsband handeln konnte. Deswegen sparte Bran sich erst einmal nähere Erklärungen.

Atevora

Gut so, weiter, Stück um Stück dem wohltuenden Timbre der Worte entgegen. Der Hinweis Acht zu Geben kam leider ein wenig zu spät für ihre beeinträchtigten Sinne und der geschundene Kopf unter dem Stoffsack stieß gegen das Hindernis, aber dieser leichte Stoß ging matt und Bedeutungslos in einer Woge von Euphorie unter. Sie hatte es geschafft! Sie hatte trotz geschundener Glieder, Blindheit und Knebel die andere Seite erreicht!

Nun saß sie dort mehr oder weniger aufrecht, mit dem Kopf gegen die eiserne Stange gelehnt und hoffte darauf, dass sie nicht das Opfer perfider Täuschung geworden war, und die Stimmen sie nicht genarrt hatten. Immerhin waren zumindest die Gitterstäbe eine passable Stütze und das aufrechte Sitzen mitsamt den eindeutigen Bezugspunkten wo sich Oben und wo unten befand, drängten zunehmen dieses elende Gefühl zurück sich in einem Strudel zu drehen. Dem positiven Effekt zum Trotz, hatte es sie die Zellendurchquerung einiges an Anstrengung gekostet. Um sich davon zu erholen presste sie mit tiefen Atemzügen die Luft in ihre unter den gemarterten Rippen liegende Lunge und lauschte erschöpft, aber mit deutlich reger werdendem Verstand den Geräuschen in ihrer Umgebung. Da war ein Rascheln von Stoff zu hören und ein weiteres als schleife jemand einen trägen Sack über den Boden. Dieser Jemand kam eindeutig näher mit seiner Last. Die Geräuschkulisse genügte bereits um ein mulmiges Gefühl in ihrem Magen rumoren zu lassen. Und welch seltsame Bilder die Laute in ihrem Kopf hervorriefen! War der Mann womöglich an etwas gekettet, das er mühsam durch den Raum der Zelle zerren musste? Warum vernahm sie keine Schritte? Vielleicht war in der Nachbarzelle gar ein Wesen ohne Beine?

Dann fühlte sie die feuchte Wärme eines Atemzuges in ihrem Nacken und es ließ sie erschrocken zucken. Lediglich für eine lächerliche kurze Schrecksekunde die auch sofort überwunden war als sie spürte wie jemand sich am Sack zu schaffen machte. Die Art wie es geschah ließ ein Gespür für Feingefühl vermuten, denn es waren kein grobes und raues zerren mit mehr Kraft als verstand, sondern behutsame und vorsichtige Bewegungen, mit denen die Finger an der Schnur und dem Stoff zogen. Schon lockerte sich die Enge um ihren Hals. Die Mundwinkel zuckten. Gleich wäre das elende Ding fort, es wäre FORT und sie könnte endlich etwas sehen. Womöglich hätte sie daran denken sollen, ob sie denn überhaupt sehen wollte was sich im Umfeld befand, oder es nicht womöglich besser war selig unwissend und blind zu bleiben. Aber nein, diese Gedanken kamen ihr nicht, stattdessen war da nur diese Unruhe freudiger Erwartung von dem Ungemach befreit zu werden. Endlich! Mit Schwung wurde ihr der Stoff vom Kopf gezogen und ihr fiel dabei auch das lästige Haar aus ihrem Gesicht. Oh sie war dankbar. Es war womöglich eine Kleinigkeit von einem Mitgefangenen hier solidarische Hilfe zu erhalten, aber der Impuls von Freude der in ihrem Inneren erblühte war so hell wie der funkensprühende Sprühregen einer Wunderkerze. Sie war für den Bruchteil des Augenblickes sogar so groß, sodass sie als erstes obstruser Weise die Augen schloss und sie hätte glücklich gelächelt, wenn sie dies vermocht hätte. Der Knebel hinderte sie allerdings daran. Nur noch wenige Strähnen der sonst so strahlenden Haarpracht klebten von Schweiß und Blut an Ort und Stelle gehalten an Stirn und Wange, doch es reichte zusammen mit dem geschwollenen Auge allemal um das Gesicht der Magierin für den Moment genügend zu verschleiern.

Als die Gräfin die Berührung einer Hand mit weichen feingliedrigen Fingern wahrnahm die nach dem Knebel in ihrem Gesicht griffen, öffnete sie ihre Augen wieder und starrte unverwunden in den lodernden Blick eines … Alben? Der Magiern Pupillen weiteten sich staunend. Irgendwie.. Da war etwas, da war etwas wichtiges, zumindest fühlte es sich so an. Ähnlich wie ein dringendes und obendrein drängendes Wort das ihr auf der Zunge lag aber nicht hervorkommen wollte. Sie kannte ihn, oder? Natürlich. Die weißen Haare die ein ebenmäßiges elbenhaftes Gesicht umrahmten. Selbst mit dem Dreck der Zelle verziert und wirren ungekämmten Haarsträhnen, die ungebändigt und teilweise verfilzt vom Haupt herab über die Schultern flossen, sowie deutlich ramponierter Kleidung, und auch der allgemeine desolate Zustand seines äußeren konnte nicht verbergen, dass er eine äußerst respektable Erscheinung abgeben konnte. Wäre es kein Alb, so würden ihm sicherlich eine Schar leicht zu beeindruckender Mädchen und junger Frauen hinterher schwänzeln und mit verliebten Augenaufschlag anblinzeln.
Lady Wailamereis? Wailamereis.. Ja, richtig. Das war ihr Name. Nur warum empfand sie es postum so falsch, dass dieser Mann sie so förmlich mit Titel und Nachnamen ansprach? Die schlanken Brauen über ihren blauen Augen schoben sich in Folge verwirrt zusammen. Verdammtes Schädeldröhnen. Warum fühlte sich ihr Kopf so schwer an? So dumpf wie vollgestopft, über und über mit Watte. Mit Watte vollgesogen mit tausenden Litern voll Wasser.
Der Nebel der Drogen mit denen man sie ruhig gestellt hatte, lag noch auf ihrem Verstand und hemmte sie am präzisen und klaren Denken. Aber mit jedem Atemzug den sie tat klärte er sich auf. „Ich.. irgend etwas.. ist falsch. mein Kopf. Es ist alles so dumpf und langsam.“ Aber während sie sprach kam kramte ihr Verstand nun endlich eins der wirren Bilder aus das während ihres Dämmerschlafes aufgeflackert waren und mit ihm kam ein Name. „Malar.“ Natürlich. Ja, das Bild passte. Die milde und ruhige Tenorstimme, die rotleuchtenden Augen, der Kleidungsstil und das wundervolle weiße wallende Haar. „Malar.“ Wie konnte es ihr entgangen sein? Oder hatte ihr Verstand es für den Moment aufgrund dieser sehr unerwarteten 'Konfrontation' einfach versucht zu verdrängen? Niemals hätte sie erwartet diesem Alben hier zu begegnen. In einer ähnlich aussichtslose Situation wie damals. Nein, Pardon, dar hier war eindeutig eine noch schlimmere Ausgangssituation als damals. Bei Dessortes Sinn für schräge Scherze. Immerhin schien der Alb ähnlich irritiert wie sie, auch wenn bei ihm längst kein so eherner Drache im Raum stand wie bei ihr. „Ich habe von euch geträumt“. Flüsterte sie. „Die haben mir irgend etwas eingeflößt um mich ruhig zu stellen. Aber, ich träume nicht mehr, oder? Ihr seid wirklich hier? Bin ich gemein, wenn sage, dass ich mich freue Euch zu sehen?“

~„He Malar!“~ Atevora hob ihren Kopf und spähte in die Richtung aus welcher die Stimme kam. Der andere Mann, sie hatte ihn völlig vergessen!   ~„Ich will euer frohes Wiedersehen wirklich nicht stören, aber als Priester kennst du dich nicht zufällig damit aus wie man einen Bannzauber, oder etwas ähnliches aufhebt?“~   „Bannzauber? Bannzauber bricht man mit Vim!“ Oh weh, ein Gedanke hervor geplatzt, wie aus dem Mund eines naseweißen kleinen Magierlehrlings. „Joavan ist ein hervorragender Vimmagier! Er ist gut im lösen Vimmagischer Dilemma. Ist Joavan auch hier?“ Die Magierin sah sich hektisch um. Im diesigen Licht konnte sie nicht all zu viel erkennen, aber alles was sie sah, wie beispielsweise die tote Ratte in der Ecke ihrer Zelle, gefiel ihr nicht. Joavan schien sich jedenfalls nicht in dieser Herberge zu befinden. „Nein.“ Seufzte sie. „Kein Joavan. Ein Pech.“ Pech? „Oder eher Glück?“ Das war vermutlich wirklich sehr stark Standpunktabhängig. „Eine Blickwinkelfrage.“ Befand sie abschließend. Apropos befinden. Hatte sie sich ursprünglich überhaupt in Gesellschaft von Joavan befunden? In wessen war sie bevor sie hier landete? Gute Güte! Es waren so unendlich viele Fragen die ihr Verstand wirbelnd um sich und sich selbst entgegenschlug, dass es ihr abermals schwindelte. Warum konnte sie sich nicht erinnern wo sie sich befunden hatte, mit wem, was sich ereignet hatte bevor, wer auch immer, ihrer habhaft geworden war um sie hier einzukerkern? Sofort krallte sich ihr Geist mit einem beherzten Sprung an den einzigen Rettungsanker und Strohhalm der ihm gerade zur Verfügung stand: Eine womöglich im Raum stehende magische Aufgabe.

 Ihre Augen richteten sich wieder auf den unbekannten Mann. Weniger geschunden und gemartert mochte er ein sehr possierliches männliches Individuum abgeben. Von der Statur her wirkte er sehr muskullös und insgesamt wie eine Kämpfernatur somit stopfte sie ihn automatisch in eine Schublade auf der Stand ‚ein Beruf der mit Kampf zu tun hat‘, jedenfalls wenn man die Narben mit einbezog. Und entweder er rang dabei mit sehr gefährlichen Gegnern, oder er war nicht so gut in seiner Berufung wie er es sein sollte, wenn man nach der Stärke der Verletzungen ging. Andererseits, würde sich ein schlechter Kämpfer die Heiler für die Versorgung dieses Wundausmaß leisten können? Wohl kaum. Obendrein blieb noch die Option, dass die Leute, die hinter diesem Possenspiel standen, schon lange dieses Mannes habhaft waren, und enormen Spaß daran besaßen diverses Viehzeug auf ihn zu hetzen um ihn danach wieder zusammenzuflicken. Es war ein Gedanke den die Akademiemagierin spontan als äußerst unangenehm empfand. „Ich bin Atevora, Magierin des Hohen Hauses Diaspor.“ Sie hatte keine Ahnung ob der Mann mit dieser Vorstellung etwas anzufangen wusste. „Aus der Welt Aitheria. Ich kenne mich auch mit Vim aus. So... ein wenig jedenfalls. Es gehört zur Grundausbildung an den Hohen Häusern der Akademie.“ Hör auf zu Quasseln! Rief sie sich streng selbst zur Ordnung. Ihre Augen musterten den halbnackten Krieger nun noch einen Ticken genauer. Das aber nicht weil sie gerne gut geformte halbnackte Männer sah - was sie natürlich durchaus gerne tat, wenn sie nicht gerade in einer Zelle festsaß und besseres zu tun hatte als an Lustbarkeiten zu denken - sondern weil sie sich fragte womit seine Frage wohl in Verbindung stand. Die Halskrause mit den seltsamen Symbolen darauf sah für das geschulte Auge einer Magierin verdächtig genug aus um ihr 'womomöglich magisch' entgegen schreien und somit ihr Interesse zu wecken. „Geht es um die eiserne Krause um euren Hals?“ Eine Frage die sie sich sicherlich selbst längst beantwortet hätte, doch leider pfuschten noch immer die verrauchenden Überreste einer Droge in ihrem Verstand herum. „Bitte macht mich los..“ Die letzten vier Worte galten natürlich dem Alben, den sie dabei mit großen Augen ansah, ähnlich einer Katze der man ein köstliches Schälchen Futter in Aussicht stellte. „Macht bitte die Fesseln auf, ja? Ich möchte mir das gerne ansehen. Ich liebe magische Herausforderungen.“
Es mußte vier... vielleicht fünf Kristallzyklen her sein, seit er dieses Gesicht zuletzt gesehen hatte. Natürlich kannte Malar den Vornamen der Dame, aber in seiner Überraschung griff er auf die förmliche Anrede zurück. Er wußte schließlich nicht, was sie in den vergangenen Jahren getrieben hatte, ob sie inzwischen vielleicht verheiratet war oder sich überhaupt noch an ihn erinnerte. Nun konnte man von sich selbst so eingenommen sein, dass man sich für unvergeßlich hielt, aber für derlei Kindereien war der Albenpriester derzeit weder in der Stimmung, noch in der Lage. Überdies konnte er es kaum fassen Atevora wirklich hier zu sehen. War das ein Zufall? Es war für seine Art nur natürlich, dass die Gedanken gleich diese Richtung einschlugen. Dort wo er herkam, zählte Paranoia zu den Überlebensinstinkten. Eine feine Ironie des Schicksals, dass es ihm in Vaîsílhar vermutlich nicht passiert wäre, von hinten eins übergezogen zu bekommen und entführt zu werden. 

"In Lebensgröße", nickte der Alb und ließ einen Mundwinkel hochzucken bei der Art wie sie seinen Namen aussprach. Mit diesem seltsamen Akzent, den er aus unerklärlichen Gründen mochte. Vertraut und doch so fremd, wie aus einem anderen Leben. Ein Leben, was er versucht hatte zu vergessen, zu verdrängen, da es - rational betrachtet - nur wenige Stunden gedauert hatte. Aber dort, in der rätselhaften fremden Welt, war es real gewesen. So real wie die unebenen Steine unter seinem Körper, so real wie sie nun hier vor ihm kniete, mit verquollenem Gesicht und nur zerrissener Unterkleidung am Leib. Fast genau wie damals. "Es scheint unser Schicksal zu sein, dass wir uns niemals in frischen Kleidern und mit gekämmtem Haar gegenüber stehen, nicht wahr?" Malar seufzte leise und schüttelte den Kopf.

„He Malar!“ 

In jeder anderen Situation hätte er entrüstet reagiert und den Frechling zurechtgewiesen, aber hier kam ihm das albern vor. Während sich Atevora vom Rest ihrer geöffneten Fesseln befreite, wandte er den Kopf zu dem Mann in Ketten, der nun etwas ganz und gar Gewöhnliches tat: Er bat einen Priester um Hilfe. Das war nicht einmal in Vaîsílhar verwerflich. Bevor er jedoch antworten konnte, platzte Atevora dazwischen und erzählte etwas von Vim und einem gewissen Joavan. Ob das inzwischen der Mann war, den sie erwählt hatte? "Nun, ich weiß zwar nicht was Vim ist, und außer uns Dreien habe ich niemanden hier gesehen, aber zunächst kommt es auf den Bannzauber an", warf der Angesprochene ein. "Um ihn zu analysieren müßte ich ihn untersuchen. Dazu müßte ich aber erst einmal in Eure Zelle gelangen." Sein Blick ging wieder zu Atevora, die sich nun vorstellte und ihn mit freudig leuchtenden Augen ansah. 

Der Alb hob leicht die Brauen. "Nun, es sei fern von mir Euch Ratschläge zu erteilen, aber Ihr seht gerade nicht danach aus, als ob magische Herausforderungen Euer vordringlichstes Anliegen sein sollten", merkte er an und machte sich dann, wie erbeten, mit geschickten Handgriffen daran ihre restlichen Fesseln zu lösen. Er schien der Einzige zu sein, bei dem man dergleichen nicht für nötig gehalten hatte. Malar wußte nicht recht, ob er darüber froh oder beleidigt sein sollte. Vielleicht sollte er seine Empörung ob dieser Impertinenz hinunter schlucken und es einfach als praktisch betrachten. Zumindest seine Hände waren voll einsatzfähig, und seine Zauberkräfte ebenso. Da war zwar immer noch diese Beule am Hinterkopf, die unangenehme Schmerzwellen aussandte, aber das war allenfalls lästig. Die Tatsache, dass man ihm weder Stock noch Schiene gelassen hatte, bereitete ihm viel mehr Unbehagen. 

Der Priester legte den Kopf leicht auf die Seite und betrachtete die Gitterstäbe mit kritischem Blick, die seine Zelle zur anderen Seite von der des in Ketten geschlagenen Mannes abgrenzte. Sie waren so dick wie ein Kinderarm und schienen aus massivem Eisen zu bestehen. Dazu waren die Zwischenräume kaum groß genug um sich hindurch zu quetschen, selbst wenn man ein schlanker Alb oder eine zierliche Magierin war. Das Gitter war aber bei Weitem nicht das größte Problem. Das war viel mehr die Entfernung, die für jemanden, der weder aufstehen noch gehen konnte, schier unüberwindbar war. Jetzt noch mehr als zuvor, da er sich am entgegengesetzten Ende des Raums befand, und seine Arme sicher nicht noch eine Reise über den Boden durchhalten würden. "Nun, ich hätte vielleicht einen Vorschlag", überlegte der Alb. "Ich könnte das Eisen erwärmen bis es glüht, und Atevora könnte dann einen Schwall Wasser darauf lenken. Das müsste genügen um es spröde zu machen. Dazu müsstet Ihr allerdings in Deckung gehen, Bran. Ich hoffe, Eure Fesseln hindern Euch nicht daran, anschließend kräftig gegen das Gitter zu treten bis es bricht. Oder habt Ihr einen besseren Vorschlag, meine Liebe?" Fragend blickte er über die Schulter zu der Magierin.
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